Blick auf das Volkstheater

Badoras Super-Coup in Wien

Anna Badora bei der Pressekonferenz zum Volkstheater Wien Spielprogramm 2015/16 in der Roten Bar im Volkstheater, aufgenommen am 07.05.2015.
Anna Badora bei der Pressekonferenz zum Spielprogramm 2015/16 in der Roten Bar des Volkstheaters Wien © imago / Future Image
Von Michael Laages · 19.11.2016
Am Wiener Volkstheater ist Anna Badora gerade in die zweite Saison gegangen. Sie hat erreicht, dass das Volkstheater wieder beachtet wird. Doch den Erfolg der neuen Intendantin zu erklären ist gar nicht so einfach.
Unstreitig ist das Burgtheater die Nummer Eins unter den Bühnen in Wien; eine Kür wie die zum "Theater des Jahres" im vorigen Jahr hat das nachhaltig unterstrichen. Und die beiden konkurrierenden Schauspielbühnen, das "Theater in der Josefstadt" und das "Volkstheater" haben es nicht leicht, die Nischen zu finden für das eigene Profil. In der Josefstadt fehlen im Programm des Schauspielers und Intendanten Herbert Föttinger verstörende Überraschungen, Provokationen gar irgendwelcher Art fast völlig.
Das Volkstheater hingegen, 1889 gegründet als architektonisches Vorbild zum Beispiel für das Schauspielhaus in Hamburg, hat verganges Jahr im Herbst einen neue Intendantin bekommen: Anna Badora, in Polen geboren und vor Wien Chefin in Graz (und davor in Düsseldorf und Mainz), hat nach zehn Jahren den auch schon umstrittenen Hausherrn Michael Schottenberg abgelöst, der zuvor das unter der "ewigen Intendantin" Emmy Werner 17 Jahre lang eher im Dornröschenschlaf ruhende Haus aufgeweckt hatte.

Mehr als nur Beachtung

Anna Badora ist nun bereits in die zweite Saison gegangen und mit ihrem Programm hat sie es geschafft, dass das Volkstheater wieder beachtet wird. Der Durchbruch war dabei wohl spätestens im Mai geschafft, denn da luden die illustren Wiener Festwochen erstmals seit ewigen Zeiten eben nicht nur das Burg-, sondern auch das Volkstheater dazu ein, Teil des Festivalprogramms zu werden; und die Produktion des dänisch-österreichischen SIGNA-Kollektivs um Signa Sörensen und Arthur Köstler hierließ offenbar derart nachhaltigen Eindruck, dass sie gerade auch ausgezeichnet worden ist mit dem Nestroy-Preis, dem österreichischen Theater-Oscar sozusagen.
Da waren die Probleme fast vergessen, die Anna Badoras erstes Jahr als Intendantin leicht verdunkelten. Sie erreichte nicht ganz die Auslastungszahlen des Vorgängers (was bei einem gründlichen Neustart praktisch immer und überall so ist!), und sie hat die eigenen Werkstätten zu Gunsten von privaten abgestoßen; selbst das ist auch in größeren Theaterstädten nicht mehr ganz so ungewöhnlich.

Und was sagt die SPÖ dazu?

Beide Minuswerte in der Volkstheater-Bilanz wurden aber absurderweise sogar auf dem Parteitag der (noch) regierenden SPÖ diskutiert. Un gespannt wartet darum nun auch das Team am Volkstheater auf die politischen Veränderungen, die sich aus der Bundespräsidentenwahl ergeben könnten, deren Wiederholung in wenigen Tagen ansteht.
Gleich zu Beginn der zweiten Spielzeit hatte Anna Badora deutlich bekundet, dass sie die Herausforderungen annimmt: "Das Theater erzählt Geschichten, egal ob postdramatisches oder klassisches Theater; und es ist ein Unterschied, ob man die Nachrichten hört oder ob man ein Gesicht auf der Bühne sieht mit dazu gehöriger Geschichte, die man natürlich schon andocken kann an irgendwelche Infos von Tagesnachrichten – aber was nicht eins-zu-eins diese Infos sind."

Quer zu populistischen Umtrieben

Badora holte auch die israelische Regisseurin Yael Ronen nach Wien, machte sich damit aber nicht nur Freunde. Und mit dem Motto der neuen Saison steht sie durchaus quer zu populistischen Umtrieben, wie sie ja auch Österreich prägen: "Wir beschäftigen uns diese Spielzeit mit Gemeinschaften. Und zur Gemeinschaft gehört auch immer die Person, die ausgeschlossen ist, die nicht dazu gehört; und das hat uns sehr beschäftigt: Was macht so eine Fremde aus, was ist das Fremde in unserer Gesellschaft ... die Grund-Situation." Und Stefanie Reinsperger, die ab morgen am Volkstheater als Grillparzers "Medea" zu sehen ist, pflichtet der Intendantin bei: "Wenn man heute auf der Bühne den Satz sagt: Wer ist der Fremde? ... dass das was anderes auslöst und eine andere Gedankenwelt aufmacht als noch vor sechs Jahren ...."
Reinspergers Verpflichtung war Badoras Super-Coup zum Start: Die junge Schauspielerin wurde gerade "Schauspielerin des Jahres", eine Produktion mit ihr auch "Inszenierung des Jahres", und in "die unverheiratete" nahm auch sie mit Autor Ewald Palmetshofer den renommierten Dramatikerpreis in Mülheim entgegen. Mehr Ruhm auf einmal geht kaum.
Stefanie Reinsperger war urplötzlich ein Star. Und zwar am Burgtheater, dem "Theater des Jahres". Sie verließ es, um ans Volkstheater zu wechseln und dort mit dem tschechischstämmigen Regisseur Dusan David Parizek zu arbeiten und alle Welt staunte nicht schlecht.

Überregionale Resonanz durch Uraufführungen

Das war ein Glücksgriff für die neue Intendantin. Sie hatte klugen Weitblick bewiesen in der Personalplanung und noch einige andere Strategien gingen auf. Badora setzte mit Chef-Dramaturgin Heike Müller-Merten ganz massiv auf Uraufführungen – das bringt überregionale Resonanz.
Zugleich aber wurde das - auch schon vom Vorgänger Schottenberg intensiv betriebene - Engagement in den "Bezirken" fortgesetzt und verstärkt. Dies ist wichtig, weil Wiens Stadtteil-Bevölkerungen weitaus stärkere Lokal-Interessen zeigen als etwa in Berlin.
Das Volkstheater in Wien (Der Name ist Verpflichtung!) muss darum aber quasi auch als Landesbühne an allen Ecken und Enden der Stadt präsent sein. Badoras Team nahm das ernst und gründete eine neue kleine Spielstätte im Bezirk Margareten, die sie sehr modisch "Volx" nannte, mit "x" hinten. Hier wird praktisch nur uraufgeführt.
Das sind im Grunde gleich zwei Nischen. Das Burgtheater hält sich viel zugute aufs Weltniveau, aber das Volkstheater will die Stadt – Vienna first
Zudem hat die "Burg" den Umbruch nach dem Rausschmiss des Intendanten Matthias Hartmann durchaus nicht so schnell verkraftet wie es immer vorgibt; Nachfolgerin Karin Bergmann hat derzeit kaum mehr vorzuweisen als edles Sammelsurium. Da wird die Kollegin Badora gleich um die Ecke tatsächlich zur Konkurrentin und ist als solche ernst zu nehmen. Die Theaterszene in Wien jedenfalls hat mit dem Neustart an Profil immens gewonnen. Und das war gut so und nötig.
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