Blogger Raif Badawi

"Ich bin ein dünner, aber zäher Mann"

Der saudi-arabische Internetaktivist Raif Badawi wurde im Jahr 2012 verhaftet und 2014 wegen Beleidigung des Islams zu zehn Jahren Haft und 1.000 Peitschenhieben verurteilt. Hier eine Demo für Badawi Ende Januar in Berlin.
Demonstration für den saudi-arabischen Internetaktivisten Raif Badawi © Imago/Christian Ditsch
Von Cornelia Wegerhoff · 26.06.2015
Das Schicksal des zu 1000 Stockhieben verurteilten saudischen Bloggers Raif Badawi empört die Welt. Dessen Ehefrau Ensaf Haidar hat Badawis Blog-Texte jetzt zu einem Buch gemacht: Es geht um Menschenrechte und den Kampf für freies Denken in Saudi-Arabien.
Er blieb völlig still, als der Stock seinen Rücken traf. Immer und immer wieder, 50 Mal an diesem Tag. Aber die Zuschauer johlten, als Raif Badawi den ersten Teil seiner Strafe erdulden musste. Mit einer Handy-Kamera wurde heimlich gefilmt, was sich am 9. Januar auf dem Platz der Al-Dschalafi-Moschee im saudischen Dshiddah abspielte.
Die Hiebe und damit die auch beabsichtigte öffentliche Schmach haben dem bekannten Blogger große Schmerzen zugefügt. Doch ihn endgültig zum Schweigen zu bringen, gelang den Sittenwächter nicht. Aus dem Gefängnis heraus hat der 31-Jährige später per Telefon seiner Frau Ensaf Haidar einen offenen Brief diktiert:
"Ich habe versucht, die Mauern der Unwissenheit niederzureißen, ein wenig Pluralismus zu verbreiten und Respekt vor Ausdrucksfreiheit, Frauenrechten und den Rechten von Minderheiten und Mittellosen in Saudi Arabien. Das war mein Leben, bevor ich im Jahr 2012 verhaftet wurde."
Der Grund: Raif Badawi war auf seiner Website für die Idee einer säkularen, liberalen Gesellschaft in Saudi Arabien eingetreten. Er übte dabei klare Kritik an der Macht der Islamgelehrten und der saudischen Regierung. Das wurde ihm zum Verhängnis.
"All das grausame Leid ist mir und meiner Familie nur deswegen widerfahren, weil ich meine Meinung ausgedrückt habe."
Warnung vor dem Verbot des freien Denkens
Badawis Internetseite ist seit seiner Verhaftung gesperrt. Eine Auswahl der in Saudi Arabien verbotenen Texte ist inzwischen im Ullstein-Verlag erschienen, herausgegeben vom deutschen Journalisten Constantin Schreiber. Das Buch, ein Non-Profit Projekt zugunsten des Autors, ist eine Streitschrift, der offene Brief Badawis zum Vorwort geworden.
Dem Leser bieten die mutigen Texte einen Einblick in den so fremden saudi-arabischen Alltag. Sie beschreiben mal wütend, mal ironisch die immerwährende Zerreißprobe zwischen der traditionellen, streng-konservativen Auslegung des Islam und dem Anspruch an ein selbstbestimmtes, modernes Leben. Badawi fordert die Menschenrechte ein und warnt davor, dass das Verbot des freien Denkens Saudi Arabien und die gesamte Region beim globalen Wissenswettbewerb zurückwerfen werde.
"Kaum kommt mal ein freier Geist, sieht er sich auch schon mit einer Woge hunderter Fatwas konfrontiert, die die Kleriker im Wettstreit miteinander erlassen, um ihn zum Ungläubigen zu erklären. Meine größte Befürchtung ist, dass die klugen Köpfe der arabischen Welt eines Tages alle auswandern werden, auf der Suche nach frischerer Luft, irgendwohin, weit ab von den Schwertern des religiösen Autoritarismus."
Die saudischen Ermittlungsbehörden halten diese Äußerungen für eine „Beleidigung des Islam, den Abfall vom Glauben"... Das bekannte Urteil: 1000 Stockhiebe und zehn Jahre Haft.
Badawi ist körperlich und psychisch angeschlagen
Nach den ersten 50 Schlägen im Januar wurde die Bestrafungsaktion aus medizinischen Gründen bisher immer wieder verschoben. Badawi ist körperlich und psychisch angeschlagen. Er leidet unter hohem Blutdruck, sitzt in einer Zelle ohne Tageslicht. Und dort wird er auch bleiben, fürchtet Regina Spöttl von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Und an jedem neuen Freitag kann es mit den Stockhieben weitergehen, befürchtet Spöttl::
"Das Urteil gegen Raif Badawi ist am 6. Juni vom Obersten Gerichtshof bestätigt worden. Es ist damit endgültig. Die einzige Möglichkeit, dass er frei kommt, liegt jetzt beim König. Er kann ihn begnadigen."
Doch allein die Hoffnung darauf, Raif Badawi möge der Gefängniszelle entkommen, reiche nicht, so Spöttl. Denn:
"Er läuft Gefahr, dass er wieder verhaftet wird, weil ja seine Schuld immer noch im Raum steht. Deshalb fordern wir die sofortige und bedingungslose Freilassung und die Aufhebung des Urteils. Dass er praktisch ein freier Mann ist und womöglich zu seiner Familie nach Kanada fliegen kann."
Die Kinder fragen: "Wann kommt Papa wieder?"
Die kanadische Regierung hat Badawi mittlerweile nämlich Asyl angeboten. Seine Ehefrau Ensaf Haidar ist mit den drei Kindern schon im Jahr 2012 dorthin geflohen. Ihre Lage sei schwierig, sagt Ensaf Haidar:
"Es ist schrecklich für die Kinder, jeden Tag auf ihren Vater zu warten. Sie fragen immer: Wann kommt Papa wieder? Ich hoffe, dass die internationalen Regierungen weiter in Kontakt mit der saudischen Regierung bleiben, indem sie weiter um seine Freilassung bitten."
Ensaf Haidar wird nicht müde um das Schicksal ihres Mannes zu kämpfen. Auch die im Internet längst gelöschten Texte trug sie – fern der Heimat – wieder zusammen. Das Auswärtige Amt in Berlin hatte vor einer Veröffentlichung gewarnt. Zwar machte sich sogar Bundeswirtschaftsminister Gabriel persönlich bei einem Besuch in Saudi Arabien für die Freilassung Badawis stark gemacht. Doch die Regierung in Riad hat sich jede Einmischung verbeten. Der Blogger und seine Frau sind aber davon überzeugt, dass ihn die Aufmerksamkeit für das Buch schützen werde. Der Gefangene Raif Badawi diktierte aus seiner Zelle
"Ich selbst sehe mich einfach als jenen dünnen, aber zähen Mann, der auf wundersame Weise fünfzig Peitschenhiebe überlebt hat."
Constantin Schreiber (Hrsg.): 1000 Peitschenhiebe - Raif Badawi
Ullstein Buchverlage, Berlin 2015
64 Seiten, 4,99 Euro
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