Bits und Bytes in Windeseile

Von Dirk Asendorpf · 02.05.2007
Die bisherigen Vorhersagen über den Klimawandel basieren auf recht groben Modellen des komplexen Zusammenspiels von Atmosphäre, Ozeanen und Landoberfläche. Um genauere Szenarien entwickeln zu können, brauchen die wissenschaftlichen Einrichtungen noch bessere Hochleistungsrechner. Das Bundesforschungsministerium fördert deshalb auch das Deutsche Klimarechenzentrum in Hamburg.
"Es ist 1:25 Uhr, ich bin die Straße hinaufgefahren. Dort ein Haus, in den oberen Stockwerken brennt Licht, unten ist das ganze Haus von aufgepeitschten Wassern umgeben. Der Mond bricht hin und wieder durch, ein gespenstisches Bild. Ein unheimlicher Sturm…"

Die Nacht von 16. auf den 17. Februar 1962. Große Teile Hamburgs stehen schon unter Wasser.

"Wir haben unsere Keller voll, so weit sind wir hier. Da ist uns natürlich alles abgesoffen, die Hühner und den ganzen Scheiß, ist ja alles weg, nicht…"

Nicht nur Tiere, auch 337 Menschen fielen der Sturmflut damals zum Opfer, 75.000 wurden obdachlos. Acht Mal ist das Wasser der Nordsee in den letzten Jahrzehnten noch höher aufgelaufen als 1962. Größere Schäden gab es dabei nicht mehr. Der Grund: Die Menschen haben vorgesorgt. An der gesamten Küste wurden die Deiche verstärkt und erhöht. Doch das reicht bald nicht mehr. Der Treibhauseffekt wird den Meeresspiegel deutlich schneller ansteigen lassen als in der Vergangenheit. Aber um wie viele Zentimeter genau? Und wie wird sich der Klimawandel auf Temperaturen und Niederschläge und damit auf Landwirtschaft oder Tourismusindustrie auswirken?

Wer das wissen will, braucht Höchstleistungscomputer. Und die gibt es seit 2002 im Deutschen Klimarechenzentrum in Hamburg.

"Was wir hier sehen sind diese drei Reihen von NEC-Rechnern, also der HLRE-Höchstleistungsrechner. Hier laufen praktisch die ganzen Fäden zusammen."

192 japanische Computer stehen dicht nebeneinander, von einem kalten Luftstrom gut gekühlt und mit hellblauem Datenkabel von insgesamt 42 Kilometern Länge vernetzt. Das Kontrollpult an der Stirnseite des Saales ist unbesetzt, gesteuert werden die Rechner von Michael Böttinger und seinen Kollegen ganz bequem von ihren Büros aus, die in einem ruhigen Nebengebäude untergebracht sind.

"Wir sehen hier eine Grafik des Klimasystems. Das Ganze wird von der Sonne angetrieben. Das Klimasystem ist eine große Wärme-Kraft-Maschine. Und Atmosphäre und Ozean unterhalten sich praktisch an der Meeresoberfläche, also die tauschen dort Informationen aus, zum Beispiel treibt der Wind die Meeresströmung an oder Wärme wird aufgenommen und abgegeben. Und drittens wandert auch Wasser hin und her durch Verdunstung oder durch Niederschlag. Und diese Wechselwirkungen, die müssen eben auch mit Klimamodellen berechnet werden."

Hunderte von Parametern fließen in die Szenarien ein. Und alle beeinflussen sich gegenseitig. Deshalb können die Berechnungen auch nicht auf einzelne Computer aufgeteilt werden, die unabhängig voneinander arbeiten.

"Der Kommunikationsaufwand ist bei diesen Modellen relativ hoch. Deshalb haben wir in unserem Rechner ein Hochleistungsnetzwerk speziell für die Parallelisierung, was erlaubt, dass ein Rechenknoten, der bei uns acht Prozessoren und einen gemeinsamen Hauptspeicher hat, mit einem beliebigen anderen Rechenknoten mit einer Geschwindigkeit von acht Gigabyte pro Sekunde kommunizieren kann. Das entspricht ungefähr einer Video-DVD pro Sekunde. Insgesamt haben wir ein System bestehend aus 24 dieser Knoten, insgesamt 192 Prozessoren."

Ein ganzes Jahr hat der Hamburger Computerpark für die Berechnung des jüngsten Weltklimaberichts benötigt. Die gesamte Erdoberfläche wurde dafür in einzelne Segmente aufgeteilt. Jedes Tiefdruckgebiet, das von West nach Ost über den Atlantik zieht, verändert in der Modellrechnung Luftdruck, Windgeschwindigkeit, Temperatur und Luftfeuchtigkeit der westlichen, und anschließend aller weiter östlich gelegenen Segmente. Für ein globales Klimamodell führt dies bereits zu brauchbaren Ergebnissen, für die Vorhersage der Klimaentwicklung einzelner Regionen ist das bisherige Raster von 200 mal 200 Kilometern aber noch viel zu grob.

"Wenn wir so etwas mit dem halben Gitterpunktabstand machen wollten, würden wir mit dem jetzigen Rechner ungefähr zehn Jahre brauchen. Das wäre ein bisschen blöde, denn das wäre schon der übernächste IPCC-Bericht."

Ein neuer, noch schnellerer Rechner muss her. 33 Millionen Euro hat das Bundesforschungsministerium dafür bewilligt. Im Vergleich zu den Kosten, die entstehen können, wenn die Deiche um einige Zentimeter zu niedrig gebaut werden, ist das nicht viel. Der Küstenschutzexperte Michael Schirmer von der Universität Bremen:

"Bisher haben wir einen Meeresspiegel-Anstieg gehabt von etwa 25 cm in 100 Jahren und haben kontinuierlich die Deiche daran angepasst. Es gibt jetzt aber massive Hinweise darauf, dass sich dieser Meeresspiegel-Anstieg wahrscheinlich erheblich beschleunigen wird mindestens auf das Doppelte, wahrscheinlich sogar auf das Dreifache. Das heißt, man ist dann bei 75 cm in 100 Jahren, und das bedeutet: Solange man nicht weiß, wie viel und wie schnell der Meeresspiegel ansteigt: Lass uns mal auf Nummer sicher gehen und etwas mehr drauflegen im Moment, weil wir die teuren Baustellen sowieso jetzt einrichten müssen."

Die Festplatten des Klimarechenzentrums drehen sich nicht nur für die Wissenschaft. Sie tragen auch dazu bei, dass sich eine Katastrophe wie 1962 nicht wiederholt. Die Teile Hamburgs, die damals überflutet waren, sind vom Computerraum aus gut zu sehen, denn er befindet sich im 15. Stock des Geomatikum-Gebäudes der Universität.

"Der Rechner hat in der Tat hier ne ganz prima Aussicht. Wir haben hier vor eineinhalb Jahren eine Nacht des Wissens durchgeführt, und dann konnte man hier auch schön den Rechner und festlich beleuchtet Hamburg sehen."