Bionik und Biobots

Mechanisches Leben

Eine Madagaskar-Fauchschabe an der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Friedrich-Schiller-Universität Jena: Forschungen an der Madagaskar-Fauchschabe sollen helfen, die Mechanik von Robotern zu optimieren. © picture alliance / dpa / Foto: Jan-Peter Kasper/FSU
Von Frank Kaspar  · 08.01.2015
Seit Jahren entwickeln Wissenschaftler und Künstler mobile Maschinen und Mischwesen, die Biologie und Technik miteinander verzahnen. In Berlin lebt die Künstlerin Käthe Wenzel, die aus Knochen und Elektronik eigenwillige Kreaturen baut - sogenannte Biobots.
Die Wände sind weiß, die Räume fast leer. In diesem Atelier lenkt nichts den Blick ab. Die Kunstwerke warten in Kisten verpackt auf die nächste Ausstellung. Käthe Wenzel zeigt ihre Lieblingsstücke. Im Packpapier blitzen Metall und bleiche Knochen auf. Präparat oder Skulptur? Tier oder Maschine? Auf den ersten Blick ist das kaum zu entscheiden.
Käthe Wenzel: "Also, das ist ein so genannter ´Bonebot`. Das ist ein kleines Wesen. Es hat einen Körper aus Plexiglas mit einer Platine, ein paar Zahnräder und hat vier Beine. Und diese Beine sind Knochen."
Die Beine waren einmal Unterkiefer von Wildkatze oder Waschbär. Aus manchen ragen noch Zähne hervor. Ein Elektromotor treibt die "Bonebots" an. Wacklig aber beharrlich stapfen sie über die Dielen – und wirken auf unheimliche Weise lebendig.
"Ja, weil sie sich bewegen, das ist der ganz alte Trick. Wenn die Skulptur anfängt, sich zu bewegen, dann ist es irgendwie komisch – Bewegung ist halt Lebendigkeit."
"Ihr Schritt ist sonderbar abgemessen, jede Bewegung scheint durch den Gang eines aufgezogenen Räderwerks bedingt."
So charakterisiert E.T.A. Hoffmann in seiner Erzählung "Der Sandmann" aus dem Jahr 1816 das Mädchen Olimpia, dem der Student Nathanael in unglücklicher Liebe verfällt. Nathanaels Freunden ist diese Olimpia nicht geheuer: "Es war uns, als tue sie nur so wie ein lebendiges Wesen", sagen sie. Tatsächlich stellt sich heraus, dass Olimpia eine täuschend echt konstruierte mechanische Holzpuppe ist. Käthe Wenzels Knochen-Roboter sind moderne Nachfahren solcher Automaten-Phantasien.
"Ja, das sind so eine Art Mini-Cyborgs, (…) die bestehen aus organischem Material und auch Mechanik. Und das ist halt irgendwo schon auch die Zukunft: Das fängt bei der Hüft-Prothese an, die wir hoffentlich alle mal bekommen, wenn wir sie brauchen, und geht weiter mit Herzschrittmachern. Und im Prinzip bilden wir ja schon, wenn wir den Computer benutzen, so eine Art Maschine-Mensch-Einheit."
Eine neue Generation von "Biobots"
Lange Zeit haben Ingenieure sich die Natur zum Vorbild genommen. Bioniker fanden auf diese Weise technische Lösungen. Entwickler künstlicher Intelligenz erkannten, dass Computer einen Körper brauchen, damit sie Erfahrungen machen und daraus lernen können. Die kognitive Robotik baut nach dieser Devise intelligente Maschinen, die sich ähnlich orientieren und bewegen können wie Insekten. Aber inzwischen gehen viele Forscher noch einen Schritt weiter. In den Labors von Informatikern und Biologen wächst eine neue Generation von "Biobots" heran. Hier wird Natur nicht nachgebaut, sondern mit Technik auf eine Weise verwoben, die Käthe Wenzels Knochenkerle weit in den Schatten stellt.
"Wir sind bei halb-organischen Maschinen, es gibt halb-organische Computer, die Realität ist Lichtjahre über so was hinaus. Das ist eine freundliche kleine Spielzeug-Karikatur von dem, was Realität ist."
Amerikanische Ingenieure haben einen Roboter konstruiert, der sich mit Hilfe natürlicher Muskelfasern fortbewegt. Bio-Informatiker statteten Käfer mit Mikroprozessoren aus, um sie als ferngesteuerte Kameras einzusetzen. Andere Forscher schleusen Mini-Roboter, so genannte "Insbots", in Gruppen von Kakerlaken ein, um das Verhalten der Insekten zu untersuchen und zu beeinflussen. Die Medienwissenschaftler Benjamin Bühler und Stefan Rieger sehen in diesem "Multikulti zwischen Tier und Maschine" Ansätze zu einer künftigen Ökologie.
Theo Jansen: "My name is Theo Jansen, and I try to make new forms of life and I try to make these animals to live on their own."
Maschinen, die sich wie Tiere verhalten, baut auch der niederländische Künstler Theo Jansen. Er setzt seine filigranen, beweglichen Skulpturen am Strand aus.
Theo Jansen: "They are skeletons, and they can walk, and they walk on the wind. So they don’t have to eat, they get their energy from the wind, and because they life on the beach, I call them beach aninmals, and Dutch for beach animals is Strandbeest."
Wenn Käfer zu Flug-Robotern werden
Mit ihrem skelettartigen Aufbau, den beweglichen Segeln und der komplexen Mechanik ihrer Beine erinnern Theo Jansens so genannte "Strandbeests" an phantastische Flugmaschinen von Leonardo da Vinci. Der Künstler möchte seine bis zu zehn Meter langen, drei, vier Meter hoch aufragenden Geschöpfe eines Tages am liebsten vollständig "auswildern". Noch muss er ihnen ständig helfen, in der Natur zu überleben.
Was aber ist "Natur", wenn man Technologie und Tierreich längst nicht mehr scharf voneinander trennen kann? Wenn Käfer zu Flug-Robotern umgerüstet werden oder Haie mit Minisendern Badegäste per Twitter vor sich selbst warnen, bevor sie in Strandnähe kommen? – "Natur" ist ein großes Wort, sagt Käthe Wenzel.
"Der große Trick, wenn man uns was als unabänderlich verkaufen will, ist ja immer, zu behaupten, es sei Natur – und zu sagen, das sei halt so, von Natur aus, und darum kann man das nicht ändern, und darum müssen wir das akzeptieren. Das Natur-Argument ist halt so ein Totschlag-Argument. Und ich bin dazu übergegangen, wenn Leute mir sagen, das zum Beispiel Frauen von Natur aus besser kommunizieren können und Männer von Natur aus besser einparken können, dass ich dann zu ihnen sage: Natur ist was ganz tolles, und ich wünsche dir viel Spaß, wenn du jetzt zu Fuß in deine Höhle zurückgehst und dabei die Antibiotika absetzt."
In einer Welt, die so weitreichend von der technischen Intelligenz des Menschen geformt ist, dass viele Forscher schon von einem neuen Erdzeitalter sprechen, dem "Anthropozän", steckt "Natur" einem nicht mehr einfach so in den Knochen. Käthe Wenzels stolpernde "Bonebots" sind eine Metapher für unsere zweite Natur. Als Mischwesen balancieren sie auf einem schmalen Grat zwischen Kreatur und Automat, zwischen Biologie und Technik.
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