Sara Pennypacker: "Hier im echten Leben"

Schwäche in Stärke verwandeln

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Das Buchcover "Hier im echten Leben" von Sara Pennypacker ist vor einem grafischen Hintergrund zu sehen.
Ein Garten bildet den Raum, um eine tiefe Freundschaft zwischen zwei Kindern wachsen zu lassen: "Hier im echten Leben" von Sara Pennypacker. © Deutschlandradio / Verlag Fischer / Sauerländer
Von Sylvia Schwab · 31.03.2021
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In "Hier im echten Leben" schließen zwei Kinder eine Freundschaft, die sie innerlich wachsen lässt. Jugendbuchautorin Sara Pennypacker erzählt die berührende Geschichte ohne Kitsch.
Der elfjährige Ware ist Einzelkind, ein überbehüteter, pummliger Junge, der am liebsten seine Ruhe hat, um sich in seine Phantasiewelten zu flüchten. Als Außenseiter beobachtet er aber alles auch sehr genau, nimmt voller Empathie wahr, wie es anderen geht. Deshalb wagt er nicht zu opponieren, als seine Eltern ihn im Sommerlager anmelden, das für ihn eigentlich der Horror ist. Denn seine Eltern haben Sorgen, und er will sie entlasten.
Gleich am ersten Tag reißt Ware aus dem Camp aus und entdeckt nebenan ein riesiges verlassenes Grundstück, auf dem eine halb abgerissene Kirche samt zerstörtem Gemeindehaus und riesigem Wiedertäuferbecken steht. In dieser Wildnis pflanzt ein Mädchen in seinem Alter Papayas an. Zwischen der ruppigen, schweigsamen Jolane und dem schüchternen, träumerischen Jungen wächst eine vorsichtige Freundschaft.

Leben im Traumland

Das geheime Terrain wird für beide zum Zuhause, sie arbeiten im "Garten", bauen eine Burg mit Wassergraben, Ware bastelt sich eine Ritterrüstung und restauriert ein Kirchenfenster. Mental unterstützt von einem Onkel erfährt er, dass seine Eigenheiten, mit denen er oft aneckt, sehr wertvoll sind. Und so gewinnt er in diesen Sommerwochen nicht nur eine echte Freundin, sondern auch eine Menge Selbstbewusstsein und die Einsicht, dass seine vermeintlichen Schwächen auch Stärken sind.
Immer wieder macht Jolane ihm fast verächtlich klar, dass er in einem Traumland lebt. Damit meint sie nicht nur seine Rittergeschichten, sondern auch seinen Glauben an Fairness und Gerechtigkeit. Ihr eigenes, fast asoziales und von Enttäuschungen geprägtes Leben sei das "echte Leben", meint sie. Doch beide erfahren im Verlauf des Romans, dass das echte Leben alles enthält: Schlimmes und Schönes, Enttäuschung und Erfolg, Traum und Realität.

Aktuelle Umweltthemen

Zugegeben, ein wenig fremd ist uns Ware anfangs mit seiner Begeisterung für Ritterregeln und dem festen Glauben an eine mögliche Wiedergeburt im riesigen Taufbecken. Doch schnell wird er uns vertraut, und das hat sehr viel mit der nonverbalen Kommunikation der Kinder, der Sprache des Romans und der feinfühligen Übersetzung von Birgitt Kollmann zu tun. Dem hochsensiblen Jungen nimmt man seine in zarte Metaphern gekleideten Beobachtungen und Gefühle gerne ab.
"Fedrig zart und kühn" - wie Jolanes Papayapflanzen - erzählt Sarah Pennypacker die berührende Geschichte der beiden. Und dass auch leicht pathetischen Stellen niemals kitschig rüberkommen, ist vor allem der kreativen Arbeit von Birgitt Kollmann zuzuschreiben.
Viele aktuelle Themen schneidet Sara Pennypacker in ihrem Kinderroman an. Nicht nur die Außenseiterproblematik, sondern auch Umweltthemen wie Müllentsorgung und Vogelschutz. Doch daneben gibt es auch Raum für tiefere Bedeutungen und Symbolik. Das verlassene Kirchengelände bietet den Kindern vorübergehend Zuflucht wie ein kleines Paradies, und die Papayas stehen für Wachstum, Zuversicht und vor allem Stärke. Das alles brauchen Kinder - nicht nur Ware und Jolane - im echten Leben, auch die jungen Leser.

Sara Pennypacker: "Hier im echten Leben"
Aus dem Englischen von Birgitt Kollmann
Verlag Fischer/Sauerländer, Frankfurt 2021
304 Seiten, 17 Euro
ab 10 Jahren

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