"Bin mal weg"

Von Michael Frantzen · 22.01.2007
In Brandenburg werden bis 2009 sechs Polizeiwachen geschlossen, vier davon bereits Ende 2007. Vier Millionen Euro sollen laut Berechnungen von Innenminister Schönbohm so eingespart werden.
Im havelländischen Bredow müssen sie sich keine Sorgen machen: Da hat der Dorfpolizist nämlich schon vor Jahren seine sieben Sachen gepackt. Wieder eine Institution weniger - im schrumpfenden Osten. Und wie lebt es sich jetzt in dem 650-Seelen-Ort, der durch den "Polizeiruf 110" zu einiger Berühmtheit gelang? Ganz Bredow - ein rechtsfreier Raum?

Ausschnitt aus Dettmanns weite Welt:
Kommissarin: "Dettmann? Kennen sie den?"
Schulze: "Natürlich kenn ich den. Ich kenn hier alle."

Der Schulze! Der Dorfpolizist vom "Polizeiruf 110." Aus dem imaginären Wustermarck, das im wahren Leben Bredow heißt, in den 90ern mal von einem Radiosender zum hässlichsten Dorf Brandenburgs gekürt wurde und heute zwischen Hochspannungsmasten und Windrädern zu verschwinden droht. Jemanden wie Schulze könnten sie hier gut gebrauchen.

Moebes: "Wie man das von früher halt kennt: Nen Dorfpolizisten, der sich originär für Bredow verantwortlich fühlt, in dem Sinn nicht."

Schade.

Anders: "Der nächste Anlaufpunkt ist in Falkensee."

Zehn, zwölf Kilometer entfernt von Bredow.

Moebes: "Gibt nen Kontaktbeamten, der sich auch um Bredow bemüht, also den wa ansprechen, wenn irgendwatt is."

Gerson: "Mein Name ist Michael Gerson. Ich bin hier der zuständige Revierpolizist für den Bereich Brieselang, wo auch der Ortsteil Bredow und der Ortsteil Zestow zugehören."

Seit halb sechs ist Michael Gerson heute schon auf den Beinen. Dienstbeginn 6.30. Wenn man so will, ist Gerson der Anti-Schulze: Eher schmal, eher wortkarg, eher preußisch-akkurat. Sein Büro hat er zwar in Falkensee: Doch die meiste Zeit ist er auf Achse: Fährt Präsenzstreifen, führt Verkehrskontrollen durch, ein Mal die Woche Sprechstunde in Brieselang: Zwei Stunden in einem Dienstgebäude, das schon mal bessere Zeiten gesehen hat.
Manchmal kommen auch Bredower vorbei. Ist aber selten.

Gerson: "Bredow ist nen sehr ruhiger Ort. Da haben wir ne geringe Kriminalität. Ja. Wir haben hier statistische Zahlen. Wir hatten zum Beispiel 2005 45 Straftaten, darunter waren hauptsächlich Eigentumsdelikte, Verkehrsstraftaten wie Fahren ohne Führerschein."

In Bredow.

Anders: "Bredow?! In ein paar Worten?!"

Wenn’s geht.

Moebes: "Bredow is im Grunde genommen nen altes Ackerdorf."

So, so.

Moebes: "Viehzucht, Rüben, Getreide."

So, so.

Moebes: "Man lebt relativ ruhig hier."

Und sicher! Aber wenn das mal so bleibt! Dem Bäcker Roberto Eue sind da in der letzten Zeit Zweifel gekommen: Seitdem Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm verkündete, allein dieses Jahr vier von 54 Polizeiwachen im Land zu schließen. 2009 gehen dann auch in Zossen und im nahe gelegenen Nauen die Lichter aus – bei der Polizei. Macht fast 600 Stellen weniger.

Ein Beitrag zur Haushaltskonsolidierung – sagt der Ex-General aus Potsdam. Ein Beitrag zum Abbau Ost – sagt der Bäcker aus Bredow.
Eue: "Ist man natürlich traurig, wo man sagen tut: Hoffentlich bleibt es weiter so ruhig, weil ansonsten biste irgendwo aufgeschmissen. Hast bald amerikanische Verhältnisse, dass man sich doch irgendwatt anschafft, dass man doch persönlich geschützt ist. Durch die Einsparung bei der Polizei, watt man da so mitkriegt, irgendwo Angst bekommt, dass es dann eben nicht mehr so ruhig ist wie es ist."

Ausschnitt aus Dettmanns weite Welt:
Dettmann: "Wenn du einen Mörder schnappst, dann bist du ein Held!"
Krause: "Wenn Herbst kein Mörder is, bin ich arbeitslos!"
Dettmann: "Krause! Es geht um meine Existenz!"
Krause: "Um meine auch!"

Und um die von Roberto Eue. Seit 1989 leitet der 43-Jährige jetzt schon die Bäckerei hier. Ein Traditionsunternehmen: Schon der Vater hat die Bredower mit Brötchen und Gebäck versorgt, zu Hochzeiten hatten sie vier Filialen in Bredow und Umgebung. Dieses Jahr nun das 50. Jubiläum. Eigentlich ein Grund zum Feiern, doch Roberto Eue ist nicht danach zu mute.

Eue: "Geld verdienen is schon lange nicht mehr drin. Eigentlich ist es nur noch nen Überlebenskampf. Ich hab fünf Angestellte, hatten mal 16. Hab also den Weg langsam nach unten genommen. Zwei Filialen von den vier waren mal Lebenshandel. Und die waren nicht mehr tragbar. Weil wo die Kaufhallen aus den Boden gesprungen sind wie Pilze, da man nicht mithalten konnte. Und bin immer noch mit dem Gedanken: Irgendwie möchte ich mal zur Ruhe kommen. Wahrscheinlich geht’s wirklich so wie früher zum absoluten Familienbetrieb: Zwei Angestellte allerhöchstens vielleicht."

Abbau Ost halt.

Bessere Zeiten hat auch schon die Gaststätte "Grünefeld" gesehen. Auch so eine Institution in Bredow: 1835 gegründet, seit 1920 in Besitz der Grünefelds, der alte Grünefeld ist hier 1923 geboren. Am besten lief es in den 70ern: Als der Autobahnring um Berlin geschlossen wurde - und die Autofahrer Station machten im Ort. Und das Restaurant auch noch die LPG mit Mittagessen versorgte: Bis zu 150 Menüs am Tag, sonntags sogar 300. Heute, sinniert Hermann Grünefeld, können sie froh sein, wenn es 30 sind. Kann man schon mal ins Grübeln kommen.

Grünefeld: "Wir haben die Nazi-Zeit, den Kommunismus und jetzt den Kapitalismus, ja?! Aber ich finde, diesen Kapitalismus, der langsam auf uns zukommt, ist ein bisschen stark. Is nicht im Sinne des Sozialstaats."

Und darauf haben sie in Bredow immer wert gelegt: Auf das Soziale. Meint er hier:

Moebes: "Mein Name ist Erhard Moebes. Ich war von 1998 bis 2003 Bürgermeister dieser Gemeinde. Ich hätte sicher weitergemacht, wenn die Gemeindereform hier in Brandenburg nicht gewesen wäre. Aber sie is nun mal da gewesen."

Die Gemeindereform. Für Erhard Moebes ist sie immer noch ein rotes Tuch. Ist ja nicht so, dass sie nicht alles versucht hätten, das ganze noch zu verhindern: Moebes und seine Bredower. Haben einen Bürgerentscheid durchgeführt, bei dem sich summa summarum 96,44 Prozent aller wahlberechtigten Bredower gegen die Zwangsfusion mit dem größeren Brieselang und dem kleinen Zestow aussprachen. War aber nicht bindend.

Haben mit anderen Gemeinden vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Gemeindereform geklagt. Ist aber abgeschmettert worden.

Moebes: "Wir gehören sicher nicht zu den Gewinnern der Gemeindereform. Ne Gemeinde mit 10.000 und dann die anderen beiden kleinen mit nen paar hundert Einwohnern – datt is so ein klares Übergewicht, datt is so eine Dominanz, die von der großen Gemeinde ausgeht. Und datt merken wir heute: Es wird schwierig an die Geldtöpfe noch ran zu kommen, die wir vorher als Möglichkeiten hatten. Jedes Gemeinwohl hat ja bestimmte Eigeninteressen. Und ett gibt ja auch in Brieselang viel zu tun, so is es nicht. Unbestritten! Aber ob datt immer auch so im Verhältnis noch bei uns Geld ankommt, wie ett vor der Gemeindereform war – riesiges Fragezeichen."

Ausschnitt aus Dettmanns weite Welt:
Kommissarin: "Krause!"
Krause lacht
Kommissarin: "Können sie mir vielleicht auch sagen, wo sie her kommen?"
Krause: "Meine Tomaten sind so trocken, die brauchen Wasser."
Kommissarin: "Ja, und dann verschwinden sie einfach?!"
Krause lacht
Kommissarin: "Verdammt noch mal Krause! Sie sind bei der Polizei. Ja?! Nicht im Schrebergarten."

Schrebergärten gibt es auch in Bredow. Und einen Schrebergarten-Verein. Es gibt überhaupt viele Vereine hier: Die Freiwillige Feuerwehr, die Jagdgenossenschaft, den Anglerverein von Roberto Eue.

Eue: "Wir sind jetzt so im Moment 35, 38 Mitglieder. Und da sind überwiegend eigentlich Ältere drin. Und Jugend: Hat sehr abgenommen. Es wird immer schwieriger – auch gerade in Sachen Jugendliche. Diese Jugend ran zu holen für dieses schöne Hobby. Wir haben jetzt momentan noch sechs Jugendliche, wo aber zwei noch wieder raus gehen. Ist schon sehr traurig."

Bredow gehen die jungen Leute stiften. Zwar ist die Situation nicht so katastrophal wie in einigen Randregionen Brandenburgs, doch auch Kerstin Anders, die Leiterin der Kita hier, macht sich Sorgen. 45 Kinder im Alter von eins bis zwölf betreut ihr Team.

Anders: "Unsere Kapazität laut Betriebserlaubnis liegt bei 56 Kindern für diese Einrichtung. Schon von der Wirtschaftlichkeit is jeder bemüht um eine hundertprozentige Auslastung. Wer son bisschen mit Zahlen zu tun hat, weiß ja: Natürlich, wenn ne Einrichtung voll ausgelastet ist, sich das viel kostengünstiger rechnen lässt. Finanziell und auch durch die Arbeitsstunden für alle Kollegen, die hier angestellt sind. Denn: Wir werden ja berechnet nach der Anzahl der Kinder und nach Aufenthaltsdauer, die sie hier in der Einrichtung verbringen."

So ändern sich die Zeiten: Zu DDR-Zeiten wimmelte es im Dorf von Kindern. Gab es noch eine Dorfschule. Plus vier Lebensmittelläden, drei Bäckereien, drei Gaststätten. Und einen Bahnhof.

Eue: "Mit der Wende haben es uns die Zugverbindung jesprengt. Also wir haben keinen Zug mehr, nur nen paar Busse fahren bloß. Also man ist hier absolut abhängig vom Auto."

Was zur Folge hat, dass der Bahnhof aus der wilhelminischen Zeit jetzt vor sich hin gammelt: Die Fenster vernagelt, die Gleise im Nichts endend, die Bahnhofskneipe geschlossen. Genau wie die LPG, der größte Arbeitgeber zu DDR-Zeiten.

Moebes: "Die Landwirtschaft, ich weiß nich ... datt weißt du besser: Wie viele auf der LPG gearbeitet haben? Heute arbeiten in so ner Landwirtschaft ne Handvoll Leute. Und davon sind noch Teilzeitkräfte mit drin. Vorher waren datt, wie viel waren datt auf der LPG?"

Grünefeld: "Früher waren’s über hundert."

Moebes: "Über hundert."

Grünefeld: "Sehr viel Frauen, in der Gemüsewirtschaft. War ja viel Handarbeit damals noch."

Ausschnitt aus Dettmanns Welt:
Krause: "Meine schönen Tomaten sind so langsam am vertrocknen. Wenn du’s warst, sag’s lieber gleich, wir kriegen’s so und so raus."
Dettmann: "Leck mich am Arsch, Krause!"

Also bitte! Hermann Grünefeld verzieht das Gesicht. Auf seinen Krause lässt der 83-Jjährige nichts kommen.

Grünefeld: "Ach! Krause! Ja, der hat ja immer bei uns Buletten geholt. Der is ulkig."

Ulkig waren auch die leibhaftigen Dorfpolizisten – damals in Bredow. Richtige Charaktere. Der olle Neßke zum Beispiel: Vor dem hatten sie als Kinder einen Höllenrespekt. Erinnert sich Hermann Grünefeld. Oder Neßkes Nachfolger zu DDR-Zeiten.

Grünefeld: "Wie hießen die damals? Abschnittsbevollmächtigte."

Eue: "Waren manchmal schon lustig. Ick meine: Die waren voll integriert im Dorfleben. Haben auch mal einen mit getrunken. Auch wenn sett nicht durften."

Alles vorbei! Heute fährt Polizist Michael Gerson, der zuständige Revierpolizist, allenfalls mit seinem Streifenwagen durch Bredow, um Präsenz zu zeigen. Eine Verkehrskontrolle hier und da – mehr nicht. Und so muss Hermann Grünfeld lange überlegen, wann er denn das letzte Mal Gerson zu Gesicht bekommen hat. Passt aber auch in die neue Zeit, findet der 83-Jährige. Dass alles anonymer geworden ist. Selbst in Bredow.
Grünefeld: "Zu meiner Zeit: Wenn ein neuer Bürger nach Bredow kam, dann hat es vielleicht vierzehn Tage, drei Wochen gedauert, denn is der in der Gaststätte erschienen, hat sich vorgestellt: Er ist der und der. Und dann wurde er aufgenommen in der Dorfgemeinschaft. Aber jetzt nach der Wiedervereinigung ... wir haben hier anscheinend schon über 25 neue Häuser gebaut. Da kenn ich eventuell zwei oder dreie. Von den Neuansiedlern. Die anderen lassen sich überhaupt gar nicht blicken. Und datt is nen bisschen befremdlich hier als Dorfbewohner."

Ausschnitt aus Dettmanns Welt:
Dettmann: "Krause?! Was machst denn du hier?"
Krause: "Wenn das stimmt mit dem Herbst, das ist ja auch gefährlich, ich meine, auch für euch."

So einen Einsatz wie der Schulze hätte er auch mal gerne: Unser Revierpolizist. Wird beim Wunsch bleiben. Mit Michael Gersons Alltag hat der "Polizeiruf 110" ziemlich wenig zu tun.
Gerson: "Ich find ett immer gut, wenn da auf nen Knopf gedrückt wird und dann rücken erst mal gleich sechs, sieben Wagen aus. Und da ist eben immer genug an Kollegen und Kräfteanzahl vorhanden, wat wir hier natürlich in der Realität nicht haben. Bei uns: Es werden ja immer noch Kräfte abgebaut."

In Falkensee und im benachbarten Nauen zum Beispiel. Wenn dort spätestens Ende 2009 die Polizei dicht macht, wird das auch Auswirkungen für Michael Gerson und seine Kollegen haben: Sie müssen einen Teil der Arbeit übernehmen. Und das Ende der Fahnenstange ist noch nicht erreicht: Bis 2012 – hat Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm schon angekündigt - sollen weitere 350 Stellen bei der Landespolizei wegfallen. Dann wird ein Polizist für 298 Einwohner zuständig sein, heute sind es noch 269.

Alles halb so wild – beschwichtigt Schönbohm. Brandenburg bleibe weiter ein sicheres Pflaster. Von wegen – klagt die Polizeigewerkschaft – und verweist darauf, dass es noch länger dauern werde, bis eine Streife am Tatort erscheine. Ist ja jetzt schon manchmal problematisch.

Eue: "Also, wenne hier anrufst, zur Polizei, wenne mal den Fall des Falles hast ... wie wa letztes hatten, wo nen Mensch durchgedreht ist. Und die Polizei: "Ja, wir haben keinen Streifenwagen, der ist im Einsatz."

Kein gutes Zeichen – findet Roberto Eue. Aber eigentlich hat der Bäcker ganz andere Sorgen: Existenz-Sorgen.

Eue: "Ick möchte nicht aufgeben. Ick liebe meinen Beruf. Ick liebe auch, wo ick wohne. Aber: Wahrscheinlich is es nur im ganz kleinen Rahmen machbar, dass man mit guter Ware letztendlich seinen Betrieb erhalten kann."

In Bredow. Ansonsten sähe es hier düster aus: Eues Bäckerei ist schließlich der noch einzig verbliebene Laden im Ort.

Wird schon! Ex-Bürgermeister Moebes lässt sich die Hoffnung nicht nehmen - auch wenn er immer noch nicht so recht einsehen will, dass sein Bredow die Eigenständigkeit verloren hat. Und damit ein Stück Identität. Aber hilft ja nichts.

Moebes: "Alle Instanzen sind durch. Alle Rechtsmittel sind ausgeschöpft. Isset so, bleibt es so. Und jetzt muss man das Beste draus machen."

Stimmt! Oder Krause?!

Ausschnitt aus Dettmanns Welt:
Krause: "Gestatten Sie, dass ich noch mal zu meinem Garten fahre?"
Kommissarin: "Los! Verschwinden Sie!"
Krause: "Verbindlichsten Dank!"