Bob Dylans Nobelpreisrede

"Poesie für die Ohren"

Bob Dylan im Weißen Haus in Washington DC
Die US-amerikanische Folklegende Bob Dylan © picture alliance / dpa / Jim Lo Scalzo
Heinrich Detering im Gespräch mit Timo Grampes · 06.06.2017
Kurz vor Ablauf der Frist meldet sich Literaturnobelpreisträger Bob Dylan doch noch mit der obligatorischen Nobelpreisrede zu Wort. Der Literaturwissenschaftler Heinrich Detering hat sie sich angehört: "Ein kleines Meisterwerk" sei Dylan da gelungen, sagt er.
Anfang Dezember wurde der Nobelpreis für Literatur verliehen - an Bob Dylan. Der kam aber nicht, sondern schwänzte die Veranstaltung. Vielleicht, weil er an seiner obligatorischen Nobepreisrede gefeilt hat, die er jetzt, knapp vor Ende der Frist für das Preisgeld, als Audiodokument eingereicht hat.
Der Literaturwissenschaftler und Dylan-Experte Heinrich Detering hat die Rede gehört und ist begeistert: "Das ist ein kleines und ganz und gar unerwartetes Meisterwerk, was er da gemacht hat", sagte Detering im Deutschlandfunk Kultur. "Und vor allem: Ich glaube ihm so ziemlich jedes Wort, was mir nicht bei allen Dylan-Texten so geht. Aber hier, glaube ich, spricht er aus der Tiefe seines Herzens und seiner Lese- und Songerfahrungen."

Indirekte Autobiografie und Werkgeschichte

Eigentlich sei Dylans Rede sehr einfach aufgebaut. In drei Abschnitten beziehe er sich auf drei prägende Bücher seiner Jugendzeit: Auf Hermann Melvilles "Moby Dick", auf Erich Maria Remarques "Im Westen nichts Neues" und auf Homers "Odyssee".
Literaturwissenschaftler Heinrich Detering im Juni 2015
Literaturwissenschaftler Heinrich Detering im Juni 2015© picture alliance / dpa / Sven Pförtner
In der Rede stecke ein eigenartiges "Double-Speak", so Detering weiter. "Einerseits klingt es fast wie ein Referat, das jemand über Bücher hält, die er gelesen und vorbereitet hat. Andererseits ist es eine indirekte Autobiografie und Werkgeschichte. Und das macht gerade den besonderen Reiz dieser Art zu sprechen aus."
In der Frage, was seine Songtexte mit Literatur zu tun hätten, bleibe Dylan doppelsinnig und ziehe erneut die Parallele zu Shakespeare. "Einerseits sagt er: Weder Shakespeare noch ich schreiben Literatur im engeren Sinne. Andererseits greift er im Vergleich sehr hoch und sagt: Was ich in den Songs versucht habe, ist ungefähr das, was Shakespeare im Theater versucht hat." Letztlich sei es "Poesie für die Ohren", sagt Detering.
(uko)