Blick fürs Subtile

Von Ursula Böhmer · 27.12.2009
Sie gilt als eine der herausragenden Presse- und Porträtfotografinnen unserer Zeit. 35 Jahre lang arbeitete Barbara Klemm für die "FAZ". Im Februar wird die 70-Jährige als erste Fotografin mit dem Max-Beckmann-Preis für ihr Lebenswerk ausgezeichnet.
Fotos hängen in Barbara Klemms Altbauwohnung nicht. Dafür zieren moderne Ölgemälde und Skulpturen das Interieur: Kunstwerke ihres Vaters Fritz Klemm, der Maler war, genauso wie die Mutter. Barbara Klemm erbte den Kunstsinn, das Gefühl für den Bildaufbau. Im Karlsruhe der Nachkriegszeit wuchs sie auf, mit fünf Geschwistern, unter beengten Verhältnissen:

"Mein Vater fing nach dem Krieg an zu aquarellieren erst mal, und das an der Alb, und wir Kinder waren dabei und haben schwimmen gelernt. Und dann fragte er immer: Was seht ihr auf den Bildern? Und dann haben wir gesehen, was er gemalt hat und so. Und ich kam dazu, weil das bei mir in der Schule nicht so lief und dann überlegt wurde, ob ich eine Lehre mache. Und die habe ich dann schließlich in einer Portrait-Galerie bei der Frau Bauer, das Atelier Wilhelm Bauer, gemacht und das fand ich schön, hat mir Spaß gemacht."

35 Jahre lang war Barbara Klemm schließlich als Pressefotografin bei der "FAZ" tätig - zunächst als Fotolaborantin, bevor sie hinter die Kamera wechselte - und ging weltweit auf Bilderfang. Gleich bei einem ihrer ersten großen Einsätze wurde sie nach Bonn geschickt, musste sich "reinmogeln" in das Treffen zwischen Willy Brandt und Leonid Breschnew,1973. Auf dem Bild, das sie sozusagen "schnappschoss", sprechen die Politiker mit ihren Beratern gerade eigentlich nur anstehende Termine ab, aber ...

"Wenn man sich das Bild anguckt, hat man wirklich das Gefühl, es wird über die Ostpolitik gesprochen und inwieweit man sich da näherkommen kann und wie man das anfängt, einer Entwicklung den Weg zu bereiten, der uns dann – finde ich im Nachhinein – auch zur Wiedervereinigung geführt hat. Ohne die Verhandlungen, die Willy Brandt damals, 1973 angefangen hat, wäre das vielleicht nicht mehr zu unserer Zeit passiert."

Die "Wende" war für Barbara Klemm ein "Jahrhundertereignis", das sie in einer weiteren Fotoserie festhielt - darunter bei allem Freudentaumel auch das Bild einer fahneschwenkenden, händestreckenden Menschenmasse im Scheinwerferlicht: Gespenstisch in der Aussagekraft.

Das Erzählerische und der Blick für Nebenschauplätze, aus denen Hauptschauplätze werden, zeichnen Barbara Klemms Fotos aus. Dazu kommt ein Gespür für Situationskomik: Während einer Großdemonstration vor dem Frankfurter Römer 1978, bei der es zu Krawallen kam, schoss sie das Bild von den Sicherheitsbeamten, die sich mit Schild und Helm zwischendurch auf ein paar Stühlen ausruhen – die Beine adrett übereinandergeschlagen, als sei dies ein gemütliches Damenkränzchen. Bei vielen Demonstrationen war Barbara Klemm dabei: Studentenrebellion 1968, Aktionen gegen die Startbahn West am Flughafen Frankfurt 1981, Aktionen gegen Atomkraftwerke. Barbara Klemm ging oft ein Risiko ein für ihre Bilder – so auch bei der Demonstration gegen die NATO-Politik, während des Staatsbesuchs von Ronald Reagan in West-Berlin 1982, bei der es zu besonders brutalen Ausschreitungen kam:

"Und ich hatte Angst und wollte eigentlich weg, weil ich dachte, ich möchte kein Loch im Kopf bekommen. Und das ist mir die Bilder nicht wert und war dabei zu suchen, wo ich mich wie retten kann. Und da kamen zwei junge Männer und schlossen eine Tür auf und ich bat sie, ob ich mit ihnen rein könnte, da bin ich sicherer, und dann hatten die einen Balkon auf den Platz raus - und dann hab ich von oben runter diese Szene fotografiert und das hat nicht nur die Brutalität gezeigt, sondern das hat auch etwas von einem Tanz."

In der reaktionsschnellen Pressefotografie führte das aktuelle Zeitgeschehen Regie – als Porträtfotografin war Barbara Klemm selbst die Regisseurin, konnte ihre Motive arrangieren: Sie setzte Komponisten wie György Ligety und Wolfgang Rihm oder Literaten wie die Nobelpreisträgerin Nadine Gordimer und Thomas Bernhard eindrucksvoll ins Licht. Um das Eis zu brechen, verstrickte sie die Künstler in Gespräche:

"Mit Thomas Bernhard habe ich angefangen, über unsere Putzfrauen – das hatte sich so ergeben. Und dann war es doch so, dass ich erzählt habe, dass ich bei dem Buch, das gerade rauskam, und wozu das Bild auch sein sollte – das war aus einer autobiografischen Reihe 'Die Kälte' – hab ich ihm gesagt, dass mich das sehr erschüttert hätte, weil's einem wirklich kalt geworden wär, und der Stil, wie er das schreiben würde, hätte mich eben an 'Tristram Schandis' erinnert von Lawrence Sterne und dann sagte er: Ja, das ist mein Lieblingsautor."

Ob Porträt- oder Pressefotografie: Barbara Klemm sieht die Welt in Schwarz-weiß - ihr Markenzeichen. Weil sich Bildinhalte schneller vermitteln, sagt sie. Und auch im Zeitalter der Digitaltechnik benutzt sie beharrlich eine Spiegelreflexkamera, vergrößert ihre Bilder selbst, im Labor.

"Das ist sozusagen die Tonwerte richtig zu legen, dass ein Bild abgerundet ist, dass der Himmel nicht ausbricht, sondern einen Ton drin hat, das kann man mit Nachbelichten beim Vergrößern herstellen und dass eben auch die Grauwerte, dass das Schwarz richtig Schwarz kommt und die Zwischentöne gut kommen – das sind Dinge, die für mich der 2. Schritt zu einem guten Bild sind. Das Wichtigste ist natürlich die Aufnahme, aber das Zweite ist die Arbeit in der Dunkelkammer."

Entstanden ist ein beachtliches Oeuvre, das mehr Zwischentöne offenbart als jede Farbfotografie, zumal Barbara Klemm den Blick für das Subtile hat. Das, die nötige Distanz zu dem Ereignis – und den Respekt, den sie ihren Protagonisten zollt:

"Jemanden verzerrt zu zeigen, das ist wirklich sehr leicht in der Fotografie zu machen – aber das war nie meine Sache, deswegen war das für mich auch kein Thema. Man muss erstmal vorurteilslos an die Sache rangehen, man muss seinen eigenen Standpunkt haben. Und manchmal muss man den revidieren – das ist auch eine Erfahrung, die man da macht – und dann denke ich, kommt man da schon ganz gut zurecht."