"Bill Clinton ist für mich ein großes Vorbild"

Patrick Ehmann im Gespräch mit Ulrike Timm · 02.01.2013
Eine Debatte trägt dazu bei, dass sich Zuhörer eine eigene Meinung bilden können, erklärt Patrick Ehmann, der derzeit die Weltmeisterschaft im Debattenreden organisiert. Wer sich an einer Debatte beteiligt, so Ehmann, müsse aber nicht nur gut reden können, sondern auch gute Argumente haben.
Ulrike Timm: 1400 Studenten aus 82 Ländern haben zum Jahreswechsel wenig getrunken, denn sie müssen klar und überzeugend sprechen! In Berlin findet zurzeit die Weltmeisterschaft im Debattenreden statt, darüber sprechen wir gleich mit Patrick Ehmann, er hat die World Universities Debating Championship mit organisiert.

Also, einen Misch aus Applaus und Buhs erlebt man da öfter, bei der Weltmeisterschaft des Debattierens.

Patrick Ehmann hat die große Redeschlacht, die derzeit in Berlin stattfindet, mit organisiert. Er ist Präsident des Organisationsbüros der World Universities Debating Championship und er hat es in der sportlichen Disziplin des Debattenredens schon bis Halbfinale der Europameisterschaften gebracht. Ein Glück, dass ich hier nur die Fragen stellen muss, guten Tag!

Patrick Ehmann: Guten Tag, Frau Timm!

Timm: Herr Ehmann, das sind ja sportliche Regeln: 15 Minuten vorbereiten, sieben Minuten reden. Wie schafft man das, wenn man in einem Thema nicht ein bisschen zumindest Fachmann oder Fachfrau ist?

Ehmann: Das hatten wir ja gerade schon etwas gehört: Also, viel Vorbereitungszeit hat man natürlich nicht, deswegen ist es umso wichtiger, sich im Vorfeld auch mit relevanten Themen auseinanderzusetzen, Tageszeitung lesen, Wochenzeitung lesen und sich auch sonst in das ein oder andere philosophische Thema mal ein bisschen reinzulesen. Auch wenn man da nicht Experte ist, hilft das dann in den konkreten Debatten.

Timm: Ist das jetzt nicht eine sehr vornehme Umschreibung für "Ich besorg mir schnell ein paar Informationen, dann quackel ich einfach so intelligent wie möglich los"?

Ehmann: Das mag so scheinen, ist es aber nicht. Denn mit Informationen an sich kann man keine Debatte gewinnen. Es ist notwendig, dass man diese Informationen auch analysiert. Wenn wir zum Beispiel das Beispiel Tschernobyl oder, sagen wir mal, einen Ausstieg der Atomenergie uns anschauen, dann reicht es nicht auszusagen, ja, in der Vergangenheit sind Atomkraftwerke wie Tschernobyl in die Luft geflogen.

Die Frage ist, welche Faktoren haben dazu beigetragen, dass das geschehen ist, kann man diese Faktoren minimieren oder sind sie nicht auszuschließen? Und erst, wenn man diese Analyse zu den Fakten hinzupackt, dann produziert man wirklich gute Argumente.

Timm: Und dann versucht man zu überzeugen im Wettstreit der Argumente, in Teams. Und ja, wie wird dann gewertet? Nach Zahl der Argumente, A-Note für technischen Wert, B-Note für mitreißende Formulierung? Wie wird man da zum Weltmeister gekürt oder eben auch nicht?

Ehmann: Das ist eine Kombination der beiden Sachen. Also, zum einen muss der Inhalt stimmen und es muss natürlich auch die Art und Weise, wie der Inhalt transportiert wird, stimmen, und aus dieser Kombination der beiden Faktoren bewerten dann erfahrene Juroren, solche, die schon große Erfolge auch im Debattieren gefeiert haben, bewerten dann die einzelnen Debatten.

Timm: Was mich echt bestürzt, Herr Ehmann: Auch die Haltung, die ein Debattenbeitrag einnehmen muss, die wird vorher festgelegt. Man lost also nicht nur das Thema, was irgendwo zwischen Atomkraft, Euro und welche Religion ist die beste für die Welt liegen kann, man muss auch vorher praktisch in die saure Gurke beißen, wenn man eine Meinung zieht, die überhaupt nicht die eigene ist. Und das kann also gut sein, dass jemand in der Debatte vom Atomkraftgegner aus Debattengründen zum Atomkraftbefürworter mutiert. Merkt man tatsächlich nicht, was jemand wirklich denkt?

Ehmann: In der Debatte merkt man das häufig nicht. Das Zulosen der einzelnen Positionen verschafft Freiheit, weil, dadurch kann ich mich überhaupt erst einmal in einer Situation, wo ich mich nicht persönlich identifizieren muss mit dem Thema oder mit der Position, die mir zugelost worden ist, habe ich die Möglichkeit, wirklich in die Tiefe zu gehen und einfach nur die Argumente vorzutragen.

Und bei mir selber ist es so gewesen, dass ich dadurch, dass ich dadurch, dass ich bei dem einen oder bei dem anderen Thema einmal dafür und einmal dagegen gewesen bin, überhaupt erst eine eigene Meinung mir bilden konnte. Es ist ja nicht so, dass man zu allem und jedem eine Meinung hat. Aber durch das Debattieren bekommt man diese eigene Meinung, weil man sich auseinandersetzt mit den unterschiedlichen Positionen.

Timm: Sie sagen, das schafft Freiheit. Ich spitze jetzt noch mal böse zu: Darf man die eigene Haltung nicht merken, frei nach dem Werbespruch "Auf den Inhalt kommt's nicht an, sondern nur darauf, wie argumentiert wird"?

Ehmann: Am Ende ist die Rolle, die einem zugelost wird, etwas wie die Rolle eines Schauspielers. Und ein Schauspieler mag auch nicht unbedingt übereinstimmen mit dem, was die Person macht, die er auf der Bühne gerade repräsentiert. Und genau so ist es auch im Debattieren: Man merkt dann danach, in den Gesprächen, die auf dem Flur stattfinden, sehr häufig, was die eigenen Positionen von den jeweiligen Leuten ist, aber während der Debatte ist das eigentlich auszublenden.

Timm: Okay, aber dann heißt es trotzdem, auf den Inhalt kommt's nicht an und auf das Herzblut, das bei einer Rede ja auch den guten Redner macht, wird gar nicht so geschaut. Das verwundert mich, von den Spielregeln her!

Ehmann: Ich verstehe! Die Debattierer mögen das Argumentieren und sagen, dadurch, dass wir überhaupt die Möglichkeit haben, Argumente vorzutragen, und dadurch, dass alle Seiten gehört werden, tragen wir dazu bei, dass man selber eine eigene Meinung bekommt, aber auch die Zuhörer dann überhaupt in die Position gebracht werden, eine eigene Meinung zu bekommen.

Das heißt, es geht ja nicht nur darum, ein eigenes Bildungserlebnis zu haben, sondern für uns ist auch immer wichtig, dass wir das Debattieren in die Öffentlichkeit hineintragen und dass sich wirklich an Themen abgearbeitet wird.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit Patrick Ehmann über die Kunst des Debattierens. In Berlin findet gerade die studentische Weltmeisterschaft im Debattenreden statt. Herr Ehmann, wer hat denn eigentlich Vergnügen an dieser Disziplin, woher kommen Ihre Mitstreiter?

Ehmann: Also, wir haben jetzt 1400 Studierende, die teilnehmen, auf der organisatorischen Seite, auf der Teilnehmerseite, aus 82 unterschiedlichen Nationen, das ist wirklich weltweit. Wir haben Staaten vertreten wir Myanmar, Simbabwe oder auch Tadschikistan, wo man zunächst mal nicht denken würde, dass sie dabei sind. Das heißt ...

Timm: Was haben die Leute für einen Hintergrund, sind das Juristen, angehende Politiker, sind das aus allen Studienrichtungen Menschen, was ist das?

Ehmann: Alle Studienrichtungen. Ich selber habe Religionswissenschaft studiert und promoviere in dem Bereich, wir haben Juristen, wir haben auch extrem viele Naturwissenschaftler, was man gar nicht denken würde. Aber durch die Breite der Themen, die im Debattieren diskutiert werden, zieht man eben ganz unterschiedliche Leute auch an.

Timm: Extrem viele Naturwissenschaftler, erstaunt mich auch. Ich hätte mit einem gepflegten Vorurteil gedacht, Juristen, die sich auf ihre Karriere vorbereiten, oder Politiker, die schon mal üben wollen, mit vielen Worten gut zu reden!

Ehmann: Nein, Leute, die interessiert sind an vielfältigen Themen und gerade auch die Möglichkeit schätzen, über das Studium hinaus sich mit anderen Themen zu beschäftigen. Und deswegen auch die Naturwissenschaftler, die, die gut im Studium sind, die, die besonders offen für neue Sachen sind, aber nicht die Möglichkeit haben, im Studium sich damit zu beschäftigen.

Timm: Und die die Rede sportlich sehen!

Ehmann: Das auf jeden Fall!

Timm: Was gewinnt denn eigentlich ein Weltmeister in der Debattenkultur für sein Leben?

Ehmann: Beim Turnier selber nur Ruhm und Ehre, für das Leben die Fähigkeit, mit komplexen Themen in kurzer Zeit sich auseinanderzusetzen, diese dann sinnvoll zu präsentieren, Fähigkeiten, die auch in jedem Berufsbild eigentlich absolut notwendig sind.

Timm: Wann haben Sie denn selber angefangen das Debattieren zu üben, zu Hause am Abendbrottisch?

Ehmann: In meiner Familie wird auch viel diskutiert, zu Hause. Meine Eltern haben gesagt, dass ich schon sehr früh eine Tendenz dazu hatte, immer alles ausdiskutieren zu wollen. Das heißt, ja. Sportlich mache ich das seit acht Jahren.

Timm: Und Sie sind ein, ja, streitbarer Redner dann?

Ehmann: Mir geht es mehr um die Inhalte, also ...

Timm: Doch?

Ehmann: Vielleicht haben Sie recht an dieser Stelle!

Timm: Das ist schön zu wissen! Haben Sie denn ein Rednervorbild, wo Sie sagen, ja, so wie der spricht, das ist so überzeugend, inhaltlich, emotional, davon können sich viele eine Scheibe abschneiden und dann wäre die Welt vielleicht ein bisschen leichter, wenn es solche Debatten gäbe?

Ehmann: Ich finde es sehr beeindruckend, wenn ich am Nachmittag mal "Phoenix" einschalte und dort dann Redner aus der zweiten und dritten politischen Reihe sehe: Dort gibt es sehr gute, sehr viele sehr gute Redner, in der Spitzenpolitik in Deutschland weniger.

International ist Bill Clinton für mich ein großes Vorbild, wie man auch auf dem Parteitag gesehen hat der Demokraten, wie er es geschafft hat, in einer Stunde wirklich hoch komplexe Wirtschaftsthemen so runterzubrechen, dass es verständlich war, aber trotzdem die Komplexität immer noch vorhanden gewesen ist.

Timm: Das heißt, wenn man sich so vorbereitet auf so eine Debattenrunde, ist es in diesen 15 Minuten auch die Suche nach dem plastischen Bild, was ein Thema dann veranschaulicht?

Ehmann: Ja, auf jeden Fall. Also, eine Analyse alleine reicht nicht aus, das ist die Grundlage eines guten Arguments, aber wenn man es nicht veranschaulichen kann, dann bleibt es nicht haften. Das ist das, wenn man am Ende dann rausgeht und sagt, ach ja, das Tschernobyl-Beispiel zum Beispiel.

Timm: Patrick Ehmann, Sie haben selber mitgemacht, diesmal machen Sie nicht mit, weil Sie organisieren. Sind Sie bei einem Wettkampfdebattieren mal so richtig baden gegangen?

Ehmann: Ja, das war bei meiner ersten Weltmeisterschaft, die jetzt auch schon einige Jahre zurückliegt. Wir waren diejenigen, die als Erstes dran waren, und sind dann so was von auseinandergenommen worden von einer Mannschaft, die dann später auch im Finale stand. Und da habe ich wirklich gemerkt, was es bedeutet, gegen Spitzendebattierer anzutreten!

Timm: Haben Sie ehrenvoll verloren!

Ehmann: Ja, so kann man das sagen!

Timm: Ehrlich ist er auch! Patrick Ehmann, der Präsident des Organisationsbüros der Universities Debating Championship, die studentische Weltmeisterschaft im Debattieren, die gerade in Berlin ausgetragen wird. Herzlichen Dank für den Besuch im Studio!

Ehmann: Ich danke Ihnen, Frau Timm!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Verband der Debattierclubs an Hochschulen (Homepage)
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