"Biophilie" – Die Liebe zum Lebendigen

Warum uns die Natur in der Coronakrise so fehlt

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Eine Reisegruppe fotografiert sich in Portugal auf einer hügeligen grünen Wiese.
Besonders schöne, erinnerungswürdige Erlebnisse finden oft in der Natur statt – und die wollen wir oft auch teilen. © Unsplash / David Klein
Von Jochen Dreier · 09.04.2020
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Die Sozialen Netzwerke quillen über mit Fotos, auf denen sich Menschen in der Natur inszenieren. Diese Liebe zum Leben wurde in einer Studie der Universität Singapur genauer untersucht und dabei hat die Forschungsgruppe eine interessante Entdeckung gemacht.
Auf einem der wenigen längeren Spaziergänge der letzten Wochen, saß ich kurz auf einer grasigen Brachfläche, dort, wo die Stadt in landwirtschaftliche Kulturfläche übergeht. Fasziniert beobachtete ich ein wespenartiges großes Insekt, das noch etwas müde auf den Spitzen der Grashalme seine Flügel trocknete.
Ein schöner Moment. Natürlich schoss ich ein paar Fotos, um das kleine Glück mit den unbekannten Bekannten der sozialen Medien zu teilen.

Positives Denken in und mit der Natur

Kein Zufall, sagt die Biologin Chang Chia-Chen. Mit einer siebenköpfigen Forschungsgruppe analysierte sie Bilder aus sozialen Medien, vor allem anhand der Fotoplattform Flickr.
"Die Idee unsere These war, dass Menschen eine positive Verbindung mit der Natur haben – und das überall auf der Welt. Dass sie vor allem schöne Momente, Entspannung und Spaß in der Natur erleben. Um dies zu testen, haben wir uns die Bilder des Fotonetzwerks Flickr angeschaut. Dort nutzen die Menschen viele Tags, um ihre Fotos zu beschreiben. So konnten wir erkennen, dass Fotos mit Beschreibungen wie Urlaub, Flitterwochen oder einfach Sport und Spaß, sehr viel mehr Natur enthielten als tägliche Routinen. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass es eine universelle Assoziation von Natur und schönen Erinnerungen gibt."
Der Ansatz der Studie klingt nachvollziehbar, weil fast jeder Mensch diese Gefühle teilt. Besonders schöne, erinnerungswürdige Erlebnisse finden oft in der Natur statt. Natürlich gibt es davon besonders viele Fotos. Doch die Wissenschaftler wollten damit eine evolutionäre These bekräftigen, die der Biophilie.


Edward Osborne Wilson, ein amerikanischer Soziobiologe entwickelte diese Theorie in den frühen 90iger-Jahren. Sie besagt, dass der Mensch im Laufe der Evolution eine Affinität zu den vielen Formen des Lebens und zu den Habitaten und Ökosystemen entwickelte, die Leben ermöglichen. Wir fühlen uns zur Natur hingezogen und dadurch erhalten wir sie auch. Wir pflegen Pflanzen in Wohnungen und um unsere Häuser herum. Kranke, die aus ihren Fenstern Gärten sehen, werden nachweislich schneller gesund. Und manche Menschen bringen sich selbst in Gefahr, nur um Wildtiere aus bedrohlichen Situationen zu retten.
Zimmerpflanzen stehen in einer Wohnung.
Die Affinität zur Natur sorgt auch dafür, dass wir Pflanzen in unsere Wohnungen stellen. © Unsplash / Timothy Buck

"Wir haben eine evolutionsbiologische Verbindung zur Natur"

Allerdings: Der Mensch verändert die ursprüngliche Natur. Wir leben im Anthropozän, in betonierten Städten und setzen den Planeten unter Umwelt-Dauerstress. Aus diesen zusammenhängenden Gegensätzen, lässt sich ein umweltethischer Gedanke verbinden.
"Wenn wir Natur und natürliche Habitate verlieren, dann verlieren wir nicht nur ökologische und ökonomische Werte. Wir verlieren auch einen wichtigen Ort für positive Erinnerungen. Aber die These der Biophilie sagt, wir haben eine evolutionsbiologische Verbindung zur Natur, die für Wohlbefinden mit zuständig ist."
Würde diese tiefe evolutionäre Verbundenheit des Menschen mit der Natur keinen Platz mehr im Leben einnehmen, würde dies tiefe Einschnitte hinterlassen, ist Chang Chia-Chen von der Universität Singapur überzeugt. Ihre Studie soll ein klares Signal für den Umweltschutz sein. Oft wird der Menschheit leider erst deutlich, dass etwas Eklatantes fehlt, wenn dies schon verloren ist. Evolutionsbiologisch hat der Mensch immer auf die Natur vertrauen müssen, um zu überleben. Erst seit sehr kurzer Zeit können Gruppen von Menschen sich beispielsweise ernähren, ohne direkt an der Herstellung von Nahrung beteiligt zu sein.

Die Studie soll auch aus diesen Gründen noch ausgeweitet werden.
Ein Smartphone an einem Selfie-Stick for grünem Hintergrund in der Natur.
Erlebnisse in der Natur: Es gebe global verschiedene Vorlieben, sagt die Forschung.© Unsplash / Casey Chae
"Verschiedene Erlebnisse und Aktivitäten in der Natur können unterschiedliche Einflüsse auf unser Leben haben. Ob wir beispielsweise nur auf einer Wiese liegen oder ob wir angeln. Da gibt es auch global verschiedene Vorlieben. Da müssen wir noch genauere Fragen und Untersuchungen anstellen, um unsere Verbindung zur Natur besser zu verstehen."

Studie hat noch Schwächen

Die bisherige Studie unter dem Titel "Soziale Medien, Natur und Lebenserfüllung: Globale Nachweise der Biophilie Hypothese" hat allerdings Schwächen. Denn die Methode, sich vor allem an den Metadaten der international gesammelten Fotos zu orientieren, ist ungenau. Es wurden nur die Bilder, die dort fotografierte Natur und Beschreibungen, dazu analysiert, aber keine Informationen zu den Fotografen selbst. So ist also nicht klar, ob es ein Tourist war, oder ein Einheimischer, der zum Beispiel den Königsstuhl in der sächsischen Schweiz, den Bodensee oder den Uluru in Australien ablichtete.

Es können also keine klaren Rückschlüsse auf bestimmte Kulturen gezogen werden, nur auf einer groben globalen Skala eine Verbundenheit mit Natur gezeigt werden – mit einer Ausnahme bei den freudigen Ereignissen: Hochzeiten.
"Das war etwas, was wir auch nicht erwartet haben, aber Hochzeiten werden auf Fotos nicht besonders häufig mit Natur verbunden. Wir denken, dass es einfach damit zusammenhängt, weil die meisten Menschen eben in Städten wohnen und es so einfacher ist, seine Gäste einzuladen und zu sammeln. Dieser Vorteil überschreibt sozusagen unsere evolutionäre Verbindung zur Natur."

Links:

Nature
Socialsciences Nature
Changchiachen Files
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