Bischofferode

War das die Wende, die wir wollten?

Demonstration in Bischofferode im August 1993
1. August 1993: Bergarbeiter demonstrieren für den Erhalt des Kaliwerks Bischofferode. © picture alliance / dpa / Foto: Ralf Hirschberger
Von Henry Bernhard · 02.10.2015
Trotz massiver Proteste und Hungerstreiks konnten die Kumpel des thüringischen Kaliwerks Bischofferode die Schließung ihrer Zeche vor rund 22 Jahren nicht verhindern. Wie sehen sie heute die Wiedervereinigung?
Ein Stuhl gibt nach unter einem Gast - und Gerhard Jüttemann, der gerade die Besucher im Bergbaumuseum begrüßt, mutmaßt, dass der Stuhl angesägt worden war.
Man lacht, man scherzt, man ist unter sich in Bischofferode. Selten verschlägt es einen Fremden hierher. Und wenn doch, dann geht es auch heute, 22 Jahre danach, fast immer um den Kampf der Kalikumpel für ihre Arbeitsplätze, um den Hungerstreik, dessen Bilder 1993 um die Welt gingen. Zu Gast ist eine Journalistin, Burga Kalinowski, die für ein Buch zwei Dutzend prominenten und weniger prominenten Ostdeutschen die Frage gestellt hat: "War das die Wende, die wir wollten?"
Auch einen Bischofferöder Kalikumpel hat sie hat sie in ihrem Buch, deshalb ist sie hier; deshalb muss er, Willibald Nebel, die Frage noch einmal vor Publikum beantworten.
"Ja, dieses zu beantworten ist eigentlich ganz leicht. Wir hatten selbst zu unserer Schulzeit schon gelehrt gekriegt, dass die Marktwirtschaft brutal und unmenschlich ist. Wir haben es nie geglaubt, weil wir die Erfahrung in den Jahren nicht gemacht haben und nicht brauchten. Ich schiebe und schubse, mit Ellenbogen und allem Drum und Dran, meinen Gegenüber aus der Reihe, damit ich vielleicht besser dastehe. Auch die Erfahrung: Das Lächeln meines Gegenüber, der mir eigentlich noch etwas unbekannt ist, möchte ich in der Marktwirtschaft so hinstellen: Vermute in jedem Gegenüber, der dich anlächelt, nur den kleinen Schweinehund!"
"So viel Solidarität von außen erfahren"
Das Publikum murmelt und nickt zustimmend. Viele ehemalige Kalikumpel sind gekommen, in die Jahre gekommene Bürger von Bischofferode. Und natürlich Bodo Ramelow, heute Ministerpräsident in Thüringen, dessen politischer Aufstieg 1993 in Bischofferode begonnen hatte. Damals war Ramelow Gewerkschafter, heute Politiker. Denen aber mißtraut Willibald Nebel. Den meisten zumindest.
"Vor der Wahl wird versprochen noch und nöcher, und nach der Wahl wird dann gesagt: 'Das war ja gar nicht so! Ich habe ja vorher gar nicht gewußt, um was es ging!'"
"Da steht der Ramelow ganz gut da ..."
Burga Kalinowski, die Autorin, interveniert zugunsten von Bodo Ramelow, der ebenfalls auf dem Podium sitzt. Der sei doch anders ...
"Richtig, das macht er doch auch! Deshalb erinnern wird doch immer wieder dran, Gottseidank auch mit Herrn Ramelow, dass wir nicht Bischofferode vergessen. Und das ist wichtig! Die Solidarität, mit der wir diesen Arbeitskampf überhaupt durchführen konnten! Das hätten wir gar nicht so lange durchhalten können, wenn wir nicht so viel Solidarität von außen, von euch allen erfahren hätten. Und der Zusammenhalt, das ist das, womit man vielleicht noch irgendwas erreichen könnte!"
Viele Häuser im Ort inzwischen abgerissen
Viel mehr als die Erinnerung an die Solidarität von 1993 ist ihnen nicht geblieben: Der Schacht ist lange geschlossen, das Gewerbegebiet überschaubar, viele Häuser im Ort inzwischen abgerissen.
"Bischofferode ist so ein Wendepunkt. Es war ein großer Einschnitt auch für den Ort. Wir haben damals so knapp 2500 Menschen gehabt im Dorf, als das Werk noch gearbeitet hat. Es sind über Tausend Menschen weggezogen. Und so was merkt man natürlich. Und so was geht an einer Region nicht spurlos vorüber. 'Die Wende, die wir gewollt haben?' Tja ..."
Auch Hanno Ribycki hat sich die Wende anders vorgestellt, gerade in der Wirtschaft:
"Und es sind auch eine Menge anderer Betriebe über die Klinge gesprungen, die heute noch existieren könnten! Und daran sieht man: Dass die Politik das Spiel mitgespielt hat – dass ist das Verwerfliche daran! Man kann auch der Politik nicht trauen! Das ist heute so und das war vor 25 Jahren so!"
Den Arbeitsplatz haben sie verloren 1993, ihre Stimme aber gewonnen, und die Erkenntnis, dass die ihnen nur etwas nützt, wenn sie zusammenstehen. Und der linke Ministerpräsident? Bodo Ramelow nutzt die Gelegenheit, um den Ursprung seiner Rot-Rot-Grünen Regierung genau hier, in Bischofferode zu verorten.
Ramelow: "Diese Trennung ist das eigentliche Problem"
"Aus dem Arbeitskampf Bischofferode ist entstanden die Erfurter Erklärung. Die hat damals den ersten Appell gegeben an PDS, SPD und Grüne, endlich ihre ideologischen Grabenkämpfe zu überwinden und das Gemeinsame zu erkennen! Weil unsere Botschaft war: Deutschland Ost steht nicht gegen Deutschland West und Deutschland West nicht gegen Deutschland Ost. Diese Trennung der Gesellschaft, haben wir damals in der Erfurter Erklärung geschrieben, ist das eigentliche Problem. Und wenn ich's auf heute übertrage, dann sage ich: Jetzt repräsentiere ich eine Landesregierung, die die Erfurter Erklärung zum ersten Mal ausprobiert."
Die Autorin Burga Kalinowski erklärt, dass ihre Interviewpartner eigentlich nur eine andere, bessere DDR wollten. Und wenn es für viele nicht die Wende war, die sie sich erhofft hatten, weil sie Arbeit, Identität und oft auch die Heimat verloren haben, weil sie umziehen mußten, so steht doch der ehemalige Kumpel Hanno Ribycki für die, für die das Ende auch ein neuer Anfang war.
"Mir ist es eigentlich relativ gut ergangen. Also, ich habe wieder einen Job gefunden. Ich war noch sehr jung, ja. Ich hab ein Haus gebaut und wieder einen Job gefunden. War alles ganz entspannt. Ich hab's einigermaßen hingekriegt."
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