Bootlegs

Schwarz gepresst und heiß begehrt

Bob Dylan bei "The Ed Sullivan Show" im Mai 1963.
Bob Dylan bei "The Ed Sullivan Show" im Mai 1963. © picture-alliance/ dpa - Landov
Von Ralf Bei der Kellen · 05.11.2014
Bootlegs - illegale Tonmitschnitte - waren in den 70ern das rote Tuch für die Musikindustrie. Bob Dylan verbreitete seine legendären "Basement Tapes" von 1967 auf diese Weise. Jetzt erscheinen die Tapes offiziell in den USA bei Sony Music.
Maik Brüggemeyer: "Die Plattenindustrie hat das erstmal anders gesehen – die haben gedacht: da nehmen uns Leute unsere Kunden weg. Und da entsteht so'n zweites System von Plattenfirmen, was so im Untergrund liegt. Und genau die Aufnahmen veröffentlicht, die eigentlich nicht zur Veröffentlichung bestimmt sind."
Es begann mit einem Motorradunfall – von dem man bis heute nicht weiß, ob er wirklich stattfand: Am 29. Juli 1966 stürzt nach eigener Aussage die Singer-Songwriter-Ikone Bob Dylan mit seiner Tiger Triumph 100 in der Nähe von Woodstock im Bundesstaat New York. Dylan nahm den Unfall zum Anlass, sich aus dem Musikbusiness zurückzuziehen. Songs schrieb er aber weiterhin – darunter einige seiner besten.
Um diese aufzunehmen – und vielleicht auch, weil ihm in der ländlichen Umgebung einfach langweilig war – rief er die Musiker seiner Tourband "The Hawks" zusammen, die später als "The Band" berühmt werden sollten. Mit einem einfachen Tonband und wenigen Mikrofonen machte man sich ans Werk.
Maik Brüggemeyer: "Naja, irgendwann kam dann Dylans Songverlag und hat gesagt: Mensch, wenn da eigene Lieder von Bob Dylan entstehen und Bob Dylan nicht mehr auf Tour gehen will und keine Platten mehr aufnehmen will, dann können wir die doch wenigstens anderen Leuten zur Verfügung stellen. Und dann haben die 14 dieser neuen Dylan-Lieder genommen und davon eine Testpressung gemacht und haben die an Künstler verschickt."
Maik Brüggemeyer ist Redakteur des Musikmagazins Rolling Stone – und bekennender Bob Dylan-Fan. 1968 bekommt auch die Musikpresse Wind von den 14 neuen Liedern.
"Greil Marcus hat dann für den amerikanischen Rolling Stone eine sechs-Seiten-Geschichte über unveröffentlichte Dylan-Songs geschrieben und sein Chef, Jann Wenner, also der Chef des amerikanischen Rolling Stone hat in einem Text gefordert, diese Songs müssten veröffentlicht werden."
Dean Benedetti zeichnete Charlie Parker auf
Was einige junge Menschen in den USA in die Tat umsetzten: Wenn Dylan und seine Plattenfirma Columbia diese Aufnahmen nicht veröffentlichten, nun – dann musste man es eben selbst tun. Es war die Zeit der Counterculture und "Geht nicht" – gab's nicht. Man zog eine Kopie der Testpressung und presste zusammen mit älteren Dylan-Aufnahmen in kleiner Stückzahl eine Doppel-LP – die in kürzester Zeit legendär wurde und vom Volksmund einen eigenen Namen erhielt:
"Das Problem bei Hüllen ist, dass da dann die Songtitel draufstehen müssen, dann wär aufgeflogen, dass da alles illegal war. Deswegen haben sie die in weiße Hüllen gesteckt – und so wurden die Platten dann bekannt unter dem Namen ‚The Great White Wonder'."
Und so wurde er denn geboren: der, manche sagen auch "das" Bootleg. Der Begriff stammt aus den Zeiten der Prohibition in den USA. Damals schmuggelte man Hochprozentiges im Stiefelschaft – eben im Bootleg.
Gebootlegged wurde quasi, seitdem portable Aufnahmegeräte auf den Markt kamen. So zeichnete in den 40er-Jahren der Saxophonist Dean Benedetti seinen Helden Charlie Parker auf, wann und wo er nur konnte.
Nach dem Tode Parkers erschien eine ganze Reihe solcher Mitschnitte auf Platte. Auch Opernliebhaber waren mittlerweile unter die Bootleger gegangen. So bemerkte die italienische Sopranistin Montserrat Caballé 1969 im Wall Street Journal:
"Viele Konzertbesucher kommen nach einer Vorstellung auf mich zu, um mit mir zu sprechen. In letzter Zeit ist mir aufgefallen, dass immer mehr von ihnen kleine Koffer dabeihaben. Mir kommt langsam der Verdacht, dass fast jeder im Publikum die Vorstellung auch aufnimmt."
Diese Liebhaber pressten ihre Aufnahmen oft in kleinen Stückzahlen für Fanclubs. Erst mit Dylan und dem "Great White Wonder" wurde der Bootleg zur festen Größe bei Rockmusikfans und hatte entsprechende Breitenwirkung.
Viele Musiker waren Fans
Aus der Retrospektive scheint es, als hätten die Bootlegger von Bob Dylans Basement Tapes lediglich eine Nachfrage erkannt, und aus deren Befriedigung Kapital geschlagen. Maik Brüggemeyer revidiert diese Ansicht:
Maik Brüggemeyer: "Ich glaube, dass es bei den Bootlegs erstmal nicht um Kommerzialität ging, sondern tatsächlich um menschliche Neugier und das ‚durch das Schlüsselloch gucken' und Sachen sehen, die vielleicht unperfekt sind, die spontan sind... und dass Bootlegs gerade zu der Zeit aufgekommen sind, in der sich die Stars allmählich zurückzogen, also die Beatles keine Livekonzerte mehr gaben, Bob Dylan als Einsiedler lebte, und dann später so was wie Arenarock groß wurde, also unnahbare Bands wie Led Zeppelin oder so – das spricht für mich auch für diese These, die sagt, man wollte wieder so'ne Nähe haben ..."
In den 70ern empfanden es viele Musiker als Ehre, gebootlegt zu werden. Mick Jagger, Keith Richards, John Lennon – alle sammelten Bootlegs. Und bei Paul McCartney tauchte der Begriff bereits 1972 in einem Song auf.
Auch wenn viele Musiker Fans waren – die Industrie verstand keinen Spaß und machte Jagd auf Bootlegger. Einmal erwischt mussten sie häufig Geldbußen zahlen, die in keinem Verhältnis zum angeblich angerichteten Schaden standen. Beliebte Bootlegs einfach selbst zu veröffentlichen – auf diese Strategie kamen nur wenige der großen Labels. Bob Dylan machte es vor, als er 1975 24 der Lieder aus den Basement Tapes herausbrachte – allerdings stark überarbeitet. Dass diese Aufnahmen jetzt endlich in ihrer ursprünglichen Form vorliegen, haben wir letztlich den Bootleggern zu verdanken.
Am Ende bleibt die Frage, ob die Wahl, was er veröffentlichen will und was nicht, nicht dem Künstler selbst überlassen werden sollte. Aber: Wenn Anfang des 17. Jahrhunderts die Zuschauer im Globe Theatre nicht Shakespeares Stücke "illegal" mitgeschrieben und veröffentlicht hätten – was hätten wir dann heute von Shakespeare?
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