Politikstil

Wer meckert, fliegt

Der Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau, Philipp Oswalt, aufgenommen im Februar 2014 kurz vor seinem Abschied.
Seine Ideen waren in Sachsen-Anhalt nicht mehr erwünscht - der Ex-Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau, Philipp Oswalt. © picture alliance / dpa / Hendrik Schmidt
Von Susanne Arlt und Christoph Richter · 12.12.2014
Der Rauswurf der Wissenschaftsministerin Birgitta Wolff oder die fehlende Vertragsverlängerung des Ex-Bauhauschefs Philipp Oswalt zeigen: diskussionsfreudige Geister sind in der Politik Sachsen-Anhalts nicht erwünscht. Hier zeigt sich ein demokratisches Defizit, das auch der Konsenskultur der DDR-Diktatur geschuldet ist.
Alle zwei Jahre müssen die Sachsen-Anhalter auf die Couch. Politisch verordnet sozusagen. Im sogenannten Sachsen-Anhalt-Monitor werden Befindlichkeiten erfragt. Wie ist zum Beispiel ihre Einschätzung zur wirtschaftlichen Lage des Landes, wie ihre Einstellung zur Demokratie oder wie groß ist ihr Vertrauen in die heimischen Politiker. Kurz: eine Psychoanalyse des Wahlvolkes. Vor einem Monat war es wieder soweit.
Tenor diesmal: Die Verbundenheit der Sachsen-Anhalter mit der Heimat ist merklich abgekühlt. Der Ministerpräsident Reiner Haseloff nahm es gelassen. Freute sich stattdessen über die zwei Drittel der Befragten, die ihre wirtschaftliche Lage inzwischen durchaus positiv sehen.
Es gab noch eine positive Nachricht: Eine breite Mehrheit findet, die Demokratie sei die beste aller Staatsformen. Ein paar Seiten später kann man allerdings lesen, dass nur noch ein Viertel von ihnen auch der Meinung ist, dass die Demokratie gut funktioniert. Womöglich liegt das am hiesigen Politikstil. Denn…
"Wer meckert, der fliegt."
Wulf Gallert, Fraktionsvorsitzender der Linkspartei, braucht nur wenige Worte, um den Führungsstil von Ministerpräsident Reiner Haseloff zu beschreiben. Der Oppositionspolitiker bezieht sich auf den Rauswurf der ehemaligen Wirtschafts- und Wissenschaftsministerin Birgitta Wolff. Aber der Satz lässt sich verallgemeinern. Nicht nur in der Politik, auch in der Kultur haben es widerspenstige Geister nicht leicht. Wer quer denkt, und das auch noch öffentlich, wer es liebt, zu argumentieren und nicht zu parieren, der wird in Sachsen-Anhalt schnell zum Außenseiter.
Dabei ist Birgitta Wolff alles andere als eine Querulantin. Die 49-Jährige ist humorvoll, eloquent, nie aufdringlich und frei von Eitelkeit. Und sie war das wohl weltgewandteste Kabinettsmitglied, das Sachsen-Anhalt bislang gesehen hatte. Die habilitierte Betriebswirtschaftlerin studierte in München und Harvard, lehrte später an der Georgetown University in Washington. Zwei Jahre lang leitete sie im Magdeburger Kabinett das Wirtschafts- und Wissenschaftsressort. Und das ziemlich erfolgreich. Das fand auch der Deutsche Hochschulverband. Er kürte sie zwei Mal zur beliebtesten Wissenschaftsministerin des Jahres. Im vergangenen Jahr wagte sie es dann, die Sparpläne der Landesregierung für den Hochschulbereich in Frage zu stellen. Um der Sache willen. Im Kabinett kam das nicht gut an.
Birgitta Wolff: "Die akademische Verspieltheit und die Liebe zum zwanglosen Zwang des besseren Arguments habe ich halt auch in der Politik nicht ganz ablegen können und wollen. Das kann für andere, die in einem anderen Entscheidungsmodus sind, vielleicht einfach nervig sein und als systemfremd empfunden werden."
Birgitta Wolff, ehemalige Kultusministerin von Sachsen-Anhalt
Birgitta Wolff, ehemalige Kultusministerin von Sachsen-Anhalt© imago/Lutz Winkler
Genervt hat sie vor allem den Ministerpräsidenten und den Finanzminister Jens Bullerjahn. Der SPD-Politiker wollte den Unis in den kommenden zehn Jahren 50 Millionen Euro abtrotzen. Birgitta Wolff schlug stattdessen eine sanftere Kürzung vor. So etwas aber wollten weder der Ministerpräsident noch sein Finanzminister hören, geschweige denn darüber diskutieren.
"Ich war es halt nicht gewohnt, so Machtansagen zu bekommen. Die dann auch vom Ton relativ heftig rüberkamen von der Stimme her. Also auf Argumente reagiere ich eigentlich sehr gut. Aber das waren ja eigentlich die Argumente, die ich eher gebracht habe und dann kam er, ist mir egal, sieh zu wie du die Einsparvorgaben packst. Aber in einem Bereich, der 80 bis 85 Prozent Personalkosten hat geht das schlichtweg nicht. Das habe ich halt versucht vorzurechnen und das ist aber nicht auf fruchtbaren Boden gefallen, sondern hat eher zu aggressiven Gegenreaktionen geführt."
Über ihre Bedenken hat sie mit Lokaljournalisten gesprochen. Es ging ihr schließlich um die Sache. Für den Ministerpräsidenten war das zu viel. Das Vertrauensverhältnis sei gestört, ließ Reiner Haseloff sie wissen und katapultierte sie kurzerhand aus dem Kabinett. Der CDU-Mann teilte ihr das aber nicht in einem persönlichen Gespräch mit, sondern am Telefon. Vielleicht hatte er insgeheim gehofft, dass mit einer direkt nach dem Telefonat einberufenen Pressekonferenz und der Präsentation ihres Nachfolgers schnell Gras über die Sache wachsen würde. Dem war aber nicht so.
In Internetforen und auf den Leserbriefspalten der Zeitungen erbosten sich Bürger: Solch ein Politikstil sei provinziell, engstirnig, autoritär! Birgitta Wolff musste trotzdem gehen, kehrte zurück an ihren Lehrstuhl für Internationales Management an der Otto-von-Guericke-Universität. Ihren Ausflug in die Politik habe sie aber nicht bereut, sagt die 49-Jährige. Sie habe viel gelernt, auch wie schnell und knallhart Politik sein kann. Und dass es dort eben nicht immer um die besseren Argumente geht, sondern vor allem um politische Ambitionen. Diskutieren oder gar konstruktiv streiten, das war im Magdeburger Kabinett unerwünscht.
"Das fand ich menschlich ziemlich frustrierend. Vielleicht ist eine gewisse Neigung bei manchen Leuten, dann sozusagen die autoritäre Karte zu ziehen, um Streit zu entgehen ja auch noch ein Reflex auf eine Art von Harmoniesucht. Gar nicht nur aus Angst davor, nicht das bessere Argument zu haben, sondern vielleicht einfach auch, dass man selber diese Art der Streitbeendigung als harmonischer empfindet als so einen Intellektuellendiskurs wirklich mal auszufechten."
Birgitta Wolff wirkt ratlos. Ringt ein paar Sekunden nach den richtigen Worten und grinst dann verschmitzt. Eigentlich sei es doch schlau, sich alle Argumente anzuhören.
"Und es ist auch ein Zeichen von Souveränität."
Aber das, betont sie am Ende des Gesprächs, sei eben auch eine Frage des persönlichen Führungsstils.
Diskussion über schrumpfende Städte nicht erwünscht
Zum Abschied im Februar hat Philipp Oswalt, der einstige Bauhaus-Direktor, noch mal groß auftischen lassen. Es gab Feldsalat, feinsten Winterkabeljau in Pergament gegart, Wiener Tafelspitz und Crêpes Suzette. Ein nobler Rahmen für das Finale eines großen Missverständnisses.
"Ganz wichtig war, das Haus neu in der Stadt zu verorten. Jeder der zum Bauhaus kommt, erwartet nicht nur Erbe, sondern auch Gegenwart, eine Ausbildungspraxis. Das haben wir trotz Kürzungen der Landesregierung versucht auszubauen."
Der Architekturhistoriker Oswalt – ein hagerer Mann – hat sich in der Fachwelt einen Namen gemacht. Weil er den demografischen Wandel, das Problem der schrumpfenden Städte, das Leben in ländlichen Regionen offen thematisiert. Fragen stellt, eigene Ansätze entwickelt. Eigentlich wurde er dafür 2009 auch als Direktor der Bauhaus-Stiftung nach Dessau geholt. Er sollte die Institution der Moderne aus dem Dornröschenschlaf wecken, sie neu beatmen. Doch schnell zeigt sich, dass das gar nicht wirklich gewollt war, erzählt Philipp Oswalt.
"Das heißt, es gibt nicht die Bereitschaft argumentativ die Dinge abzuwägen, um dann in einem Prozess mit Leuten, die vielleicht auch verschiedener Ansicht sind, zu einer Conclusio zu kommen."
Nicht die dynamische Moderne stehe in Sachsen-Anhalt im Vordergrund, sondern die konservierte bürgerliche Welt eines Luther oder Cranach.
Einer der inhaltlichen Knackpunkte: Im Rahmen eines Zukunftsszenarios mit dem Titel "Wie lebt Sachsen-Anhalt 2050" hat Oswalt neue Konzepte für die Altmark, eine der am dünnsten besiedelten Regionen Deutschlands erarbeitet. Gab Denkanstöße, fragte, ob es sinnvoll, möglich beziehungsweise finanzierbar sei, in demografischen Krisenregionen wie der Altmark, das gesamte Programm der klassischen Daseinsvorsorge vorzuhalten. Oswalt sprach von Selbstüberlassungszonen; Regionen in die nur noch Menschen ziehen, die die Abgeschiedenheit lieben. Die Altmark als Wildnis? Die Reaktion kam prompt:
"Dieses hat, wie mir zugetragen wurde, aber keiner offen gesagt hat, hat die CDU-Fraktion im Land total verstört. Insofern stand Minister Dorgerloh gar nicht so allein da, mich abzuservieren. Es gab auch Wünsche seitens der CDU, dass es zu einem Wechsel kommt, weil man völlig genervt war von der Geschichte."
Natürlich hätten wir dazu gerne jemand von der CDU gesprochen, doch keiner war bereit, sich zu äußern. Auch nicht CDU-Landeschef Thomas Webel oder Ministerpräsident Reiner Haseloff. Philipp Oswalt rutscht auf dem Stuhl unruhig hin und her.
"Also das Bauhaus war immer ein Streitobjekt gewesen. Es gibt dieses wunderbare Zitat von Albers, der war gut befreundet mit Kandinsky und sagte: 'Das schöne am Bauhaus war, wenn Kandinsky Ja gesagt hat, dann hab ich Nein gesagt und umgekehrt. War halt deswegen produktiv, weil wir andere Ansichten vertreten haben und darüber gerungen haben.' Das war eigentlich die Kraft dieser Institution, die sie auch ausgemacht hat. Eben gerade die unterschiedlichen Blickweisen zusammenzubringen und über das Streitgespräch im konstruktiven Sinne, zu neuen Dingen zu kommen. Dafür muss so eine Institution wie Stiftung Bauhaus stehen."
Vertragsende trotz namhafter Unterstützer
Wollte Ex-Bauhauschef Oswalt auch, kam aber nicht gut an, sagt er. Weshalb ihm wohl Sachsen-Anhalts SPD-Kultusminister Stephan Dorgerloh den Vertrag im Frühjahr 2013 völlig überraschend nicht verlängert hat. Eine Welle der Empörung schwappte über Sachsen-Anhalt. Namhafte Persönlichkeiten wie Barry Bergdoll, der Chefkurator des New Yorker MoMA oder Chris Dercon, Direktor an der Londoner Tate Modern, kritisierten den Umgang des Kultusministers mit Philipp Oswalt.
"Wenn wir nur Erfüllungsgehilfen der Politik sind, sozusagen als Tourismusagentur, ja dann unterstellen sie doch den ganzen Quatsch dem Wirtschaftsministerium, dann brauchen wir von Kultur aber nicht mehr zu reden."
Oswalt hat man es von Seiten der Landesregierung auch mächtig übel genommen, dass er seinen Hauptwohnsitz nicht in Dessau hatte. Sprachlos ist Oswalt heute noch, als man ihm sagte, er möge nicht immer so ungepflegt erscheinen. Das ist doch eine Unverschämtheit ruft Oswalt, dessen eine Hemdspitze im Pullover steckt, dessen äußeres Erscheinungsbild zuweilen durchaus etwas Verhuschtes hat. Selbstkritische Äußerungen sind nur selten aus seinem Mund zu hören.
"Ich meine, worum geht’s. Geht’s darum, dass man eine gute Arbeit macht oder, was weiß ich, dass ich mit weißen Hemd und Krawatte rumlaufe…"
Der Streit der letztlich aber alles eskalieren ließ, war die Debatte um den Standort des Museumsneubaus. Ein Prestigeobjekt des Landes Sachsen-Anhalt. Während sich gar der renommierte Architekt David Chipperfield für einen Standort in unmittelbarer Nähe zu den Meisterhäusern aussprach, hielt SPD-Kultusminister Stephan Dorgerloh stoisch daran fest, das Museum in Dessaus Innenstadt zu bauen. Ein Streit, der nach Meinung Oswalts nie debattiert, sondern nur in gegenseitigen Verletzungen und gestreuten Gerüchten ausgefochten wurde.
"Das sind Prozesse, die hab ich mir nicht vorstellen können."
Kultusminister weist Vorwürfe vehement zurück
Kultusminister Stephan Dorgerloh streitet Letzteres vehement ab. Was Philipp Oswalt ihm da vorwerfe, stimme nicht. Es habe sehr wohl eine Debatte um den Standort des Museumsneubaus gegeben. Anderthalb Jahre lang habe man in offenen Diskussionen und Beratungen um eine Entscheidung gerungen. Letztendlich habe der Stiftungsrat für den Standort in der Innenstadt votiert, weil das städtische Grundstück die wirtschaftlichste und sinnvollste Variante sei, meint Dorgerloh.
Dabei warnte zeitgleich der Landesrechnungshof vor ökonomischen Risiken, vor einem Anstieg der Baukosten um fast die Hälfte. Für Kultusminister Dorgerloh nicht nachvollziehbar. Er glaube fest daran, sagt er, dass das Museum zum 100-jährigen Bauhausjubiläum in gut vier Jahren rechtzeitig eingeweiht werde. Allerdings findet auch Kultusminister Dorgerloh, dass die offene Streitkultur in Sachsen-Anhalt noch ausbaufähig sei – gerade wenn es um politische Entscheidungen gehe.
"Ich persönlich kann mir vorstellen, dass da mehr diskutiert wird und manchmal auch mehr Kontroverse herrscht, und denke, das täte der Politik insgesamt, auch der Positionsfindung und auch der argumentativen Tiefe von Politik gut."
Im Fall von Ex-Bauhaus-Direktor Philipp Oswalt hatte der Stiftungsrat allerdings auch entschieden, den Grund für seine Nicht-Verlängerung geheim zu halten. Genau das entspricht ja nun nicht gerade einer offenen Diskurskultur? Dorgerloh nickt. Mit dieser Schieflage müssen er und der Stiftungsrat nun leben. Der Rat sei nun mal Oswalts Vorgesetzter gewesen. Öffentliche Personaldebatten schieden daher aus. Man habe ihn aber mit dieser Entscheidung nicht maßregeln wollen, nur weil er weiterhin tatkräftig einen anderen Standort favorisierte. Es ging in dieser Entscheidung nie um seine künstlerischen Fähigkeiten, sondern vielmehr um die Frage, wie er sein Hause leite und verwalte. Darum habe man ihm schließlich eine Art Doppelspitze angeboten: Er bleibt künstlerischer Leiter, ein anderer wird geschäftsführender Direktor. Das habe Oswalt aber abgelehnt.
Der sachsen-anhaltische Kultusminister Stephan Dorgerloh (SPD)
Der sachsen-anhaltische Kultusminister Stephan Dorgerloh (SPD)© imago/Christian Schroedter
"Wir haben ihm auch Mut gemacht, sich zu bewerben, das hat er auch getan. Und hat sich dann aber in der Bewerbung wirklich mit Abstand nicht durchsetzen können."
Widerrede Oswalt. Man habe ihm solch ein Angebot nie unterbreitet. Gleiches sagt auch ein weiteres ehemaliges Stiftungsratsmitglied. Oswalt ergänzt: Er habe damals, als über seine Personalie entschieden werden sollte, mehrfach versucht einen Termin beim Kultusminister zu bekommen, um über die Probleme und Differenzen zu sprechen. Kam einfach nicht zustande, sagt Ex-Bauhauschef Oswalt auf Nachfrage. In seinen Augen ein weiteres Indiz mangelnder Konfliktfähigkeit.
Intendant André Bücker nickt mit dem Kopf. Dieser Umgang komme ihm bekannt vor, sagt der Noch-Intendant des Anhaltischen Theaters in Dessau. Über die Stationen Bochum, Dortmund und Halberstadt ist er 2008 nach Dessau gekommen.
"Ja, ich glaube, das ist so eine Einstellung, die Theater bekommen schließlich Geld von uns, dann sollen sie aber auch den Mund halten. Und nicht so aufmucken."
André Bücker galt als einer der schärfsten Kritiker der Theatersparpläne der Landesregierung in Sachsen-Anhalt. Auch weil sein Theater 2013 mit knapp drei Millionen Euro, das größte Streichopfer war, obwohl man nach eigenen Angaben 205.000 Euro Gewinn einfahren konnte.
Situation in Sachsen-Anhalt mit Bettleroper pointiert karikiert
219 Jahre und über alle Systeme hinweg konnte das Theater leben und überleben. Aber die SPD wollte das wohl nicht, sagt Bücker. Er hat Wut im Bauch, weshalb er kurzerhand auch Kurt Weills Beggars Opera ins Programm gehoben hat.
Aus der Bettleroper hat Bücker ein pralles Unterhaltungstheater gemacht, das die kulturelle Situation in Sachsen-Anhalt pointiert karikiert und kommentiert. Kam in der Staatskanzlei in Magdeburg überhaupt nicht gut an.
"Der ehemalige Oberbürgermeister hat mir immer wieder gesagt, dass der Ministerpräsident ihn mehrfach aufgefordert habe, er solle mich jetzt endlich rausschmeißen. Und ich finde das schon einen ziemlich interessanten Vorgang, wenn der Ministerpräsident eines Landes, den Oberbürgermeister eines seiner Oberzentren auffordert, den Theaterintendanten rauszuwerfen."
Hat gefruchtet, sagt Bücker sarkastisch. Seit diesem Sommer regiert ein neuer Oberbürgermeister in Dessau. Eine der ersten Amtshandlungen von FDP-Politiker Peter Kuras: Statt Bücker zu verlängern, entschied sich Kuras für eine Neu-Ausschreibung.
"Meine Person soll dem Land schwer vermittelbar sein", habe er ihn anschließend wissen lassen, sagt Bücker. Natürlich haben wir Sachsen-Anhalts CDU-Ministerpräsidenten Reiner Haseloff gefragt, ob er etwas zu diesen Vorwürfen sagen wolle. Doch stattdessen bekamen wir vom Regierungssprecher Matthias Schuppe lediglich die Antwort, dass ein Gespräch in dieser Sache, Zitat "nicht sehr sinnig sei".
Das beleuchtete Anhaltische Theater Dessau in Dessau-Roßlau (Sachsen-Anhalt)
Das Anhaltische Theater Dessau: Der Intendant passte dem Ministerpräsidenten nicht - und musste gehen.© picture alliance / dpa / Sebastian Willnow
Wer etwas über den Umgang sachsen-anhaltischer Politiker mit Querdenkern erfahren will, bekommt ungewöhnliche Geschichten zu hören. So ist es einem selber schon passiert und auch zahlreichen Kollegen, Rektoren und Filmemachern. Dass der Minister oder der Ministerpräsident Reiner Haseloff höchstpersönlich eine SMS schickt oder anruft, wenn die Berichterstattung nicht gefällt. Der Magdeburger Politologe Wolfgang Renzsch attestiert der Landesregierung mangelndes Fingerspitzengefühl. Und ergänzt, dass Ostdeutschland die 68er-Revolte fehle, als man im Westen aufstand, um gegen Konventionen und autoritäre Strukturen zu rebellieren. Eine ähnliche Kulturrevolution hat es in der DDR nicht gegeben.
"Ja, das ist richtig. 68 ist an Ostdeutschland vorbeigegangen. Da haben wir gelernt uns miteinander zu fetzen. Dass man Argumente auch heftig austauscht und hinterher trotzdem ein Bier miteinander trinken kann."
Der Psychoanalytiker Jörg Frommer hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Der Endfünfziger ist im beschaulichen Schwaben aufgewachsen. Als er Mitte der 90er-Jahre nach Magdeburg zog, erinnerte ihn dort viel an seine eigene Kindheit aus den frühen 1960ern. Die Verkniffenheit, die Verbissenheit, das fehlende freundliche, offene Lachen. Für die Westdeutschen endete die Diktatur nach 1945. Für die Ostdeutschen begann damals eine neue, zweite Phase der Unterdrückung. Diktaturen erzeugten vor allem Angst, sagt Frommer, und das bleibe in der Gesellschaft nie ohne Folgen. Schon Ende der 1920er-Jahre hätten die Soziologen Adorno, Horkheimer und Fromm erkannt,…
"… dass die Fähigkeit verloren geht, widersprüchliche Gedanken, widersprüchliche Vorstellungen zu ertragen. Also ein Zwang zur Vereindeutigung. Also dieses Unentschieden sein, etwas in der Schwebe halten, dieses Abwägen, das Dazwischensein, sich die Position erst langsam erarbeiten und überlegen auch in Diskussionen mit anderen, das bleibt auf der Strecke."
Erlerntes wird so schnell nicht wieder vergessen. Der geistige Übergang von einer Diktatur in eine Demokratie dauert oft Jahrzehnte. Lernprozesse geschehen über Generationen. Das war im Westen nicht anders, meint Frommer, der seine Aussagen nicht eins-zu-eins auf die sachsen-anhaltische Landesregierung verstanden wissen will.
"Das Fremde macht dem autoritär geprägten Menschen Angst"
"Das erfordert hohe, persönliche Fähigkeiten, eben auch das Widersprüchliche auszutragen, es ineinander in Beziehung zu setzen. Auch mit Menschen zu kommunizieren, die eine andere Auffassung haben als man sie selber hat. Wenn dies alles nicht so tief verwurzelt gelernt ist, dann macht andere Meinung Angst. Das Fremde macht dem autoritär geprägten Menschen Angst und er muss versuchen, das Fremde zu bannen, das Fremde zu bekämpfen, das Fremde auszugrenzen."
Jan-Hendrik Olbertz, er war vor Birgitta Wolff acht Jahre lang Wissenschaftsminister in Sachsen-Anhalt. Heute leitet er die Berliner Humboldt-Uni. Die jetzige Kabinettskonstellation möchte er nicht beurteilen. Aber in der vorherigen Landesregierung unter Ministerpräsident Böhmer wurden Widerspruch und Debatte geduldet, erinnert er sich.
"Und das wurde natürlich moderiert, das hat der Ministerpräsident gemacht. Und ich glaube ziemlich sensibel darauf geachtet, dass sowohl die beste Lösung als auch ein kluger Ausgleich dabei zustande kam."
In Sachen Streitkultur sei Berlin wilder und rücksichtloser, allerdings auch kreativer, findet der Humboldt-Präsident. Die Menschen in Sachsen-Anhalt schätzten eher den Konsens. Das liege sicher an den unterschiedlich-biografischen Mustern. Den zwei aufeinanderfolgenden Diktaturen. Auch für ihn, der aus Ostdeutschland stammt, hat die Konsenskultur einen hohen Wert. Doch im Laufe seines zweiten Lebens in einer demokratischen Gesellschaft habe er gelernt, dass im Dissens viel produktive Kraft liege. Es gebe aber auch Menschen, die den Dissens mit Kontrollverlust und Machtverlust gleichsetzten.
"Je weniger sie einen Dissens aushalten und in der Lage sind, ihn produktiv zu wenden und zu nutzen, desto mehr steht ihre Souveränität in der Sache selbst in Frage. Also wer hält das aus und gewinnt dem etwas ab und wer empfindet es als unerträglich und reagiert dann sogar im Affekt und anschließend ist der Konflikt weg aber auch die ihn austragenden Parteien. Man kann Konflikte ja nicht nur lösen, indem man Leute in die Wüste schickt."
Sonst entsteht eine politische und intellektuelle Ödnis, die sich wie Mehltau auf die zivile Entwicklung eines Landes legt. Was sehr schade wäre, findet der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates Olaf Zimmermann. Denn Sachsen-Anhalt habe so viel zu bieten…
"Wenn ich die Verantwortung in Sachsen-Anhalt hätte, ich würde mit Kultur, mit Kultur, mit Kultur werben."
Empfehlungen für künftige Kulturpolitik wurden kaum diskutiert
In Sachsen-Anhalt teilen aber die wenigsten Politiker diese Meinung, musste Olaf Zimmermann schmerzlich feststellen. Auf Bitten des Landes moderierte er ehrenamtlich den sogenannten Kulturkonvent. Das 36-köpfige Gremium sollte Empfehlungen für die künftige Kulturpolitik entwickeln. Von den Vorschlägen wurde aber nur wenig bislang umgesetzt. Sie wurden noch nicht einmal diskutiert, ärgert er sich im Nachhinein.
"Das hätte auch eine strittige Debatte sein können. Aber ich finde, wenn der Landtag einen Auftrag gibt, dann muss er sich auch nachher damit beschäftigen. Es gab eine kurze Debatte im Kulturausschuss des Landes, aber die ist eben nicht in den Landtag getragen worden. Und das war ich bisher bei anderen Konvents, die ich auf der Bundesebene gemacht habe, war das immer klar gewesen. Das habe ich ein bisschen vermisst, weil ich finde, das gehört zur demokratischen Kultur dazu."
Genauso gehöre ein gesundes Maß an Streitkultur dazu, sagt Olaf Zimmermann. 25 Jahre nach dem Mauerfall gebe es noch streitkulturelle Unterschiede zwischen Ost und West. Dies sollte man bundesweit endlich einmal thematisieren. Denn der unterschiedliche Umgang mit Konflikten habe Auswirkungen auf die politischen Entscheidungsprozesse. Darin ist er sich sicher. Staatliche Strukturen werden übermächtig und wer aufmuckt, der wird entweder rausgeschmissen oder dem wird der Vertrag eben nicht verlängert.
"Das ist ein problematisches Signal. Ich glaube aber, das Problem liegt daran, dass wenn ich einem Staat Macht gebe, er diese Macht immer nutzt. Und deswegen ist die Bevölkerung nicht unschuldig daran. Wo war der große Protest bei der Nichtverlängerung des Vertrages von Herrn Oswalt? Ja in der Frankfurter Allgemeinen und in der Süddeutschen Zeitung, das heißt im großen Feuilleton in Deutschland, die haben protestiert, aber in Sachsen-Anhalt da war alles ruhig. Und das ist ein Problem in Sachsen-Anhalt, weil eben zu wenige Leute da sind, die auch mal die Majestäten beleidigen."
In einer Demokratie werden zum Glück keine Köpfe mehr abgeschlagen. Also liebe Sachsen-Anhalter, gebietet den Majestäten mehr Einhalt. Streitet mit ihnen, diskutiert mit ihnen, stellt ihre Entscheidungen in Frage. Denn sonst gehen diesem wunderbaren Kultur-Land noch mehr kreative Köpfe verloren. Und das kann sich hier eigentlich niemand leisten.
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