Boliviens Lithium-Industrie

Viel Geld ins Salz gesetzt

Blick auf den Salar de Uyuni in Bolivien, den größten Salzsee der Welt
Blick auf den Salar de Uyuni in Bolivien, den größten Salzsee der Welt © picture alliance / dpa / Sergio Goya
Von Christoph Sterz · 31.03.2015
Bolivien, einst ärmstes Land Südamerikas, will Lithium fördern, um Akkus für den Weltmarkt zu produzieren. Das Alkalimetall wird aus dem größten Salzsee der Erde gewonnen, dem Salar de Uyuni. Kritiker beanstanden den Mangel an Nachhaltigkeit.
Ein verglaster Hochhaus-Klotz in La Paz, dem bolivianischen Regierungssitz. Hier, im 19. Stock des Edificio Hansa, wird eines der wichtigsten Projekte des Landes koordiniert: Der industrielle Abbau von Lithium und weiteren Stoffen aus dem Salar de Uyuni, dem größten Salzsee der Erde. Ein wegen der enormen Lithium-Vorkommen vielversprechendes und durch und durch politisches Projekt.
Luis Alberto Echazú: "Wir haben die Angst vor den Drohungen, den Sanktionen und dem ständigen Einmischen der ausländischen Imperialisten verloren. Alle Länder haben das Recht, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen und zum Beispiel ihre Bodenschätze weiterzuverarbeiten. Die Zeit, in der viele Länder nur die Rohstoffe geliefert haben und ganz wenige Staaten die Welt dominiert haben, ist vorbei."
Konstatiert Luis Alberto Echazú, der Chef des staatlichen Lithium-Projekts für das insgesamt rund 300 Menschen arbeiten. Er ist Mitte 60, ein kleiner ergrauter Mann mit Schnurrbart, und mit klarer politischer Linie. Was Bolivien unter den spanischen Kolonialherren passiert ist; mit Enteignungen und der Ausbeutung der eigenen Bodenschätze, das soll sich nicht wiederholen.
Lithium als strategische Ressource
Boliviens erster indigener Präsident Evo Morales hat Lithium deshalb schon vor Jahren als strategische Ressource benannt; er will, dass sämtliche Produktionsstufen komplett in Bolivien ablaufen und nicht im Ausland. Noch gehört Bolivien zu den ärmsten Ländern Südamerikas, aber demnächst will es moderne Akkus für den Weltmarkt produzieren.
Deshalb arbeiten nun im Südwesten des Landes, am Rande des riesigen Salzsees, die ersten Maschinen zur Herstellung von Lithium-Karbonat, dem Ausgangsstoff für die Produktion von Akkus für Smartphones oder Elektroautos.
Raul Martínez: "Vor dem Bau der Pilotfabrik gab es hier keine Straßen, kein Telefon, keinen Strom. Anfang 2013 ist die Lithium-Produktion dann angelaufen. Inzwischen können wir Lithium-Karbonat produzieren, das den Marktstandards genügt. Das müssen wir jetzt nur noch in größeren Mengen hinbekommen, und daran arbeiten wir hier."
Raul Martínez, der junge Pressesprecher der staatlichen Bergbaufirma, führt in roter Schutzkleidung und mit weißem Helm ausgestattet durch die bolivianische Pilotanlage. Doch auch wenn vor allem die riesigen Verdampfungsbecken zur Lithium-Gewinnung beeindruckend groß sind, fast wie Lagunen aussehen: Eine industrielle Produktion, im großen Stil und mit konstanter Qualität, haben die Bolivianer nach zwei Jahren Pilot-Betrieb noch nicht vorzuweisen.
Allein das Zwischenprodukt Kaliumchlorid wird inzwischen in größeren Mengen hergestellt und als Düngemittel auf dem nationalen Markt verkauft. Vom Lithium-Karbonat ist aber noch kein einziges Gramm veräußert worden, und auch bolivianische Akkus gibt es noch nicht im Handel.
Salzsee hat große Hoffnungen geweckt
Damit aber überhaupt erstmal geforscht und gearbeitet werden kann, hat die bolivianische Regierung viel Geld in die Hand gekommen, insgesamt 900 Millionen US-Dollar; fast schon logisch, dass das riesige Projekt besonders rund um den Salzsee, in einer der ärmsten Regionen Boliviens, große Hoffnungen geweckt hat.
Fast drei Stunden ruckelt der Bus über den ausgetrockneten Salzsee, bis er die staubige Kleinstadt Llica erreicht. Llica liegt kurz vor der chilenischen Grenze, mit Blick auf den Salzsee. Hier nahe dem Salar wird vor allem das Andenkorn Quinoa angebaut; wegen der steigenden Nachfrage rechnet sich das inzwischen für die Einheimischen. Sie hoffen, dass es neben Quinoa bald mit Lithium noch eine weitere Einnahmequelle für sie gibt.
Paulino Vilches Vela: "Wir kennen das Lithium-Projekt, wissen, dass es gestartet wurde. Aber wir waren noch nie vor Ort, wir wissen nicht, wie es aktuell läuft. In jedem Fall ist uns das Ganze sehr willkommen, hier in unserer Provinz. Damit es hier demnächst eine Lithium-Firma gibt, die uns Arbeit bringt. Das wäre sehr wichtig."
Paulino Vilches Vela, ein Mann jenseits der 60, fast zahnlos und mit ausgeblichenem Sonnenhut, weiß also wie viele andere Dorfbewohner nicht besonders viel über das Lithium-Projekt; sieht es aber als große Chance.
Ein anderer Quinoa-Bauer, Felix Opala, ist ebenfalls großer Hoffnung. Aber er hat auch davon gehört, dass für eine intakte Lithium-Industrie viel Wasser benötigt wird; nach offiziellen Angaben über 400.000 Kubikmeter pro Monat. Das macht Felix Opala Sorgen, mit Blick auf die so wichtige Quinoa-Ernte.
Felix Opala: "Hier in der Nähe gibt es eine große Mine; Zink, Silber und Blei werden dort abgebaut. Wir haben Informationen darüber, dass die Mine fast unsere kompletten Wasserreserven aufbraucht. Und sowieso ist das hier eine sehr trockene Region. Deswegen sind wir sehr besorgt, wenn sich hier jetzt noch eine große Industrie ansiedelt."
Bürgermeister darf das Gelände nicht betreten
Einer, der diese Sorge teilt, und noch weit darüber hinausgeht, ist Fausto García López, der Bürgermeister von Llica. Er sieht neben dem Quinoa-Anbau auch die zweitwichtigste Einnahmequelle der Gemeinde in Gefahr; den Tourismus.
Bürgermeister Fausto García López: "Sie werden uns zerstören durch dieses Projekt. Viele Touristen kommen hierher, weil sie den Salzsee so sehen wollen, wie er immer war; unverändert, ohne dass er von irgendwelchen Industrieanlagen verschandelt wird. Ich verstehe ja, dass Lithium eine große Zukunft hat. Aber man muss auch über die negativen Folgen nachdenken. Und das betrifft eben besonders uns – also diejenigen, die rund um den Salar leben."
García López ist ein Mann mit kräftiger Statur, der meist gefasst und relativ ruhig spricht. Beim Thema Lithium aber wird er oft laut, fuchtelt mit seinen Händen durch die Luft. Er fühlt sich übergangen, meint, dass die bolivianische Regierung zentralistisch handelt, auf Teufel komm raus eine Industrie aufbaut, ohne zum Beispiel auf mögliche Umweltfolgen zu achten, und keine Rücksicht auf die betroffene Region zu nehmen.
Bürgermeister Fausto García López: "Wir wurden nie gefragt, ob wir so eine Industrie haben wollen. Sogar noch schlimmer: Ich habe zweimal versucht, die Pilotanlagen im Salar zu besichtigen – und beide Male wurden Polizisten auf mich angesetzt. Ich dürfe das Gelände nicht betreten, haben sie gesagt. Dabei bin ich demokratisch gewählt und zuständig für dieses Gebiet. Wir sind sehr besorgt. Das alles geschieht ja erst seit wenigen Jahren. Was wird denn dann wohl erst in 50 Jahren sein? Vielleicht dürfen wir irgendwann den Salzsee gar nicht mehr betreten."
Dass Bürgermeister García López nicht gefragt wurde, liegt auch an einem jahrzehntealten Grenzkonflikt in der Region, zwischen zwei benachbarten Provinzen. Beide beanspruchen den Salzsee für sich. Dieser Konflikt wurde nie gelöst; ist jetzt aber wieder aktuell, weil es um die Frage geht, wer an den möglichen Einnahmen der Lithium-Industrie beteiligt werden muss.
Statt diesen Streit zu lösen oder sich zum Beispiel mit den möglichen Umweltfolgen zu beschäftigen, scheint es für die bolivianische Regierung aber wichtiger zu sein, dass der Traum von der großen Lithium-Industrie jetzt ohne größere Debatten und möglichst schnell Realität wird, im Salar und auch an anderen Orten Boliviens.
Der Taxifahrer fängt an zu schimpfen, als er hört, wohin er fahren soll: zur staatlichen Pilotfabrik für Lithium-Akkus, in der Nähe der Stadt Potosí, nordöstlich des Salzsees.
Salzkruste des "Salar de Uyuni" in Bolivien 
Salzkruste des Salar de Uyuni in Bolivien.© picture alliance / dpa / Foto: Hauke Schröder
20 Techniker machen noch keine industrielle Produktion
Taxifahrer: "Das ist doch die reinste Propaganda, was die da machen! Ein reines Prestige-Objekt! Uns hier in Potosí bringt das überhaupt nichts!"
...schimpft der Mann in seinem klapprigen Taxi und hört damit bis zum Ende der Fahrt nicht mehr auf. Die Akku-Pilotanlage wurde vor rund einem Jahr von Präsident Evo Morales eingeweiht. Sie steht direkt neben einer ehemaligen Zinnfabrik, die schon nach wenigen Jahren stillgelegt werden musste; einem Mahnmal dafür, dass es nicht immer klappen muss mit Industrieprojekten. Juana Olivares, die Chefin der Anlage, lässt sich davon aber ebenso wenig beeindrucken wie von den hämischen Kommentaren vieler Bürger.
Juana Olivares: "Das Problem ist, dass die Leute nicht verstehen, dass für eine zukunftsfähige Industrie erstmal etwas investiert werden muss – dass das eben keine Geldverschwendung ist und dass wir für Forschung und Entwicklung genügend Zeit brauchen. Einen Tag nach der Einweihung der Pilotanlage sind zum Beispiel Bürger aus Potosí vorbeigekommen und wollten uns direkt Batterien abkaufen. Bis wir die herstellen können, dauert es aber noch – und deswegen stoßen wir hier auf wenig Verständnis."
Die Chemieingenieurin bittet zum Gang durch die Mini-Fabrik, die von einer chinesischen Firma schlüsselfertig aufgebaut wurde. Routiniert spult Olivares sämtliche Daten ab und erklärt den Herstellungsprozess. Bei kritischen Nachfragen wirkt sie erst leicht genervt, weil sie vermutlich schon Dutzende Male ihr Projekt gegen Kritik verteidigen musste. Dann aber antwortet sie ausführlich, warum zum Beispiel das, was die ungefähr 20 Techniker und Ingenieure in der Anlage machen, noch längst keine industrielle Produktion ist.
Juana Olivares: "Wir haben in Bolivien einen technischen Rückstand von mindestens 30 Jahren. Wir müssen erstmal verstehen, wie die einzelnen Arbeitsschritte ablaufen. Deswegen machen wir hier alles in Handarbeit, damit wir lernen und nachvollziehen können, was später die Maschinen für uns erledigen werden. Die Chinesen haben uns quasi ein Rezept da gelassen – das nehmen wir uns jetzt vor und probieren es aus."
Experimentiert wird aber nicht mal mit bolivianischen Rohstoffen; sondern mit importiertem Material aus China. Das ist so, weil Bolivien noch keine Kathoden produzieren kann; die Stufe zwischen dem Lithiumkarbonat im Salzsee und den Batterien in Potosí. Eine solche Fabrik für Kathoden soll erst in den nächsten Jahren gebaut werden. Dieser Teil der Wertschöpfungskette steht also noch am Anfang. Dass das so ist, trotz aller Investitionen und trotz aller Versprechen, die gemacht wurden, dafür haben Lithium-Experten wie Juan Carlos Zuleta Calderón kein Verständnis.
Der Wirtschaftswissenschaftler bittet zum Gespräch in ein Café im Süden von La Paz. Zuleta Calderón verfolgt das staatliche Projekt seit Anfang an und hat sich über die Jahre eine große Expertise erarbeitet. Trotzdem darf er beim bolivianischen Projekt nicht mitmachen; stattdessen ist er zum schärfsten Kritiker der geplanten Industrie geworden.
"Diese Männer sind große Verkäufer von Illusionen"
Zuleta Calderón: "Dieser Regierung gefällt es Propaganda zu machen, eine politische Show abzuziehen. Diese Männer sind große Verkäufer von Illusionen. Die Pilotanlage für die Lithium-Akkus ist sehr klein; sie ist ein Labor, in dem Batterien zusammengesetzt werden, mit chinesischer Technologie, die noch nicht mal die beste der Welt ist. Was soll das mit einer Industrialisierung zu tun haben?"
Zuleta Calderón redet stundenlang über sein Lieblingsthema; ist so bei der Sache, dass er fast noch das Getränk seines Gegenübers leert, um dann schnell wieder minutenlang die Visionen der Regierung verbal zu zerrupfen. Vertrauen in das staatliche Projekt hat Zuleta Calderón nicht mehr.
Zuleta Calderón: "Die Verantwortlichen handeln nicht transparent und sind unseriös. Es gibt überhaupt keinen Kontrollmechanismus. Es gibt kein offizielles Zertifikat, das beweist, dass sie wirklich die Wahrheit sagen. Und weil sie bisher wenig Erfreuliches vorzuweisen haben, fällt es sehr schwer, ihren Aussagen zu trauen."
Dass sich das Projekt bisher stark verzögert hat, über drei Jahre, das ist für den Wirtschaftswissenschaftler Zuleta Calderón und viele andere Kritiker ein Indiz dafür, dass vieles schief läuft bei den Verantwortlichen, dass es keine wirkliche Analyse oder Strategie gibt und auch, dass dem bolivianischen Volk am Ende nichts bleiben wird außer verbranntem Geld und Umweltschäden.
Bolivien wird Lithium verkaufen, aber keine Akkus
Der Chef des staatlichen Lithium-Projekts, Luis Alberto Echazú, weist das zurück. Er hält es nach wie vor für eines ambitioniertesten Vorhaben des Landes und hält daran fest, bald schon eine erfolgreiche Industrie zu haben. Auch wenn Echazú einräumt, den ursprünglichen Plänen hinterherzuhinken.
Luis Alberto Echazú: "Wir hatten nicht genug Rohstoffe, die wir weiterverarbeiten konnten. Die Verdampfungsbecken, die wir zuerst gebaut haben, waren zu klein. Das war schlecht kalkuliert. Aber wir produzieren jetzt von Tag zu Tag mehr – und mit den Industrieanlagen, mit den großen Becken, die gebaut werden, wird sich das noch deutlich steigern."
In einem Punkt aber sind sich Kritiker und Projektverantwortliche einig: Es gibt eine Zukunft für bolivianisches Lithium. Nur, wie diese Zukunft genau aussehen wird, da gehen die Meinungen wieder sehr weit auseinander. Projektchef Luis Alberto Echazú glaubt an seine Akkus und hält vor allem den internen bolivianischen Markt für den wichtigsten Abnehmer. Kritiker Zuleta Calderón glaubt dagegen, dass das Vorhaben immer ein prestigeträchtiges Zuschussgeschäft bleiben wird.
Trotzdem: Bolivien werde schon bald Lithium verkaufen, wegen der weltweit riesigen Nachfrage, meint der Wirtschaftswissenschaftler. Nur eben keine Akkus, sondern lediglich Rohstoffe; zu niedrigen Preisen – und ohne große Gewinne für das südamerikanische Land.
Zuleta Calderón: "Bolivien wird ganz sicher Lithium herstellen, weil die Nachfrage so groß ist. Aber Lithium von schlechter Qualität. Lithium, das nur wenig Geld einspielt, das den Gemeinden rund um den Salar, dem Departamento Potosí, dem ganzen Land nicht wirklich etwas bringt. Das ist wirklich traurig für ein Land, das die größten Lithium-Vorkommen der Welt hat, dass wir so wenig wettbewerbsfähig sein werden."
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