Bommert: Neuer Kurs zur Bekämpfung des Hungers unwahrscheinlich

Wilfried Bommert im Gespräch mit Katrin Heise · 13.11.2009
Der Ernährungsexperte Winfried Bommert rechnet nicht mit einem Strategiewechsel im Kampf gegen den Hunger nach dem Welternährungsgipfel am kommenden Montag in Rom. Der Leidensdruck der Industrieländer, die den Kurs der Welternährungsorganisation bestimmen, sei noch nicht groß genug, sagt der Autor des Buches "Kein Brot für die Welt".
Katrin Heise: Der Hunger auf der Welt sollte halbiert werden bis zum Jahr 2015. Das hatten sich die Vereinten Nationen vorgenommen, zuletzt auf ihrem Milleniumsgipfel. 2015, das ist, wenn Sie mal kurz nachrechnen, in gut fünf Jahren, aber wir sind natürlich weit von diesem Ziel entfernt. Die Zahl der schlecht ernährten Menschen wächst, schneller sogar noch als die der Weltbevölkerung. Ab Montag will der Welternährungsgipfel in Rom Strategien gegen den Hunger suchen. Es ist höchste Zeit. Ich spreche gleich mit Wilfried Bommert, er hat das Buch "Kein Brot für die Welt" geschrieben.

Ab Montag wird auf dem Welternährungsgipfel in Rom nach neuen Strategien gegen die Unterernährung gesucht, eine Bedrohung, die ein Sechstel der Weltbevölkerung betrifft. Jedes Jahr sterben weltweit allein zwischen 3,5 und 5 Millionen Kinder, weil sie mangelernährt sind. Der Journalist, studierte Agrarwissenschaftler und Autor des Buches "Kein Brot für die Welt", Wilfried Bommert, befürchtet, dass sich diese Tendenzen noch verschärfen und wir auf eine Ernährungskrise neuer Ausmaße zusteuern. Ich begrüße ihn jetzt am Telefon, schönen guten Tag, Herr Bommert!

Wilfried Bommert: Tag, Frau Heise!

Heise: Der Klimawandel und die Weltwirtschaftskrise treffen, das wissen wir, zuallererst immer die armen Länder dieser Welt. Sind das die Gründe für Ihre Befürchtung, dass es noch schlimmer, viel schlimmer wird?

Bommert: Also, Klimawandel und Wirtschaftskrise sind sozusagen das, was oben draufkommt. Der Grund, warum ich wirklich Angst um die Zukunft der Welternährung habe, liegt in den Fundamenten der Welternährung, und wenn man sich die mal anschaut, dann stellt man fest: Die sind massiv bröcklig geworden im Laufe der Zeit. Wir ernähren uns ja nicht von Pflanzen, sondern die Pflanzen wachsen irgendwo auf dem Boden, auf der Erde, auf Äckern, und die Äcker der Welt, wenn man sie sich mal anschaut, sind im Laufe der letzten 40 Jahre massiv geschwunden, zum Teil unbrauchbar geworden. Ungefähr ein Drittel dessen, was wir als fruchtbares Ackerland betrachtet haben auf der Welt, ist mittlerweile nicht mehr so fruchtbar, wie es mal war. Das liegt zum großen Teil an den Bewirtschaftungsmethoden, die angewandt werden. Zum Teil fliegt der Boden durch die Bewirtschaftung einfach davon, wenn man ihn offen liegen lässt, der wird vom Regen einfach davongeschwemmt, oder er wird versalzen durch alte, antiquierte Bewässerungsmethoden, und das führt dazu, dass wir eigentlich weniger Boden haben, als wir haben müssten, um die Weltbevölkerung zu ernähren.

Heise: Sie haben eben die Bewässerung genannt, auch das Wasser wird ja immer knapper und die Pflanzen werden dadurch natürlich immer weniger, so wie Sie es auch gesagt haben. Aber im Agrarbereich, da sollte doch seit Jahren geforscht werden, um widerstandsfähige und anspruchslose Pflanzen zu züchten, mit denen man dann das Ernährungsproblem in den Griff bekommt. Wie ist denn da der Stand?

Bommert: Sollte, sagen wir, das, was sonntags vorgetragen wird, was alltags gemacht wird, ist was anderes. Alltags werden die Forschungsetats der Forschungsinstitutionen, die sich darum kümmern sollten, zusammengestrichen und sie sind massiv, weltweit, an den Universitäten der Welt zusammengestrichen worden, ungefähr um 70 Prozent. 30 Prozent sind noch über, und mit diesem, was übrig ist, kann man eigentlich nicht vernünftig forschen. Die Forscher versuchen es dennoch, aber es kommt eigentlich nicht das heraus, was sie brauchen, zumindest kommt nichts da raus hervor, was sie in die industrielle Verwertungskette einbringen können. Denn die industrielle Verwertungskette wird wiederum von vier Konzernen auf der Welt bestimmt und die bestimmen am Ende, was als Saatgut auf den Äckern ausgesät wird und das ist nicht das, was resistent ist gegen Trockenheit, gegen Hitze oder gegen bestimmte Schädlinge, sondern deren Saatgut ist meistens nur resistent gegen ihre eigenen Pestizide. Dann können sie es im Doppelpack verkaufen und auf diese Art und Weise werden Geschäfte gemacht. Aber mit dem, was in Zukunft das Problem sein könnte, nämlich, dass weniger Pflanzen mit schlechteren Bedingungen auf ihren Äckern auskommen müssen, mit dem beschäftigen sich diese Unternehmen nicht.

Heise: Und das heißt, wir geraten auch immer mehr in die Abhängigkeit von diesen Unternehmen, was dann eben auch diese ganzen Monokulturen und so weiter anbetrifft?

Bommert: Die Weltlandwirtschaft jedenfalls, die industrielle Landwirtschaft ist voll im Griff dieser Unternehmen. Vier Unternehmen bestimmen, was auf etwa 80 Prozent der Ackerflächen in den Industrieländern angebaut wird. Nur noch von zwölf Pflanzen insgesamt lebt unsere Welt, so knapp ist es geworden.

Heise: Haben Sie gesagt, zwölf Pflanzen?

Bommert: Von zwölf Pflanzenarten, von zwölf Pflanzenarten. Und wenn von diesen Arten, die auf großen Flächen angebaut werden, wenn in diese Flächen ein Krankheitserreger reinkommt, dann hat der natürlich sofort die ganze Fläche im Griff, das ist so bei uns ähnlich wie bei der Grippe, und in dem Moment brechen natürlich die Erträge zusammen und die Ernten werden weniger und das ist das Risiko dieser Art von Struktur, die wir haben.

Heise: Jetzt haben wir nur auf die eine Seite geguckt, nämlich sozusagen auf das, was am Angebot eben immer weniger wird – aber die Nachfrage, die steigt.

Bommert: Die Nachfrage wird massiv steigen, dafür sorgt schon auf der einen Seite die Weltbevölkerung, die noch mal – Sie haben es vorhin schon gesagt – um drei Milliarden ungefähr wachsen wird, das ist etwa ein Drittel. Gleichzeitig wird diese Weltbevölkerung aber mehr Fleisch essen, und darin liegt ein weiteres Problem, denn Fleisch zu essen kostet viel Getreide. Ein Kilo Rindfleisch zum Beispiel kostet ungefähr neun Kilo Getreide, beim Schwein sind es vier Kilo, beim Huhn sind es zwei Kilo. Also, wer Fleisch isst, isst mehr Getreide, und damit braucht man auch mehr Getreide, und dieses Getreide ist eigentlich kaum zu machen auf den Weltäckern. Und hinzu kommt noch die Strategie der Industrieländer, dass sie sagen, wir wollen weg vom Rohöl, wir müssen uns Biosprit-Möglichkeiten erschließen, und die bauen nun auf diesen Getreidefeldern auch noch Spritpflanzen an. Das verringert natürlich das Potenzial der Felder, ein Teil dessen, was eigentlich als Brot geerntet werden sollte, wird in Zukunft als Sprit geerntet werden und verknappt damit noch die Welternten.

Heise: Der Kampf gegen den Hunger, ich spreche mit dem Autor des Buches "Kein Brot für die Welt", Wilfried Bommert. Herr Bommert, welche Mittel hat denn die FAO, die Welternährungsorganisation, dagegen anzugehen?

Bommert: Deklarationen und warme Wünsche. Die Welternährungsorganisation wird sich ja ab Montag treffen und der warme Wunsch heißt, dass man jetzt nicht nur bis 2015 den Hunger halbieren will, sondern dass man ihn bis 2025 jetzt ganz ausrotten will. Das sind absolut illusorische Ziele, muss man sagen, und die Institution sagt es einem auch selbst, wenn man in ihre Papiere reinguckt, da steht nämlich drin, dass sie den Herausforderungen der Welternährung in den nächsten Jahrzehnten überhaupt nicht mehr gewachsen ist. Und sie sagt: Wir müssen eigentlich die FAO auflösen, wir müssen eine neue Welternährungsorganisation bekommen und die muss auch mit einer ganz neuen Strategie arbeiten.

Heise: Bleiben wir doch mal bei der, die wir haben, der Weltorganisation, die wir haben. Deren Generaldirektor wünscht sich eine grüne Revolution für Afrika mit Biotechnologie und modernem Saatgut. Das hört sich so ein bisschen nach Hightech für die Landwirtschaft an. Ist das die Lösung?

Bommert: Also, das ist gestern. Grüne Revolution war in Indien und war in Asien zum Teil, in Indien hat sie sich nicht als sustainable, also als dauerhaft nutzbar erwiesen. Und es ist für Afrika sicher überhaupt keine Lösung, denn um Hochleistungssaatgut anzubauen – und Gentechnikpflanzen sind Hochleistungssaatgut –, braucht man viel Dünger, man braucht viel Wasser und man braucht viel Kapital. Und wer nach Afrika in die Hungergegenden schaut, sieht: Alles drei ist nicht vorhanden. Insofern ist es überhaupt keine Lösung.

Heise: das heißt, die Welternährungsorganisation schreibt selber Dinge auf, die irgendwie gar nicht mehr aktuell sind, und sagt auch selber, dass sie eigentlich nicht mehr die richtige Organisation ist. Sie reisen am Montag nach Rom zum Welternährungsgipfel. Was erwarten Sie, dass da tatsächlich Konsequenzen gezogen werden?

Bommert: Das ist im Vorhinein nicht so genau zu sagen. Es ist immer eine sehr schwierige Gemengelage, es sind ja schließlich 180 Regierungen da am Zuge. Aber wer die Kräfte kennt, die hinter diesen Verhandlungen stecken, der muss doch sagen: Am Ende werden die Industrieländer und in ihnen die großen Industrieinteressen den Kurs bestimmen, auch in der FAO. Und das heißt ganz konkret, dass sie den bisherigen Kurs der FAO, auch wenn er holprig ist und widersprüchlich ist, wahrscheinlich nicht verändern werden, obwohl die FAO aus sich heraus, eine nicht ganz homogene Organisation mehr, aus sich heraus würde sie ihren Kurs gerne verändern. Und der Generalsekretär hat da auch zu kuriosen Mitteln gegriffen. Er hat zum ersten Mal eine Petition ausgeschrieben im Internet, der sich die Weltbevölkerung anschließen kann, um mit dieser Petition nachher den Regierungen gegenüberzutreten und zu sagen, liebe Leute, wir brauchen eine andere Organisation und wir brauchen auch eine andere Strategie in der Welt. Aber ich glaube, die Regierungen werden sich dieser Art von Druck nicht beugen.

Heise: Das hört sich alles ziemlich hoffnungslos an. Worauf würden Sie denn verweisen, was gemacht werden kann?

Bommert: Also, was gemacht werden könnte, wäre sicher ein Programm zur Förderung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft weltweit, denn die ist die einzige, die in den Hungergebieten wirklich in Zukunft dafür sorgen kann, dass die Leute Nahrungsmittel bekommen und das unter Umständen mit geringen Mitteln. Darauf weist der Weltagrarrat hin, dass das möglich ist und dass damit auch eine Ernährungskrise abgewandt werden könnte. Aber bisher sind die Zeichen auf der Welternährungskonferenz nicht so gewesen, dass dieses Konzept überhaupt eine Erfolgschance hat. Ich glaube, der Leidensdruck der Industrieländer muss einfach noch mehr steigen. Die müssen merken, was es heißt, wenn mehr als 20 Prozent der Weltbevölkerung hungert. Das kann zum Beispiel dadurch geschehen, dass bei uns wesentlich mehr Flüchtlinge, Hungerflüchtlinge ankommen. Dann werden plötzlich die Industrieländer merken, oh, da ist ja ein Problem, und dem müssen wir uns zuwenden. Genauso wie sie am Finanzmarkt sich dem Problem zu spät zugewandt haben, wird es wahrscheinlich auf dem Ernährungssektor auch so sein.

Heise: Das heißt, zynisch gesprochen, die Krise ist noch gar nicht groß genug. Auf dem Welternährungsgipfel sollen Strategien gegen den Hunger gesucht werden. Die Hoffnungen stehen allerdings nicht sehr gut. Danke an Wilfried Bommert für diese Informationen. Schönen guten Tag, Herr Bommert!

Bommert: Ich danke Ihnen auch!