Bölling: Die Handlungsfähigkeit des Staates musste gewahrt bleiben

Moderation: Leonie March · 03.09.2007
Der ehemalige Regierungssprecher Klaus Bölling hat das Verhalten der Bundesregierung bei der Entführung von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer im Herbst 1977 verteidigt. Ziel sei es gewesen, Schleyer lebend zu befreien und seine Entführer vor Gericht zu stellen. Der Staat habe seine Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen müssen, so Bölling.
Leonie March: In zwei Tagen jährt sich die Entführung zum 30. Mal. Am 5. September 1977 wurde Hanns Martin Schleyer entführt. Sein Fahrer und drei Polizisten wurden bei dem Überfall getötet. Schleyer selbst war über einen Monat lang in der Gewalt der RAF. Am 18. Oktober wurde er von seinen Geiselnehmern erschossen. Die damalige Bundesregierung unter Kanzler Helmut Schmidt hatte die Forderung der Terroristen nicht erfüllt. Sie wollten, dass elf RAF-Mitglieder aus dem Gefängnis entlassen werden. Mitglied des damaligen Krisenstabes aus Regierung und Opposition war der damalige Regierungssprecher Klaus Bölling. Ihn begrüße ich nun am Telefon. Guten Morgen, Herr Bölling.

Klaus Bölling: Guten Morgen, Frau March.

March: In den vergangenen Wochen und Monaten wurde viel geschrieben und gesagt über den sogenannten "Deutschen Herbst". Empfinden Sie eine Diskrepanz zwischen der Berichterstattung und Reflexion heute, und den Geschehnissen damals?

Bölling: Nein, das tue ich nicht. Deshalb kann man von einer Diskrepanz nicht reden,- obwohl diese schrecklichen Ereignisse drei Jahrzehnte zurückliegen,- weil die Diskussion belebt worden ist durch die Frage, soll Christian Klar, der als einziges männliches Mitglied der Roten Armee Fraktion heute noch in einer Strafanstalt sitzt, begnadigt werden. Dafür gab es Unterstützung, ich sage mal etwas undifferenziert, von der immer noch schrumpfenden - gottlob - immer noch schrumpfenden Nachhut der RAF, also von Sympathisanten. Ich habe es richtig gefunden, nicht weil ich die Neigung habe, mit der Mehrheit zu laufen, dass der Bundespräsident nach einem Gespräch mit Christian Klar die Begnadigung verweigert hat. Aber darüber ist, wie Sie wissen, eine Diskussion entstanden, und einige wenige Prominente haben, darunter auch Frau Roth von den Grünen, gesagt, der Staat habe eine Chance verpasst, zur Versöhnung zwischen den Tätern von damals und der Gesellschaft beizutragen.

March: Aber in der Diskussion heute geht es mehr um die Täter als um die Opfer.

Bölling: Ja, das bedrückt viele von uns, die damals in dem sogenannten "Deutschen Herbst" Verantwortung hatten an der Spitze - Helmut Schmidt, der Kanzler, den man als die Personifikation eines gnadenlosen Machtstaates damals denunziert hat. Aber wir haben die ganz einfache Überlegung anstellen müssen, wir geben nach, und die Führungspersönlichkeiten der RAF reisen aus und beginnen, so fanatisch wie sie all die Zeit gewesen sind, mit neuen Mordtaten.

Aber zu einer Legende, die heute noch bei manchen durch die Republik wabert, ist ja unterstellt worden, dass wir die Geisel Hanns Martin Schleyer von vorneherein ihrem Schicksal überlassen wollten, dass wir seine Ermordung sozusagen mit einem Ausdruck des geheuchelten Bedauerns einfach preisgegeben haben. Das stimmt nicht.

Wir hatten zwei Ziele, die einen absolut gleichen Rang hatten, nämlich Hanns Martin Schleyer lebend zu befreien, was um ein Haar sogar gelungen wäre, und ein gleichrangiges Ziel selbstverständlich, die Entführer zu ergreifen und vor Gericht zu stellen. Und genauso wichtig war uns natürlich und musste uns sein, die Handlungsfähigkeit des Staates zu bewahren und das Vertrauen der Bürger in die Abwehrkraft des Staates glaubhaft zu machen.

March: In einem Artikel für die "Süddeutsche Zeitung" schreiben Sie, Herr Bölling, ein Königsweg werde es, wenn Menschen in die Gewalt von Terroristen gerieten, niemals geben. Wäre die Regierung heute also im selben Gewissenskonflikt wie damals?

Bölling: Ja, mit dem Blick auf diesen armen, und wie wir hören, schwerkranken Bauingenieur ist die Situation anders. Hier muss verhandelt werden bis zum allerletzten Augenblick. Und ich habe heute die Überzeugung, weil Sie mich richtig zitiert haben "es gibt keinen Königsweg", dass es in diesem Fall, wenn überhaupt keine Alternative gegeben ist, nicht anstößig wäre, sondern menschlich. Womöglich, so wie es die südkoreanische Regierung offenkundig getan hat, sie dementiert das, aber ich wette darauf, dass die Südkoreaner ein Lösegeld bezahlt haben. Also wenn das möglich wäre, als allerletzte Möglichkeit, dann muss man doch die Frage stellen: Wie teuer, im doppelten Wortsinn des Wortes "teuer", ist ein Menschenleben? Ein Vergleich zwischen diesem armen Mann im Gewahrsam der Taliban und der Entführung von Hanns Martin Schleyer und all den schrecklichen Mordtaten, den weise ich zurück.

March: Die RAF gibt es nicht mehr, heute geht es um die Gefahr durch den internationalen Terrorismus. Sehen Sie Parallelen in der Reaktion des Staates auf auf diese Bedrohung?

Bölling: Abstrakt, Frau March, sehe ich natürlich Parallelen, denn alle wissen -das gilt für die Vereinigten Staaten, das gilt für die spanische und für die englische Regierung -, wir wissen alle, wenn wir Terroristen nachgeben und ihre Ultimaten erfüllen, ist das eine förmliche Einladung, in dem Mordgeschäft fortzufahren. Grundsätzlich muss der Staat, ohne dass dabei die sogenannte Staatsräson zu einem Ideal hochstilisiert wird, Härte zeigen. Härte, Prinzipienfestigkeit, denn der Staat ist ja nicht etwas Abstraktes im Sinne des großen Philosophen Hegel, sondern er ist die Schutzgemeinschaft, er hat die Verantwortung für die Sicherheit seiner Bürger.

Und da mag man jetzt mit einigen guten Argumenten den Innenminister kritisieren, weil manche glauben, dass das, was er vorhat, mit der heimlichen Untersuchung von Computern, übertrieben ist. Aber grundsätzlich muss der Staat, das ist seine Pflicht gegenüber uns allen, vorsorgen. Man kann sich nicht damit zufrieden geben, nur zu beobachten, man muss präventiv etwas tun, für den Fall, dass so etwas Schreckliches wie in London oder in Madrid und dann eben am 11. September 2001 in New York nicht auch bei uns geschieht. Es gibt keine Garantie dafür, dass die Dschihad-Krieger, die Gottes-Krieger, Deutschland als eine Insel der Braven und der Lieben aussparen wird.

March: Vielen Dank für das Gespräch Klaus Bölling, ehemals Sprecher der Regierung Schmidt, heute Publizist in Berlin.