Böses Blut

Lars-Haucke Martens im Gespräch mit Ulrike Timm · 14.06.2010
Obwohl es zu wenige Blutspender gibt, sind homosexuelle Männer generell von der Blutspende ausgeschlossen. Dagegen wehrt sich Lars-Haucke Martens vom Verein "Schwules Blut": "Ich möchte als gesunder Mensch einfach gesehen werden, der aufgrund seines persönlichen Lebenswandels selbstverständlich Blut spenden kann".
Ulrike Timm: Blut ist knapp. Gerade zum Sommer hin ergehen immer wieder Aufrufe, die Vorräte, die reichten gerade mal so, vielleicht würde man doch selber mal eine Blutspende brauchen und solle sich also überlegen – kurzum: Eigentlich sind Blutspender sehr begehrt. Bloß schwul dürfen sie nicht sein. Ein Grund: die Angst vor dem Aidsvirus. Schwule dürfen nach den Regeln der Bundesärztekammer weder Blut, noch Knochenmark spenden. Der Verein "Schwules Blut" wendet sich dagegen. Mit welchen Argumenten, das fragen wir jetzt Lars-Haucke Mertens vom Verein Schwules Blut. Schönen guten Tag, ich grüße Sie!

Lars-Haucke Martens: Guten Morgen, Frau Timm!

Timm: Herr Mertens, die allermeisten homosexuellen Männer sind nicht HIV-infiziert. Aber die meisten HIV-Neuinfektionen, nämlich 50 bis 70 Prozent, die ereilen nun mal Männer, die mit Männern Sex haben. Und vor diesem Hintergrund finde ich die Vorsicht der Bundesärztekammer gegenüber Schwulen als Blutspender eigentlich sehr verständlich. Warum sehen Sie darin eine Diskriminierung?

Martens: Weil wir im Wesentlichen keine Diskriminierung darin sehen, sondern eine Generalisierung. Sie haben natürlich vollkommen recht, diese Zahl, 50 bis 70 Prozent, die stimmt auch, es sind sogar 67 Prozent zurzeit aktuell der HIV-Neuinfektionen gehen auf Männer zurück, die mit Männern Sex haben. Aber es ist einfach die Generalisierung, die da störend wirkt. Denn weil diese HIV-Neuinfektionsrate 67 Prozent ausmacht, heißt das noch nicht, dass jeder homosexuelle Mann, der zur Blutspende gehen möchte, tatsächlich, ich sage mal, einen risikobehafteten Lebensstil führt. Und man schließt damit einfach jede Menge taugliche Blutspender aus und das ist angesichts der Zahlen, die Sie eben gesagt haben – es gibt viel zu wenig Blutspender in Deutschland – einfach nicht nachvollziehbar.

Timm: Ganz genau verstehe ich es aber trotzdem nicht, denn wenn ich zum Beispiel eine Blutspende brauchen sollte, möchte ich mir natürlich möglichst 100 Prozent sicher sein, dass dieses Blut eben nicht mit dem HIV-Virus infiziert ist. Was genau wollen Sie denn ändern?

Martens: Wir möchten eine Veränderung erwirken bei den Fragebögen, die Blutspendern vorgelegt werden. Wir fordern ja gar nicht, dass man jetzt generell Schwule mit einem hohen Risiko zur Blutspende zulässt, sondern wir sagen, man sollte generell jeden Blutspender individuell nach seinem Risikoverhalten befragen und das dann halt etwas genauer abfragen, als das bisher der Fall ist, um möglicherweise auch heterosexuelle Blutspender von der Blutspende auszuschließen, die einen risikobehafteten Lebenswandel führen, und eben halt homosexuelle Blutspender zulassen kann, die einen ich sag mal einwandfreien Lebenswandel haben und nicht gefährdet sind.

Timm: Aber sind solche Selbstauskünfte nicht generell von ziemlich begrenztem Aussagewert? Ich unterstelle mal, kein schwuler Mann wird ankreuzen, ich schlafe jede Nacht mit einem anderen, genau so wenig wie ein Familienvater angeben wird, ich habe übrigens noch zusätzlich eine Geliebte und gehe manchmal zu einer Prostituierten. Ist das wirklich realistisch, was Sie sich da ausgedacht haben?

Martens: Gut, da reden wir natürlich dann generell über die Tauglichkeit dieser Fragebögen und das schließt dann zum Beispiel auch die Frage mit ein, ob man Blutspenden überhaupt bezahlen sollte, wie das zum Beispiel an Universitäten häufig der Fall ist. Denn wenn ich einen finanziellen Anreiz gebe für eine Blutspende, dann steigt auch natürlich der Anreiz, auf einem Fragebogen zu lügen, wenn ich dann möglicherweise ausgeschlossen werden würde, wenn ich wahrheitsgemäß antworte. Ich glaube schon, dass man in einem ärztlichen Beratungsgespräch der Sache schon relativ nahe kommen kann, wenn das anonym stattfindet und man sich da gefühlvoll der Sache nähert.

Das wird leider von den Institutionen, die für die Regelungen in Deutschland zuständig sind, was die Blutspende angeht, ausgeschlossen. Da heißt es, das wäre zu zeitaufwendig und damit vermutlich auch zu teuer, und man sieht es als zu großen Eingriff in die Privatsphäre der Blutspender. Wobei ich das nicht ganz nachvollziehen kann: Wenn ich meine gesellschaftliche Verantwortung, Blut zu spenden, wahrnehmen möchte, dann bin ich auch bereit, da vernünftig Auskunft drüber zu geben.

Timm: Andererseits, das gespendete Blut wird vielfach untersucht, aufbereitet, ja auch bearbeitet und das bürokratische Hindernis für die Spender soll ja auch klein sein. Sprich: Ein Kollege hier im Haus erzählte, er habe gerade gespendet und nach seinen sexuellen Vorlieben welcher Art auch immer habe ihn vorher niemand gefragt. So genau scheint die Abfrageritis da gar nicht zuzuschlagen. Will sagen: Warum es denn nicht einfach tun, wenn man gesund ist und spenden will? Also warum wollen Sie ausdrücklich - so habe ich Sie verstanden - als schwuler Mann Blut spenden?

Martens: Ganz einfach weil das auch eine Frage ich sag mal der persönlichen Selbstempfindung ist. Also wenn ich tatsächlich als homosexueller Mann lügen muss, um Blut spenden zu dürfen, dann fühle ich mich ein, ja, wie würde ich es beschreiben … zurückgesetzt und ich muss meine eigene Identität verleugnen. Das möchte ich eigentlich nicht. Ich möchte als gesunder Mensch einfach gesehen werden, der aufgrund seines persönlichen Lebenswandels selbstverständlich Blut spenden kann. Also in jedem Gespräch mit jedem Arzt, der mich auch näher kennt, der sagt mir, natürlich dürften Sie oder müssten Sie normalerweise Blut spenden dürfen, weil Sie sich entsprechend verhalten, dass wir da keine Gefährdung sehen. Aber durch diesen generellen Ausschluss, der einfach alle über einen Kamm schert, ist das halt eben heute nicht differenziert betrachtet.

Timm: Und Sie sehen keine Gefahr, dass Ihr Anliegen, also eine gründliche Überarbeitung der Fragebögen und ein genaues Prüfen in jedem Einzelfall, das Blutspenden so bürokratisch und so kompliziert machen würde, dass die Leute sagen, nein, dann lass ich das?

Martens: Das käme vielleicht auf einen Versuch an. Ich kann natürlich jetzt nicht vorhersagen, ich bin da auch kein Sozialwissenschaftler, wie sich die Leute dann im Einzelfall verhalten würden. Ich kann nur aus meiner persönlichen Erfahrung berichten, dass die Blutspender, mit denen ich spreche, keine Schwierigkeit haben (oder die allermeisten, mit denen ich spreche, keine Schwierigkeiten haben), individuelle Auskunft zu geben. Man könnte sogar diesen Blutspendetermin dafür nutzen, Menschen besser aufzuklären, als das bisher der Fall ist. Denn es zeigt sich zunehmend, dass Menschen zum Beispiel über die HIV-Infektionswege zunehmend schlecht informiert sind und man gerade diese Termine dafür auch nutzen könnte, gerade diese Aufklärung in der Gesellschaft mit zu verbessern. Da hätte man sogar zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton" im Gespräch mit Lars-Haucke Martens über schwule Männer, die Blut- und Knochenmarkspender sein möchten. Herr Martens, Sie selbst sind Knochenmarkspender als schwuler Mann. Wie kam das?

Martens: Das kam mehr oder weniger zufällig. Ich war mir über meine eigene sexuelle Identität noch nicht wirklich klar als junger, 17-, 18-jähriger Mann und habe an einem Typisierungstermin von der Deutschen Knochenmarkspenderdatei teilgenommen. Und einige Jahre später (da war ich in meiner sexuellen Entwicklung auch weiter vorangeschritten und hatte meine eigene Identität sozusagen gefunden), da kriegte ich dann plötzlich Post und das war vielleicht vier oder fünf Jahre später: Guten Tag, Herr Martens, Sie kommen infrage als Stammzellspender für einen Blutkrebspatienten, dem Sie damit das Leben retten könnten – können wir weitere Untersuchungen machen? Dem habe ich dann erst mal direkt zugestimmt und im weiteren Verlauf, da wurde mir dann erst klar, Moment mal, jetzt müsste wahrscheinlich irgendwann mal dieser Fragebogen kommen, auf dem du dann halt eben ankreuzen musst, ob du homosexuell bist oder nicht, und was passiert eigentlich, wenn ich da jetzt wahrheitsgemäß antworte, dann gefährde ich die Chance für einen schwerkranken Menschen auf ein neues Leben.

Und habe dann lange im Freundeskreis diskutiert und überlegt und bin dann über meinen eigenen Schatten gesprungen, habe dann einfach in der Befragung gelogen, weil ich, aufgrund meines individuellen Lebenswandels wusste ich, da ist kein Risiko, ich hatte vor zwei, drei Jahren irgendwann mal einen HIV-Test gemacht, das war alles in Ordnung, hatte seitdem keine Risikokontakte und habe dann einfach dementsprechend gelogen und dann auch tatsächlich Stammzellen gespendet. Mit dem Ergebnis, dass dieser Patient seinen Blutkrebs überwunden hat und ein Dreivierteljahr länger leben konnte mit seiner Frau und seinen beiden Kindern. Danach ist er leider verstorben an einer Lungenentzündung, nicht etwa …

Timm: Das war für Sie natürlich ein einschneidendes und ein sehr persönliches Erlebnis. Die Sorge von Ärzten wegen möglicher Aidsinfektionen sind ja die kritischen zehn Tage zwischen Ansteckung und Nachweisbarkeit des HIV-Virus im Blut. Kein Test kann das bisher leisten und wenn ein HIV-Infizierter in diesem Zeitraum Blut spendet – mit bestem Gewissen! –, dann kann das einem anderen zum Verhängnis werden. Das kommt vor – sehr, sehr selten, aber es passiert. Wie stehen Sie dazu?

Martens: Ja dann frage ich mich ehrlich gesagt, ob das nur bei Homosexuellen vorkommen kann oder auch bei Heterosexuellen. Oder sagen wir mal eine andere Zahl zum Beispiel, dass … ungefähr 80 Prozent aller HIV-Neuinfektionen in Deutschland gehen auf Männer zurück, also ein deutlich höherer Anteil gegenüber von Frauen. Soll ich jetzt aufgrund von dieser Statistik und diesem Risiko sagen, ich schließe alle Männer von der Blutspende aus (weil es gibt ja eben halt dieses, diesen hohen statistischen signifikanten Wert) und lasse nur noch Frauen zur Blutspende zu? Das will auch keiner.

Es geht einfach wirklich darum, dass man diese Generalisierung über eine ganze Bevölkerungsgruppe, eigentlich nicht so stehenlassen kann und durch eine dezidierte Befragung auch rausfinden kann, hatten Sie denn in den letzten zehn Tagen einen Risikokontakt. Was ist denn gegen diese Frage einzuwenden? Man muss ja gar nicht dezidieren, hatten Sie in den letzten zehn Tagen ungeschützten Geschlechtsverkehr oder mit jemandem, der nicht Ihr Partner ist zum Beispiel?

Timm: Lars-Haucke Martens vom Verein "Schwules Blut" möchte gern erreichen, dass gesunde schwule Männer ganz selbstverständlich Blut spenden können. Vielen Dank für das Gespräch!

Martens: Gern geschehen!