Biodiversität in Deutschland

Vom Insektensterben und Insektenretten

Hummeln sind im Insektenarchiv des Entomologischen Vereins Krefeld auf Nadeln fixiert. Im Entomologischen Verein entstand eine Studie, die weltweit Aufsehen erregt hat. Die Kernaussage: Die Zahl der Insekten ist in Teilen Deutschlands erheblich zurückgegangen.
Hummeln im Insektenarchiv des Entomologischen Vereins Krefeld: Einen Rückgang um drei Viertel zeigte die Krefeld-Studie © Roland Weihrauch/dpa
Eva Rosenkranz im Gespräch mit Joachim Scholl · 07.08.2018
Die Lektorin Eva Rosenkranz und der Naturforscher Andreas H. Segerer haben ein Buch geschrieben, das ersten das dramatische Sinken der Zahl von Insekten zeigt und zweitens kleine Schritte nennt, die jeder dagegen tun kann. Denn, so Segerer: "Es geht um uns."
Joachim Scholl: Populärwissenschaftliche Sachbücher entstehen in der Regel so: Ein Wissenschaftler schlägt einem Verlag ein Thema vor, oder umgekehrt, ein Verlag tritt mit einem interessanten Sujet an einen anerkannten Experten oder eine Expertin. Bei diesem Buch, das jetzt auf unserem Tisch liegt, war es mal anders. Eine Literaturwissenschaftlerin lässt das Insektensterben keine Ruhe, sie will darüber schreiben, sucht sich einen Fachmann, gemeinsam legen sie los. Wie genau, das erklärt uns jetzt Eva Rosenkranz, sie ist diese Literaturwissenschaftlerin und Autorin, in München sitzt sie für uns in einem Studio. Ich grüße Sie, Frau Rosenkranz!
Eva Rosenkranz: Hallo!
Scholl: Erzählen Sie uns mal, wie Sie auf diese Idee kamen, Frau Rosenkranz! Ihr Verlag beschreibt Sie als Autorin mit Garten. Kam daher der Wunsch, das Bedürfnis, dieses gewaltige Problem mal selber anzugehen?
Rosenkranz: Ja, zum Teil natürlich schon. Wenn man in einem Umfeld lebt, in dem man diese Dinge sehen kann, ist das sicher ein Punkt. Andererseits lebe ich natürlich auch schon lange in einem dörflichen Umfeld, und da haben wir vor einigen Jahren begonnen, uns mit dieser Thematik zu befassen.
Das ist also nicht nur meine Idee gewesen, sondern auch zusammen mit anderen – erst ganz wenigen, weil man damit schon eine Zeit lang relativ merkwürdig angeschaut worden ist. Und wenn man das Wort Biodiversität benutzt hat, dann haben alle groß geguckt, aber das hat sich ja alles total verändert.
Wir haben eben auch in unserem Ort alle möglichen Dinge angestoßen, und das ist sicher auch ein wichtiger Punkt gewesen, zusammen mit anderen Dingen, die jetzt auch im medialen Bereich passieren, zu überlegen, ob man darüber nicht ein Buch schreiben sollte, was für alle auch nutzbar ist.

Glücksfall Co-Autor Andreas H. Segerer

Scholl: Andreas H. Segerer ist Ihr Co-Autor, zuständig für den wissenschaftlichen Sachverhalt, er ist eine Kapazität auf dem Gebiet der Insektenforschung, der Schmetterlingsforschung genauer. Wie sind Sie zusammengekommen?
Rosenkranz: Da ist die Verbindung über den Verlag zustande gekommen. Ich bin ja freiberufliche Lektorin, seit vielen Jahren, arbeite auch mit dem Oekom-Verlag, in dem das Buch erschienen ist, lange zusammen, und der dortige Programmleiter Herr Hirsch und ich, wir haben dann überlegt, wie können wir das realisieren.
Herr Hirsch hat dann einen Kontakt natürlich auch zur Zoologischen Staatssammlung in München gehabt. Dort sind wir dann auf Herrn Segerer gestoßen – was aber wirklich ein Glücksfall ist, weil er zum einen eine große Kenntnis in dem Bereich hat, schon lange zu den Themen arbeitet, auch die Erschütterung über diese Dinge mit vielen anderen teilt, die sich da auskennen – und gleichzeitig durchaus in der Lage ist, die Dinge so zu beschreiben, dass auch jemand wie ich, der ja kein Naturwissenschaftler ist, dem gut folgen kann.

Dreiviertel der Insekten in 25 Jahren verschwunden

Scholl: "Das große Insektensterben: Was es bedeutet und was wir jetzt tun müssen", so heißt Ihr Buch, Frau Rosenkranz. Bleiben wir mal beim Ersten: Jeder halbwegs wache Mensch hat natürlich mitgekriegt, dass die Insekten bedroht sind, aber wie dramatisch ist die Situation?
Rosenkranz: Ich glaube, dass das, wie wir es auch beschrieben haben, das Ergebnis der Krefelder Studie, die ja durch alle Medien gegangen ist, dass nämlich drei Viertel der Insekten verschwunden sind innerhalb von nur gut 25 Jahren, genauso dramatisch ist es. Und wenn Sie sich mit Leuten unterhalten, die sich in dem Thema wirklich sehr gut auskennen und die das seit Jahrzehnten beobachten, dann ist diese Erschütterung deutlichst zu spüren. Ich bin auch niemand, der sich schnell von Katastrophismen berühren lässt, aber die Lage ist sehr erschreckend. Ich habe mich kürzlich mit jemandem unterhalten, der seit Jahrzehnten im Alpenraum als Botaniker kartiert, und der hat einen ganz einfachen Satz gesagt: Es geht um uns.
Eine bunte Sommerwiese mit vielen Blumen.
Heute Mangelware: Wiese mit Blumen© Imago/Chromorange
Scholl: Diese Drama, das entfalten Sie und Herr Segerer nun in diesem Buch, jetzt aber nicht reißerisch in dem Sinne, dass Sie sozusagen den Teufel an die Wand malen, sondern sehr erzählerisch, würde ich es mal nennen. Es beginnt mit einem Prolog, wo Andreas Segerer sich an seine Kindheit erinnert, als die Planierraupen den Alltag prägten, auch in jedem Dorf wurde asphaltiert und gebaut, Wald und Wiesen verschwanden – das sind auch noch so Kindheitseindrücke von mir, dass man immer diesen Teergeruch hatte, und die Bäume und die Wälder und die Wiesen waren dann irgendwann weg, und da stand dann irgendwie ein Supermarkt vor der Wiese. Ist das eigentlich der Beginn gewesen?
Rosenkranz: Sie meinem mit dem Insektensterben?
Scholl: Ja. Herr Segerer erzählt das ja in dem Sinne, dass hier auch eine Entwicklung schon vor vielen, vielen Jahrzehnten eingesetzt hat.
Rosenkranz: Ja, genau. Das ist nicht der Beginn gewesen, es geht weit zurück, bis ins 19. Jahrhundert, im Grunde mit dem Beginn der industrialisierten Landwirtschaft. Das hat sich natürlich im letzten Jahrhundert enorm beschleunigt, das sehen wir ja alle. Also ich meine, wenn Sie mal Bilder sehen, wie Wiesen noch vor 30 Jahren ausgesehen haben, da hat man ja auch noch von Wiese gesprochen, und da war es noch selbstverständlich, dass man mal Blumen gepflückt hat – heute können Sie keine Blumen mehr pflücken, weil es keine mehr gibt, also blühende Blumen.
Und diese Veränderung, das ist ja auch letztlich eine schleichende, aber wenn Sie sich die Bilder dann mal anschauen im Vergleich, dann sehen Sie, wie erschreckend das ist. Und wenn ich vor meine Haustür trete, dann sehe ich im Wesentlichen Grün. Grün ist natürlich schön, aber zum Beispiel für Insekten relativ uninteressant, wenn es nur Grün ist.
Die Balance in der Populärwissenschaft
Scholl: Viele Bilder machen auch Ihr Buch aus, da ist sozusagen mit vielen Grafiken ja auch die biologische Situation dargestellt. Es ist ja auch für Wissenschaftler nicht so einfach, hier so die Balance zwischen exakter Forschung und Allgemeinverständlichkeit zu finden, die Kollegen gucken einem beim Schreiben ja kritisch über die Schulter. Wie sind Sie da beide vorgegangen, haben Sie da so nebeneinander gesessen oder haben Sie sich eher die Passagen zugeschickt? Wir kommen jetzt auch gleich zu Ihrem Part, wo es um die Praxis geht, aber vielleicht noch kurz zu dieser Zusammenarbeit mit Herrn Segerer.
Rosenkranz: Das ist so gewesen, dass wir uns dann zusammengesetzt haben und haben überlegt, wie kann man das anlegen, und aus den Dingen, die wir da zusammengestellt haben, habe ich ein Konzept entwickelt, also eine Struktur des Buches, eine gewisse Dramaturgie, und dann haben wir abgesprochen, wer was schreibt, und dann haben wir geschrieben – nicht nebeneinander, weil das funktioniert ja nicht, sondern jeder in seinem Bereich. Und da ich ja nun von Beruf Lektorin bin, ist mir noch der Part zugefallen, die Texte von Herrn Segerer als Lektor zu bearbeiten und dadurch in gewisser Weise in ein Ganzes zu bringen. Dadurch, glaube ich, spürt man auch nicht so deutlich, wo jetzt der Cut ist.
Scholl: Eigentlich stilistisch überhaupt nicht, sondern, das ist schon bemerkenswert, dass es sozusagen in einem schönen Fluss erzählt wird. Sie, Frau Rosenkranz, sind maßgeblich für den zweiten Teil des Buches verantwortlich, wo es um die Praxis geht, was wir jetzt tun müssen. Und da richten Sie Ihren Appell auch an den einfachen Garten- und Balkonfreund, was wir also tun können, um das Insektensterben aufzuhalten. "Wir fangen schon mal an" ist das erste Kapitel überschrieben. Womit denn?

Handreichungen zum Insekten Retten

Rosenkranz: Ja, also da gibt es ja viele Möglichkeiten, je nachdem, was Sie tun, was Sie haben, also ob Sie einen Balkon haben, einen Garten, oder auch wenn Sie gar nichts haben, können Sie trotzdem zum Beispiel durch Ihr Einkaufsverhalten ein bisschen was beeinflussen, oder indem Sie halt innerhalb Ihrer Gemeinde mal fragen, warum dieses sogenannte Straßenbegleitgrün oder die "Grünflächen", in Anführungszeichen, innerorts so aussehen, wie sie vielfach noch aussehen.
Wenn Sie einen Garten haben, können Sie natürlich zum Beispiel in bestimmten Bereichen einfach mal was sein lassen, Sie können weniger mähen, das bringt schon wahnsinnig viel, wenn Sie mal einfach eine Ecke wenigstens auswachsen lassen bis Anfang Juli.
Scholl: Also nicht jede Woche Rasen mähen.
Rosenkranz: Nein, auf keinen Fall, weil Rasen, wer braucht schon Rasen. Ich hab in dem Buch mal darauf hingewiesen, dass wir ja bekanntlich nicht alle Golfspieler sind, aber es sieht oft so aus, als wären wir das, wenn wir in Gärten schauen. Und die Samstagsnachmittagsbeschäftigung ist halt Rasenmähen, was unter Insektengesichtspunkten und natürlich auch letztlich in unserem eigenen Interesse wenig Sinn macht.
Sie können natürlich, was das Pflanzen anbetrifft, darauf achten, was Sie halt pflanzen, ob Sie Geranien pflanzen, wenn Sie zum Beispiel einen Balkon haben, oder ob Sie vielleicht zumindest das Ganze ein bisschen durchmischen. Auch heute können Sie schon in guten Gärtnereien insektenfreundliche Pflanzen kaufen. Sie können, wenn Sie einen bisschen größeren Garten haben, darauf achten, dass Sie vielleicht eine kleine gemischte Hecke pflanzen, in der sich sowohl Falterraupen als auch alle möglichen Arten von Insekten wohlfühlen.
Sie können Bereiche lassen – also, zum Beispiel weiß man ja heute, dass Wildbienen sehr hohe Ansprüche an Ihr Vermehrungsumfeld stellen, das heißt, wenn Sie zum Beispiel irgendwo einen kleinen Sandhaufen haben, den können Sie einfach so lassen. Es kann schon sein, dass sich da auch Wildbienen niederlassen und da ihrem Brutgeschäft nachgehen, also da gibt es wirklich sehr viele Möglichkeiten.
Und das haben Sie ja auch heute schon, wenn Sie im Internet schauen, da finden Sie ganz viele Hinweise gerade von den Naturschutzorganisationen auch, aber auch von der Bayerischen Landesanstalt. Also es gibt wirklich sehr, sehr viele relativ einfache Dinge, schon mal ein bisschen was zu tun.

Aktionen der Discounter

Scholl: Sie erwähnen aber auch hoffnungsvolle Tendenzen der Problematik. So haben Lebensmitteldiscounter etwa wie Penny oder Lidl schon gute Aktionen gestartet zum Welttag der Biene, etwa alle Produkte aus den Regalen geräumt, die es ohne Bienen nicht gäbe. Da waren viele Regale bestürzend leer. Das Bewusstsein, Frau Rosenkranz, ist ja schon eigentlich da, es gibt ja eigentlich jetzt niemanden mehr, der bremst, sondern alle sagen, oh, um Gottes Willen, jetzt müssen wir was machen.
Rosenkranz: Ja, klar, aber das ist oft auch gepaart natürlich mit einer gewissen Hilflosigkeit angesichts der Dramatik. Es ist natürlich schon auch wichtig, zu verdeutlichen, dass trotzdem Menschen schon lange angefangen haben, sich dem zu widersetzen im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Ich habe die Tage einen schönen Beitrag von jemandem gelesen, der war überschrieben mit "Der schmale Grad der Zuversicht" – das, finde ich, beschreibt das Ganze sehr schön, wo wir uns gerade bewegen und wo wir uns auch mit diesem Buch bewegen. Also, auf der einen Seite versuchen wir darzustellen, was verloren geht und was schon verloren ist, aber doch den Bogen zu spannen, dass es immer Anlass zu Hoffnung gibt. Und dass dann auch jeder an seinem Platz was beitragen kann.
Scholl: Vielen Dank, Eva Rosenkranz, für dieses Gespräch!
Rosenkranz: Danke!
Scholl: Alles Gute Ihnen und Ihrem Buch, dass Sie mit Andreas H. Segerer geschrieben haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Andreas H.Segerer/Eva Rosenkranz: Das große Insektensterben. Was es bedeutet und was wir jetzt tun müssen"
Oekom-Verlag, München 2018
208 Seiten, 20 Euro

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