Bildungshistoriker Tenorth hält Protest gegen Bologna-Studiengänge für "Quatsch"

Der Berliner Bildungshistoriker und Erziehungswissenschaftler Heinz-Elmar Tenorth hat den Protest des Mainzer Theologie-Professors Marius Reiser gegen die sogenannten neuen Bologna-Studiengänge und dessen Rücktritt vom Professorenamt scharf kritisiert.
Im Deutschlandradio Kultur sagte Tenorth am Mittwoch: "Von der Konsequenz bin ich beeindruckt, von der Begründung überhaupt nicht. Ich halte sie für vollständig falsch." Zwar gebe es durchaus Verbesserungsbedarf bei der Umstellung auf die neuen Studiengänge. Das Problem liege jedoch nicht in der Umstellung selbst, die "richtig und wichtig" sei, sondern in der halbherzigen Umsetzung des Bologna-Prozesses. Das Hauptproblem sei die seit jeher schlechte Betreuung der Studierenden, die auch in den neuen Studiengängen weiter bestehe.

Reisers Argumente, deutsche Universitäten verkämen mit der europaweiten Umstellung auf die internationalen Studienabschlüsse Bachelor und Master zu reinen Lernfabriken, früher sei die Forschung freier und an keine hemmenden Ordnungen gebunden gewesen, seien schlicht "ein Märchen", sagte Tenorth. "Das ist wirklich ein Quatsch, das muss man mal ganz deutlich sagen." Tatsache sei vielmehr, dass es seit 1900 in Deutschland immer wieder Studienreformen mit klaren Studienordnungen gegeben habe. Mit dem Bologna-Prozess werde nun eine Verbindlichkeit in der Vermittlung des Lernstoffes eingefordert. Damit werde ein Problem der deutschen Universitäten offenbar: Es gebe keine Lehrkultur, die Lehre sei in den vergangenen zwei Jahrhunderten eher nebenher gelaufen. Dies sei das wirkliche Dilemma, so der Professor der Humboldt-Universität.

Nicht nachvollziehbar, sagte Tenorth weiter, sei die Kritik Reisers, die akademische Freiheit würde durch die neuen Studiengänge abgeschafft. Schon jetzt werde in Artikel 5 des Grundgesetzes klar vorgegeben, dass ein Hochschullehrer nicht einfach Beliebiges lehren dürfe, sondern seinen Unterricht an den herrschenden Studienordnungen ausrichten müsse: "Es kann doch nicht sein, dass die Freiheit so definiert wird, dass jemand macht, was er will."

Das vollständige Gespräch mit Heinz-Elmar Tenorth können Sie bis zum 14.6.2009 als [url=http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2009/01/14/drk_20090114_1508_f53a2f4c.mp3
title="MP3-Audio" target="_blank"]MP3-Audio[/url] in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören.