Biomacht

Viel Rauch um nichts

Friedhelm Adolfs
Friedhelm Adolfs raucht demonstrativ vor dem Düsseldorfer Landgericht. © dpa / picture alliance / Rolf Vennenbernd
Von René Aguigah · 29.06.2014
Das Landgericht Düsseldorf hat entschieden: Wegen Geruchsbelästigung muss der Raucher Friedhelm Adolfs seine Wohnung räumen. Das Urteil ist nicht nur eine Niederlage für ihn, sondern auch für all jene, denen die durch die Ritzen dringende Macht eine Zumutung ist.
Die Macht dringt in jede Ritze der Gesellschaft: Für diese These lässt sich kein besseres Beispiel denken als den Fall des Friedhelm Adolfs. In seiner eigenen Wohnung könne er doch tun und lassen, was er wolle, so haben es die Kommentare betont, sogar Zigaretten zu rauchen sei da nicht verboten. Was ihm zum Verhängnis wurde, war: Der Rauch zog in die falsche Richtung ab – nicht durch die gekippten Fenster, sondern durch die Ritzen der Wohnungstür, ab in den Hausflur, hinein ins Treppenhaus, von dort in die Nasen der Nachbarn. Nachbarn, die sich dann, in Sorge um ihre körperliche Unversehrtheit, bei der Vermieterin beschwerten, die wiederum die Räumungsklage gegen den rauchenden Mieter Adolfs anstrengte – und ihn nun aus seiner Wohnung wirft, wenn das Urteil rechtskräftig wird.
Michel Foucault und die Biomacht
In der Moderne dringt die Macht in jede Ritze der Gesellschaft, das ist eine These Michel Foucaults. Foucault - jener viel zitierte Philosoph, dessen 30. Todestags in der vergangenen Woche gedacht wurde. Die Macht in der Moderne, zumindest einen bestimmten beherrschenden Machttyp, nennt Foucault "Biomacht". Und die Biomacht funktioniert nach einem einprägsamen Prinzip, nämlich: "leben machen und sterben lassen".
Während die vormoderne Macht im Zeitalter des Absolutismus sich mit theatralischen Urteilsvollstreckungen und Hinrichtungen inszenierte, konzentriert sich die Biomacht seit dem 18. Jahrhundert auf das Leben der Bevölkerung. Sie klärt auf über Gesundheit und Krankheitsvorsorge, sie setzt Hygienestandards durch, sie führt Krankenversicherungen und Gesundheitsämter ein, sie steigert die Geburtenrate und senkt die Sterblichkeit – nicht aus Nächstenliebe wohlgemerkt, sondern zur Optimierung der eigenen Bevölkerung. Das ist nicht prinzipiell schlecht. Aber eben auch nicht prinzipiell gut. Und es kippt jedenfalls dann ins Gruselige, wenn der Staat Mütterkreuze für gebärende Frauen verleiht; wenn der Staat die Auslese von Ungeborenen reguliert; oder auch dann, wenn Nachbarn ihren ehemaligen Hausmeister denunzieren, weil es im Flur nach gesundheitsschädigendem Rauch riecht.
Genuss braucht Ineffizienz und Unvernunft
Und mehr noch: Was sind das für Zeiten, in denen Gerichte und Regierungen das Rauchen verbieten, während sie, sagen wir: die Bankenaufsicht vernachlässigen? Was ist das für eine Mehrheitsgesellschaft, die sich das Rauchen seit wenigen Jahren so gern so flächendeckend verbieten lässt? Offensichtlich eine Gesellschaft, die verlernt hat zu genießen. Eine Gesellschaft, die (ganz im Sinne von Foucaults Biomacht) das Leben optimiert und verlängert – aber nicht recht weiß, wofür eigentlich.
"Wofür es sich zu leben lohnt", so heißt ein Buch des Wiener Philosophen Robert Pfaller. Darin zeigt er: Es gibt keinen Genuss, der nicht zwiespältig wäre. Müßiggang ist unproduktiv, Sex ist klebrig, Alkohol und Zigaretten sind giftig. Ja, stimmt. Doch es ist gerade das Verschwenderische, Ineffiziente, Unvernünftige, ja, Schädliche, das eigentlichen Genuss erst ermöglicht, sagt Pfaller. Und erinnert an einen Gedanken Epikurs: Mit der Mäßigung muss man selbst maßvoll umgehen, damit sie nicht zum Exzess wird.
Die Niederlage des Rauchers Friedhelm Adolfs vor Gericht ist nicht allein eine Niederlage für andere Raucher, Mieter oder Individualisten. Es ist auch eine Niederlage für all jene, denen die durch die Ritzen dringende Macht (echte Ritzen oder auch digitale Ritzen) eine Zumutung ist. Und für all jene, die wissen, dass all das, wofür zu leben sich lohnt, ohne Risiko nicht zu haben ist. Unsere Hoffnung ruht auf der nächsten Instanz.
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