Bis in tiefste Tiefen

Von Christoph Kersting · 17.06.2009
70 Prozent der Erde sind von Wasser bedeckt - doch ein Großteil der Meere ist immer noch unerforscht. Weitere Erkenntnisse könnte nun eine neue Generation von Tauchrobotern liefern. Sie können bis zu den tiefsten Punkten des Meeresbodens vordringen.
Frank Schätzing "Der Schwarm": "Es ist ein Victor 6000, ein Remotely Operated Vehicle, kurz ROV, erklärte Alban. Er kann bis in Tiefen von 6000 Metern vorstoßen und dort einige Tage arbeiten. Wir steuern ihn von hier oben und empfangen sämtliche Daten in Echtzeit, alles über Kabel. Die Kameraperspektiven veränderten sich. Der Roboter wurde abgesenkt. Das Meer kam näher, dann schwappte Wasser über die Objektive. Victor sank weiter. Die Monitore zeigten eine blaugrüne Welt, die langsam trüber wurde ..."

Und diese blaugrüne Welt verheißt nichts Gutes bei Frank Schätzing, der in seinem Ökothriller "Der Schwarm" Makrelen, Würmer und Wale scheinbar vereint gegen die Menschheit zu Felde ziehen lässt. Eine wilde Geschichte ist das, die Schätzing da auf 1000 Seiten zusammen spinnt. Doch der Mann hat gut recherchiert, und so erfahren wir nebenbei viel Wissenswertes über Meeresforschung und wie Biologen die Tiefsee erforschen. Tauchroboter wie "Victor 6000" spielen dabei tatsächlich eine wichtige Rolle.

Zwei große gelbe Tanks, an denen eine Art Einkaufswagen ohne Räder hängt - wie eine Tiefseevariante von Raumschiff Enterprise sieht er aus, der Unterwasserroboter "Nereus", der in der realen Tiefseeforschung neue Maßstäbe setzt, sagt Christoph Waldmann vom Bremer Zentrum für marine Umweltwissenschaften MARUM:

"Im Bereich von Unterwasserfahrzeugen unterscheidet man zwischen Kabel gesteuerten Systemen und autonomen Systemen. Beide sind jetzt soweit entwickelt, dass man sie auch in der Tiefsee einsetzen kann. Das ist eine der neuen Aufgaben, die man sich stellt im wissenschaftlichen Bereich, und man kann sagen, dass heute alle Wassertiefen abgedeckt sind, bis hinunter in den Marianengraben, der bekanntemaßen 11.000 Meter tief ist."

Damit hat "Nereus" dem Unterseeroboter "ROV Kiel 6000" den Rang abgelaufen, der noch vor einem Jahr mit einer Reichweite von 6000 Metern das non plus ultra in der Tiefseerobotik darstellte und für Schätzings "Victor 6000" Pate stand. Außerdem Ist "Nereus" ein "hybrider" Roboter, das heißt, er kann beides: Kabel gesteuert oder autonom unterwegs sein. Meeresforscher sprechen hier von "Remotely" und "Autonomously Operated Vehicle" - kurz ROV oder AOV.

Um so tief tauchen zu können, wurde "Nereus" in seinem amerikanischen Heimatlabor Woods Hole ein widerstandsfähiger Keramikpanzer verpasst. Die fünf Antriebsmotoren beschleunigen den knapp drei Tonnen schweren Roboter auf bis zu drei Knoten, das sind rund sechs Stundenkilometer. Um Videomaterial, Lebewesen und Gesteinsproben von seinen Tauchgängen mit an die Oberfläche zu bringen, hat "Nereus" ein ganzes High-Tech-Arsenal an Bord. Für scharfe Bilder sorgen HDTV-Kameras, 50 Kilo wiegt alleine der hydraulische Arm, der mit seinen sieben Funktionen ähnlich genau arbeitet wie eine menschliche Hand und bis zu 25 Kilo Material auf der Unterseite von "Nereus" verstauen kann.

Die neueste Generation der Unterseeroboter taucht nicht nur tiefer, sondern liefert auch wesentlich genauere Daten, wenn es etwa um die Kartierung des Meeresbodens im AOV-Modus, also ohne Kabelbetrieb geht. Dafür haben Roboter wie "Nereus" spezielle Sonartechnik an Bord, erklärt Peter Gimpel von der Firma Elac Nautik:

""Sie verwenden frequenzcodierte Signale, das heißt, Sie senden nicht nur einen Fächer ab, sondern hier in diesem Fall zwei Fächer in unterschiedlichen Frequenzen, und damit erreichen Sie eine höhere Datenmenge und letztendlich indirekt eine bessere Auflösung des Meeresbodens, also Sie können kleinere Strukturen erkennen und haben ein effektiveres Verfahren, um den Meeresboden zu kartieren."

Denn nach wie vor sind die Weltmeere kartographisch schlechter erfasst als etwa der Mond. Dabei ist die Erforschung der Tiefsee nicht wissenschaftlicher Selbstzweck, sondern kann laut Christoph Waldmann vom Bremer MARUM durchaus praktischen Nutzen bringen:

"Es ist ja bekannt, dass der mittelatlantische Rücken ein Gebiet ist verstärkten Vukanismus'. Dort kommt es zu Austritten von Flüssigkeiten und von Gasen. Und man möchte das gerne quantifizieren, man möchte wissen, in welchem Umfang Flüssigkeiten und Gase dort austreten und auch die Lebensgemeinschaften dort näher untersuchen. Man hat festgestellt, dass die Flüssigkeiten, die dort austreten, hoch toxisch sind. Das ist also für die Forschung im Bereich Medizin extrem interessant, wie das möglich ist, dass diese Lebewesen diese extreme Belastung dort überleben können."

Zudem schlummern in den Meerestiefen wertvolle Rohstoffe. Experten gehen davon aus, dass etwa die Gasvorkommen im Meer hundertmal größer sind als jene an Land. Neuartige Tauchroboter wie "Nereus" können wertvolle Erkenntnisse liefern, wie genau diese Methanvorkommen nutzbar gemacht werden können.

Unterwasserroboter arbeiten aber nicht nur in Tiefseeregionen, sondern auch in flacheren Gefilden, in Häfen etwa, wo sie Sicherheitsinspektionen übernehmen. "Seawolf" und "Seaotter" heißen die kleinen Brüder von "Nereus", die eher aussehen wie fern gesteuerte Spielzeug-U-Boote. Ursprünglich wurden diese kleineren und wendigeren Tauchroboter entwickelt, um Unterseeminen aufzuspüren, erklärt Walter Wagner von der Firma Atlas Elektronik:

"Mit dem etwas kleineren, zwei Meter langen Seewolf können wir genau diese Aufgabe erledigen, dass wir Schiffsinspektionen machen oder im Hafen, in einem etwas engeren Bereich, wo ja mehrere Teile liegen, viele Schiffe liegen, da können wir den Seewolf einsetzen, der dann Inspektionen an Schiffshüllen oder auch an Spundwänden vornehmen kann. Wir haben verschiedene Sonare an Bord, wir haben ein sog. Forward-looking sonar, was nach vorne schaut, wir haben ein Tiefenlot, und wir haben als wichtigen Sensor auch ein sog. Side-scan sonar. Damit kann der Seewolf die Schiffshüllen inspizieren ..."

Auch bei der Einrichtung von Meeresobservatorien sind die Forscher auf Unterseeroboter angewiesen. So wird in diesem Sommer der MARUM-eigene Roboter "Quest" auf dem Forschungsschiff Polarstern gen Arktis aufbrechen, um dort erste Messinstrumente auszusetzen. Fernziel der Forscher ist ein arktisches Meeresobservatorium in 3000 Meter Tiefe.