Boris Palmer & Co

Leistet euch solche Querdenker!

02:00 Minuten
Boris Palmer in der ARD-Talkshow 'hart aber fair' im Februar 2020
Hat Boris Palmer einen "herzlosen" Spruch zur Coronakrise geliefert? Einige seiner Parteifreunde sind in Rage. © Geisler-Fotopress
Von Vladimir Balzer · 05.05.2020
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"Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären" - dieser Satz von Boris Palmer sorgt für Aufregung, Grüne fordern seinen Parteiausschluss. Doch der Tübinger Bürgermeister wird zu Unrecht attackiert.
Boris Palmer kommt einem vor wie ein kleiner Junge, der sich diebisch darüber freut, anderen ihr Spielzeug wegzunehmen, um sie dann heulen zu sehen. Diese Strategie der Provokation verfolgt der Tübinger Oberbürgermeister nun schon seit Jahren.
Und das Schöne ist: Sie verfängt. Weil es die Debatte von ihren Grenzen befreit. Wenn Palmer dabei rhetorisch nicht so ungeschickt wäre und wenigstens etwas vom intellektuellen Schmelz eines Wolfgang Schäuble hätte, dann wäre der Sache durchaus gedient.
Schäuble hatte ja ebenfalls die Frage gestellt, ob der Schutz des Lebens absolut gesetzt werden könne. Beim Bundestagspräsidenten fragte nach einer solchen Aussage aber niemand, ob er in seine christliche Partei gehört, während Palmer sogar als grüner Kommunalpolitiker erhöhten Moralansprüchen genügen muss.
Parteichef Habeck spricht von "Herzlosigkeit" angesichts von Palmers Aussagen über Menschen jenseits der 80, die dem Tod deutlich näher seien als Jüngere.
Ist das "Herz" also neuerdings eine eigene politische Kategorie? Ein humanistischer Pragmatismus wäre sicher die bessere Wahl als ein fragwürdiger Status wie "Politiker mit Herz".

Moralische Suggestionen

Der Streit um Palmer ist jedenfalls symptomatisch für die gesamte Corona-Debatte, bei der Kritiker der strengen Pandemie-Maßnahmen bisher weniger mit konkreten Argumenten und verlässlichen Daten, sondern mit moralischen Suggestionen konfrontiert wurden. Etwa mit der Frage, ob man Risikogruppen gefährden wolle. Oder gleich den Tod von tausenden Menschen in Kauf nähme. Oder wo denn die Solidarität bleibe.
Solche vagen, moralisch grundierten Argumente führten dazu, Debatten wochenlang lieber auszuweichen. Man wollte ja nicht als "herzlos" dastehen.
Und da sind wir wieder bei Boris Palmer und Wolfgang Schäuble. Ihre Aussagen konnten überhaupt erst diese Aufregung nach sich ziehen, weil beide sich trauten, die moralisierende Enge der Debatte zu verlassen. Man muss deren Aussagen ja gar nicht gutheißen. Sie gehören aber zum Diskurs dazu. In welcher Partei auch immer.
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