"Bitte an der Agenda 2010 weitermachen!"

Klaus Wübbenhorst im Gespräch mit Hanns Ostermann · 15.08.2008
Trotz des Rückgangs des Bruttoinlandsprodukts lehnt Klaus Wübbenhorst von der Gesellschaft für Konsumforschung ein Konjunkturprogramm ab. Wichtiger sei es, die Agenda 2010 fortzuführen, sagte Wübbenhorst. Die einmal verabschiedeten Maßnahmen müssten konsequent umgesetzt werden.
Hanns Ostermann: Die fetten Jahre sind vorbei, soviel steht wohl fest, nachdem gestern das Statistische Bundesamt seine jüngsten Zahlen vorlegte. Zum ersten Mal seit vier Jahren ist das deutsche Bruttoinlandsprodukt wieder gesunken. Der Wert der im Inland erwirtschafteten Leistung ging um 0,5 Prozent im Vergleich zum ersten Quartal diesen Jahres zurück. Für die Fachleute ist das keine überraschende Entwicklung. Allerdings wird sie alles andere als einheitlich bewertet. Ist das jetzt der Auftakt einer längeren Durststrecke? Oder handelt es sich nur um ein kurzes, vorübergehendes Tief? Wir Verbraucher jedenfalls haben bereits unsere Konsequenzen gezogen, sofern das möglich war. Darüber möchte ich mit Prof. Klaus Wübbenhorst sprechen. Er ist der Vorstandsvorsitzende der GfK, der Gesellschaft für Konsumforschung. Guten Morgen, Herr Wübbenhorst!

Klaus Wübbenhorst: Ja, schönen guten Morgen, Herr Ostermann!

Ostermann: Wir Deutschen kaufen weniger als früher, überlegen uns doppelt und dreifach, wofür wir unser Geld ausgeben. Lebensmittel und Energiepreise sind ja auch teuer genug. Wie wichtig ist der Konsum überhaupt für die Konjunktur?

Wübbenhorst: Der Konsum ist für die Konjunktur in Deutschland sehr wichtig, weil ungefähr 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes durch den Konsum beeinflusst werden. Und damit kann man sagen, wenn der Konsum in Deutschland schwach ist, ist natürlich auch das Bruttoinlandsprodukt schwach, und umgekehrt gilt das natürlich auch. Ein starker Konsum beflügelt auch das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland.

Ostermann: Viele lehnen ja derzeit Konjunkturprogramme ab, denn das triebe nur die Staatsausgaben in die Höhe. Was sollte die Große Koalition tun, um Vertrauen zu schaffen?

Wübbenorst: Nun, richtig ist, dass ich auch kein Fan von Konjunkturprogrammen bin in dem Sinne, dass das meist kurzfristige Maßnahmen sind, die im Übrigen von der Bevölkerung auch als solche wahrgenommen werden. Was man machen muss, ist, nach einer Bestandsaufnahme, ich sage nur Agenda 2010, das ist auch erfolgt, die dort angesprochenen Punkte auch konsequent abzuarbeiten. Das heißt eben, deutliche Senkung der Lohnnebenkosten, hier ist noch etwas zu tun. Dann muss man sich das Thema kalte Progression anschauen. Kalte Progression heißt ja, Lohnerhöhnungen kommen automatisch durch höhere Besteuerung so rüber, dass weniger Netto vom Brutto übrig bleibt. Der Arbeitsmarkt muss flexibilisiert werden. Das sind die Punkte, die wir als wichtig ansehen, damit in Deutschland der Konsummotor für den Konsumenten auch weiter brummt.

Ostermann: Bleiben wir bei dieser kalten Progression. Würde die abgeschafft, hätten wir mehr in der Tasche, aber der Staat doch andererseits weniger. Sehen Sie darin kein Problem?

Wübbenhorst: Nun, das ist richtig, was der eine mehr hat, hat der andere weniger. Aber man muss sich natürlich auch immer anschauen, wo kommt jetzt mehr raus. Die kalte Progression heißt ja einfach, dass das vom Staat eher nicht geplante Einkommen erhöht wird. Der Staat hat an der Ecke mehr. Der Staat hat natürlich auch deutlich mehr Steuereinnahmen durch die höheren Energiepreise. Er partizipiert ja daran. Er hat insgesamt mehr, und deswegen spreche ich mich nicht für eine Erhöhung der Ausgabenquote aus, bin aber der Meinung, dass natürlich eine faire Teilung zwischen dem, was mehr reinkommt, übrig bleiben sollte. Und da hat eben der Bürger in diesem Moment etwas zu wenig. Und wenn der Staat profitieren will, kann er das ja auch über den Weg, der Bürger kauft mehr, dann steigen natürlich am anderen Ende auch die Steuereinkommen, die Konjunktur brummt besser. Es werden Leute eingestellt. Am Ende des Tages, glaube ich, hat jeder was davon.

Ostermann: Sie sprachen auch von der Senkung der Lohnnebenkosten. Woran denken Sie da ganz gezielt?

Wübbenhorst: Nun, das sind natürlich die Belastungen, die wir haben bei der Arbeitslosenversicherung, bei der Rentenversicherung, bei der Krankenversicherung. Hier gibt es, glaube ich, die Bundesagentur für Arbeit macht ja ganz gute Zahlen auch, glaube ich, Spielräume, dort etwas zu überlegen. Aber immer, wie ich betonte, eingepackt in eine grundsätzliche strategische Vorgehensweise und nicht in Herumdoktern an kleinen Maßnahmen. Hier mal ein kleines Bonbon, dort mal ein kleines Bonbon, das hilft uns sicherlich nicht weiter.

Ostermann: Sie sprachen von einer gemeinsamen verabschiedeten Strategie. Das heißt, wir können uns politisch ein Treten auf der Stelle nicht leisten, denn damit ist ja wohl bis zur Wahl des nächsten Bundestages zu rechnen?

Wübbenhorst: Nein, das können wir überhaupt nicht. Das kann sich auch ja kein Unternehmen leisten, dass man einfach man auf der Stelle tritt. Und hier habe ich schon verschiedentlich, und tu das jetzt auch gerne, die Politiker ermuntert, bitte nicht im Hinblick auf die verschiedenen Landtagswahlen und die Bundestagswahlen jetzt einfach nichts zu tun oder Wahlgeschenke zu verteilen. Ihre Hörer mögen sich vorstellen, Vorstände von Aktiengesellschaften würden im Hinblick auf eine Wiederwahl in zwei Jahren einfach sagen, wir tun jetzt gar nichts mehr. Da sieht man, wie undenkbar das ist. Ich glaube, hier muss man den Weg einfach weitergehen und sich nicht durch die Wahlen davon ablenken lassen.

Ostermann: Ja, aber sind Sie entsprechend optimistisch, dass dies der Großen Koalition auf der Zielgeraden auch gelingt?

Wübbenhorst: Nun, erst mal bin ich grundsätzlich immer Optimist und man sollte den Optimismus auch ausstrahlen. Aber ich bin da verhalten optimistisch. Man hat das ja die letzten Monate schon gesehen, dass die Gefahr droht, dass eben wenig gemacht wird und dass Wahlgeschenke verteilt werden.

Ostermann: Die Pendlerpauschale zum Beispiel?

Wübbenhorst: Ja genau. Und ich denke, wenn man das nun oft genug sagt, weiß zumindest die Politik, dass das eine Maßnahme ist, die nicht von jedem gutgeheißen wird. Und deswegen nutze ich auch das Gespräch heute Morgen aus, um dazu zu appellieren, bitte an der Agenda 2010 weitermachen. Wir sind in Deutschland die letzten Jahre gut vorangekommen, im Konjunkturzug. Vom letzten Wagen sind wir schon in das vordere Drittel gekommen. Aber wir möchten ja eigentlich im Führerhaus sitzen und nicht einfach mitfahren.

Ostermann: Ganz verlockend klingt für mich der Vorschlag einer einmaligen Steuerrückerstattung nach US-Vorbild. Diesen Vorschlag hat Thomas Straubhaar in Hamburg genannt. Andererseits würde sie doch wahrscheinlich gleich wieder durch die Heizkostennachzahlungen, die auf uns zukommen, aufgefressen, oder nicht?

Wübbenhorst: Ja, ich meine, das ist ein Thema. Es gibt ja sicherlich viele Konzepte. Aber ich denke, wichtig ist, dass schon mal die einmal verabschiedeten Maßnahmen konsequent umgesetzt werden. Der Bürger möchte nämlich auch natürlich erst mal mehr Geld. Aber was er auch sehr stark haben möchte, ist Berechenbarkeit in der Politik, wenn jeden Tag ein neuer Vorschlag kommt, dann ist der Bürger nicht voll orientiert, und da reagiert er dann meist mit Unsicherheit. Und aus den GfK-Konsumklimaumfragen sehen wir, was das bedeutet. Unsicherheit heißt zunächst, eher kein Geld ausgeben, das Geld zur Bank bringen, wenn was übrig bleibt, dann steigt die Sparquote, aber es steigt eben nicht der Konsum.

Ostermann: Herr Wübbenhorst, vielen Dank für das Gespräch heute früh!

Wübbenhorst: Bitte schön!

Das gesamte Gespräch mit Klaus Wübbenhorst können Sie bis zum 15. Januar 2009 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. MP3-Audio