Bodo Ramelow

Immer ein bisschen schneller

Von Henry Bernhard · 20.10.2014
Bodo Ramelow könnte Deutschlands erster Linken-Ministerpräsident werden. Seit zehn Jahren verfolgt der Politiker in Thüringen dieses Ziel. Und er musste dabei nicht nur politische Hürden überwinden.
"Ja, wir haben SPD und Grünen ein Angebot gemacht. Wir wollen mit ihnen zusammen die Politik in Thüringen verbessern. Wir wollen mit denen, mit denen wir bei 'Mehr Demokratie!' zusammengearbeitet haben, wir wollen denen, die für eine bessere Schulpolitik eintreten, mit denen wollen wir dieses Land anpacken."
Bodo Ramelow kurz vor der Landtagswahl auf dem Erfurter Anger. Die Linke hat eine ganze Wagenburg aufgebaut, aus Tribüne, Infoständen, Biertresen. Gregor Gysi sollte auch da sein, aber er steht im Stau. Das ist nicht weiter schlimm, denn Ramelow ist der einzige Landespolitiker, der mehr als ein Häuflein Menschen vor einer Rednertribüne versammeln kann. Ramelow will es, unbedingt. Er will Ministerpräsident in Thüringen werden, Chef einer Rot-Rot-Grünen Koalition. Dieses Ziel verfolgt er seit zehn Jahren. Nie war es so greifbar wie heute.
"Deswegen bieten wir ausdrücklich der SPD und den Grünen eine reformorientierte Landesregierung an und ein gemeinsames Bündnis für eine weltoffene Politik, für eine zukunftsfeste Entwicklung dieses Landes, und nicht ein 'Weiter so!' in der Kleinstaaterei mit Niedriglöhnen ... Nein! Mit all diesem Zeug muss man endlich Schluss machen!"
Bodo Ramelow kommt aus dem Westen. Er ist in Niedersachsen und Rheinhessen aufgewachsen. Sein Vater starb, als er elf Jahre alt war. Seine Mutter brachte die vier Kinder alleine durch.
"Ich bin als Kind geprägt worden von Plakaten, da stand 'Dreigeteilt? Niemals!' Das war die alte Karte des deutschen Reiches, mit Stacheldraht. Oder im Bastelunterricht bei uns in der Grundschule haben wir Fensterbilder aus durchscheinendem Papier so in Farbe gemacht, für 'unsere Schwestern und Brüder im Osten' haben wir Fensterlichter aufgestellt. Ich wußte aber gar nicht, dass ich Brüder und Schwestern im Osten habe! Ich wusste gar nicht, was mit 'Osten' gemeint war."
Fachrichtung Wild und Geflügel
Er macht einen Hauptschulabschluss und wird Einzelhandelskaufmann - Fachrichtung Wild und Geflügel. Kleine Verhältnisse. Aber er ist strebsam und genau. Der Vietnamkrieg, der Militärputsch in Chile - der junge Verkäufer Ramelow bekommt alles mit. Er aber lernt weiter: Fachhochschulreife, die Ausbilderprüfung.
Er ist immer ein bisschen schneller als die anderen und denkt ein Stück weiter. Zwar ist er Legastheniker, aber Reden halten kann er. Mit 19 ist er Schulsprecher, mit 25 hauptberuflicher Gewerkschaftler. Die HBV, das ist seine Welt, er kümmert sich um die, die schwach sind, will Gerechtigkeit für die da unten, zieht für sie vor Gericht. Er legt sich mit Arbeitgebern an, die keinen Betriebsrat zulassen wollen.
"Als ich nach Marburg kam, wusste ich nicht, was ein Kommunist ist. Ich wußte das nicht! Das war fern von meiner Jugend, fern von meiner Sozialisation! Ich komme eher aus einem bürgerlich geprägten, sehr evangelischen Elternhaus; und für mich war das ne neue Welt, da auf einmal auf irgendwas zu treffen, was sich 'Kommunist' nannte und man das Zischen so hörte: 'Das sind die Kommunischte!' Und auf einmal war ich mittendrin in so einer Geschichte, die ich für Historie gehalten hab! Weil, die Kommunistenjagd in der HBV hat ja auch stattgefunden."
Bodo Ramelow hat im roten Marburg auch Freunde in der DKP, Mitglied wird er nie. Aber die Grenzen in der Gewerkschaft sind fließend. Er solidarisiert sich mit denen, die etwa als Briefträger Berufsverbot erhalten.
"Also, der berühmte Satz von Willy Brandt, 'Mehr Demokratie wagen' war für mich ein Lebenscredo und war immer eine Beziehung zu Willy Brandt. Die Berufsverbote haben mich immer getrennt von Willy Brandt."
Die DDR bleibt für ihn ein seltsames Ausland
Bodo Ramelow fährt auf Gewerkschaftsreisen in die DDR und auch privat, einen Halbbruder besuchen. Doch die DDR bleibt für ihn: Ein seltsames Ausland.
"Ich bin mit Frankreich großgeworden; ich mit England großgeworden oder Italien oder ... Selbst im frankistischen Spanien war ich noch zu Besuch und hatte die Beklemmung erlebt. Aber in der DDR war ich in der Zeit noch nie. Erst Ende der 70er, Anfang der 80er bin ich das erste Mal in der DDR gewesen: Einfach ein real existierender Staat, der auf mich interessant gewirkt hat, aber komisch. Ein Staat, der so komisch ist, dass er seine Brötchen erst backt, um sie dann anschließend an Schweine zu verfüttern: Das war mir ein durchaus seltsamer Staat!"
Bald nach dem Mauerfall, noch vor der Wiedervereinigung, geht Bodo Ramelow im Auftrag seiner Gewerkschaft in den Osten und ist bald Landesvorsitzender der HBV.
"Wir haben dieselbe Sprache genutzt, aber wir haben nicht dasselbe gemeint, weil wir was völlig anderes in unserer Sozialisierung mit den Begriffen verbunden haben. Gewerkschaftsarbeit West und Gewerkschaftsarbeit Ost haben nichts miteinander zu tun; die waren so ähnlich wie Edelstahl und Diebstahl: Es hörte sich nur so ähnlich an! Und nun kam ich als West-Gewerkschafter in den Osten und sollte auf einmal referieren, wie Gewerkschaft geht. Aber wie referiert man das? Einen Arbeitskampf muss man spüren! Die Frage, ob man die Arbeit niederlegt, hat was mit einer persönlichen Entscheidung zu tun. Und all diese Prozesse waren Lernprozesse, in die ich mich immer wieder reinbegeben musste. Und das Interessante war, dass um mich herum Menschen mit mir lernten und ich von Menschen lernte."
Das Schlüsseljahr in Bodo Ramelows Karriere: 1993
1993 ist das Schlüsseljahr in Bodo Ramelows Karriere. In Bischofferode begehren die Kalikumpel gegen die Schließung ihrer Grube auf. Mit Mahnwachen, Protestmärschen und einem Hungerstreik. Gegen den Widerstand der zuständigen und der eigenen Gewerkschaft unterstützt Ramelow die Kumpel, verhandelt für sie, handelt schließlich eine finanziell lukrative Übergangsregelung aus. Dafür nimmt er unbezahlten Urlaub.
Dort erwirbt er sich in Thüringen einen Ruf als einer, der sich um die kleinen Leute kümmert; dort entdeckt ihn auch die PDS, für die er 1999 in den Landtag einzieht. Für Gregor Gysi organisiert er den erfolgreichen PDS-Bundestags-Wahlkampf 2005 und verhandelt mit harter Hand den Zusammenschluss der Ost- und West-Linken. Zurück in Thüringen scheitert er 2009 jedoch bei den Verhandlungen zur damals schon möglichen Rot-Rot-Grünen Koalition. Er will zu viel, zu schnell.
"2014 ist nicht mehr 2009. Und 2009 haben auch wir als Linke damals Fehler gemacht."
Bei SPD und Grünen kommt nicht gut an, wenn Ramelow herausrennt und die Türen knallt, wenn ihm etwas nicht passt. Auf Augenhöhe verhandeln war nicht seine Stärke, als die Macht einmal so nah lag. Heute ist er ruhiger, hält sich zurück, lässt seine Parteivorsitzende öffentlich sprechen, auch wenn er weiß, dass er es persönlich besser könnte. Aber er will diese Koalition, Rot-Rot-Grün unter seiner Führung. Die "Augenhöhe" zitiert er immer wieder, auf der will er der schwachen SPD und der kleinen Grünen-Fraktion begegnen.
Wie lange er es durchhält, Kreide zu fressen und nicht Reißnägel, darauf sind viele in Thüringen gespannt. Dass er nicht unverwundbar ist, zeigt er im Oktober 2013, als das Bundesverfassungsgericht dem Thüringer Verfassungsschutz untersagt, Ramelow weiter zu beobachten.
"Ich gebe zu, dass ich heute geweint hab, weil der Druck eben doch so ist, dass er einen nicht frei lässt. Ich habe zehn Jahre lang gelächelt, um meinen Wählern zu signalisieren: Ich lasse mich davon nicht beeindrucken. Ich laß' mich auch nicht einschüchtern. Ich lasse mich von keinen staatlichen Stellen und Geheimdiensten einschüchtern."
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