Bildungsforscherin zu Sprachförderung

Deutsche Schulen nur für deutschsprachige Kinder?

29:46 Minuten
Ein Mädchen mit dunklen Locken arbeitet mit einem Klebestift und lächelt die Lehrerin an.
"Kinder lernen Deutsch in der Schule. Das gehört zum Bildungsauftrag der Schule", sagt die Bildungsforscherin Nele McElvany. © dpa/Arno Burgi
Moderation: Susanne Führer · 31.08.2019
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Kinder sind verschieden – nicht nur, was ihre Sprachkompetenz angeht. Das deutsche Schulsystem ist darauf wenig eingestellt. Es fehlt nicht nur an Geld und Personal, sondern auch an Konzepten und an Wertschätzung von Verschiedenheit.
"Die Idee, dass Kinder mit gleichen Voraussetzungen in die Grundschule kommen, ist völlig veraltet. Da muss man ja nur mal eine beliebige erste Klasse betreten und man sieht, dass das überhaupt nicht der Fall ist", sagt die Bildungsforscherin Nele McElvany. Sie ist die geschäftsführende Direktorin des Instituts für Schulentwicklungsforschung an der TU Dortmund und leitet für Deutschland die Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung IGLU.
In diesen großen Studien sehe man "auch am Ende der Grundschulzeit, also nach vier Jahren Beschulung im deutschen System, substantielle große Unterschiede in den Lesekompetenzen zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund".
Bedeutet das, Kinder lernten Deutsch nicht in der Schule, sie müssten es vorher schon können – so wie es ein CDU-Politiker vor Kurzem forderte? "Selbstverständlich lernen Kinder Deutsch in der Schule. Das gehört auch zum Bildungsauftrag der Schule, Sprachkompetenzen zu fördern."
Kinder hätten ein Anrecht darauf, bestmöglich gefördert zu werden. In der Grundschule hätte man eigentlich die Zeit, die Sprachkompetenz der Kinder gezielt auszubauen. Dafür bräuchte es aber zusätzliches, ausgebildetes Personal, also Geld, und Konzepte. Bisher gibt es hier einen Wildwuchs: Ob Sprachstandtests vor der Einschulung gemacht, welche Testverfahren eingesetzt und welche Konsequenzen daraus gezogen werden – das entscheidet jedes Bundesland allein.

"Du kannst eine andere Sprache gut, das wertschätzen wir"

Nele McElvany wünscht sich, dass wir uns "auf gemeinsame Standards einigen könnten, welche Sprachkompetenzen Kinder in einem bestimmten Alter haben sollten, wie wir diese erfassen - also die entsprechenden diagnostischen Testverfahren entwickeln -, einheitlich zu bestimmten Zeitpunkten einsetzen und daraus dann einheitliche Schlüsse ziehen, wo Förderung notwendig ist und wie Förderung umgesetzt werden kann". Obwohl Kinder nicht-deutscher Muttersprache an deutschen Schulen kein neues Phänomen sind, "wissen wir wenig darüber, was wirklich wirkt."
In Deutschland herrsche ein implizites Bedürfnis nach Homogenisierung, die Wirklichkeit aber sehe anders aus. Und jenseits aller Kompetenzen gebe es noch die Frage, ob sich die Kinder in der Schule angenommen fühlen. Das Signal sollte nicht nur lauten: "Du kannst noch nicht genug Deutsch", sondern: "du kannst dafür aber eine andere Sprache gut, und das wertschätzen wir".
(sf)

Das Interview im Wortlaut:
Deutschlandfunk Kultur: Ein CDU-Politiker hat vor einigen Tagen für Aufregung gesorgt, weil er meinte, ein Kind, das kein Deutsch könne, habe auf der deutschen Grundschule nichts zu suchen. - In den meisten Bundesländern hat die Schule gerade wieder begonnen und es gibt Schätzungen, wonach ein Fünftel aller Erstklässler wegen mangelnder Deutschkenntnisse dem Unterricht nicht folgen kann. – Wie zuverlässig sind diese Schätzungen?
Nele McElvany: Es handelt sich in der Tat um Schätzungen, weil wir in dem Bereich der Sprachkompetenzen gar keine konkreten Standards festgelegt haben. Das wäre ja die Voraussetzung, um aus bestimmten Standards ableiten zu können, wie viele Kinder diese Standards – Mindeststandard, Regelstandard, Optimalstandard, wie immer man sie definieren möchte – nicht erreichen.
Nichtsdestotrotz ist die Zahl nicht völlig unrealistisch. Wir wissen ziemlich genau, dass wir einen substantiellen und auch zunehmend wachsenden Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund in den Schulen haben. Hier wird in Teilen der Elternhäuser Deutsch gesprochen, in anderen Teilen der Elternhäuser gibt es eine andere Familiensprache. Das ist ein Teil der Kinder, die besondere Sprachförderung in der Schule benötigen.
Deutschlandfunk Kultur: Und der andere Teil?
McElvany: Man denkt vielleicht, wenn wir über Sprachkompetenzen sprechen, zunächst an die Kinder mit Migrationshintergrund. Das liegt ja auch nahe aufgrund der Familiensprache, an die man dann denkt. Aber wir wissen empirisch auch ziemlich genau, dass wir ebenso einen substantiellen Anteil von Kindern gerade in der Grundschule haben, wo im Elternhaus durchaus Deutsch gesprochen wird und trotzdem nicht die sprachlichen Kompetenzen bei Schulbeginn gegeben sind, die wir uns eigentlich wünschen würden.

Perspektive der Kinder

Deutschlandfunk Kultur: Sie haben gerade gesagt, es gibt keine verbindlichen Standards, keine verbindlichen Kriterien. Die gibt es ja dann meistens nicht, wenn man etwas gar nicht als Problem ansieht.
Ich habe hier zum Beispiel ein Zitat vom Erziehungswissenschaftler Jörg Ramseger von der FU Berlin. Der meint, dass die deutschen Grundschulen seit Jahrzehnten gut damit zurechtgekommen seien, dass ein Teil der Schüler wenig oder auch gar kein Deutsch spricht.
McElvany: Ja, da ist natürlich die Frage: Was heißt "gut zurechtgekommen"? Ich würde da zunächst mal aus der Perspektive der Kinder denken. Die Kinder haben ja ein Anrecht darauf, dass wir sie bestmöglich fördern im deutschen Bildungssystem. Zu einer bestmöglichen Förderung gehört auch, dass wir ihre Sprachkompetenzen so fördern, dass sie dem Unterricht folgen können, dass sie sich beteiligen können, dass sie das, was sie an Potenzial mitbringen, und es bringen ja alle diese Kinder Potenzial auf unterschiedlichen Gebieten, auch entwickeln und ausleben können.
Wenn wir an die Grundschule denken, gehört da auch die große Frage hin, ob es der Grundschule gelingt, die Sprachkompetenzen so auszubauen, dass auch die fachlichen Kompetenzen erreicht werden, dass am Ende der Grundschule dann der Übergang auf die weiterführende Schule gelingt.
Deutschlandfunk Kultur: Hinter diesem Satz Ramsegers steckt wahrscheinlich die Annahme, dass die Kinder irgendwie dann schon die Sprache lernen, wie Kinder eben so Sprachen lernen. Aber es gibt andere Perspektiven, zum Beispiel die von Heinz-Peter Meidinger, dem Präsidenten des Lehrerverbandes. Der sagt: "Sprachdefizite, die zum Zeitpunkt der Einschulung bestehen, können im Laufe der Schulzeit nicht aufgeholt werden. Im Gegenteil, die Schere öffnet sich immer weiter. Die Leistungsunterschiede werden immer größer."
Wäre das so, dann wäre das ja wirklich dramatisch.
McElvany: Also, wir sehen in unseren großen Studien - am Institut für Schulentwicklungsforschung in Dortmund führen wir beispielsweise die IGLU, Grundschulleseuntersuchung international, für Deutschland durch - auch am Ende der Grundschulzeit, also nach vier Jahren Beschulung im deutschen System, substantielle große Unterschiede in den Lesekompetenzen zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund oder auch zwischen Kindern mit unterschiedlicher Familiensprache.
Das heißt, die Annahme, dass – wenn die Kinder schon in die Schule gehen – da automatisch die Sprachdefizite aufgeholt werden, würde ich so nicht teilen.

Gezielte Sprachförderung

Deutschlandfunk Kultur: Das heißt dann, Kinder lernen doch nicht Deutsch in der Schule, sondern müssten Deutsch können, bevor sie auf die Schule kommen?
McElvany: Selbstverständlich lernen Kinder Deutsch in der Schule. Das gehört auch zum Bildungsauftrag der Schule, Sprachkompetenzen zu fördern. Das war ja auch schon immer so und da gibt es auch sehr, sehr viel Engagement der Grundschulen. Nichtsdestotrotz kommen Kinder eben mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen und bräuchten deshalb teilweise eine sehr viel gezieltere Sprachförderung, um das, was in der ersten Klasse vielleicht noch nicht vorhanden ist, besser kompensieren zu können. Das sehen wir sowohl Ende der vierten Klasse in unseren Studien, aber auch, wenn wir weiterdenken, bei 15-Jährigen, zum Beispiel in den PISA-Untersuchungen. Auch da haben wir noch große Kompetenzunterschiede zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund. Das schränkt natürlich auch die weiteren Perspektiven der Kinder im Lebensverlauf ein.
Deutschlandfunk Kultur: Bis zu welchem Alter kann man denn eine Sprache, die nicht die Muttersprache ist, so lernen wie die Muttersprache?
McElvany: Kinder sind, wie bei allen anderen Dingen auch, beim Thema Spracherwerb sehr unterschiedlich. Natürlich haben wir Kinder, die relativ spät ins deutsche System kommen und die deutsche Sprache noch wunderbar erwerben, Abitur machen, studieren. Aber gleichzeitig haben wir eben auch viele Kinder, und zwar auch Kinder, die in Deutschland geboren sind, und auch Kinder, die hier zum Beispiel in den Kindergarten gegangen sind, die das, was sie an sprachlichen Kompetenzen in der ersten Klasse nicht haben, nicht einfach so automatisch aufholen.
Deutschlandfunk Kultur: Warum nicht? Weiß man das?
McElvany: Spracherwerb hat viele unterschiedliche Komponenten. Einen Teil der Sprache erwerben wir einfach inzidentell. Wir hören das Deutsche um uns herum. Wir können uns daraus Wortschatz ableiten, den wir vorher nicht kannten, grammatische Strukturen. Ein Teil der Sprachkompetenz muss aber auch explizit gefördert werden, damit die Kinder gute Chancen haben. Das ist der Teil, der in vielen Grundschulen sicher noch ausgebaut werden kann.
Deutschlandfunk Kultur: Ich war nämlich schockiert, als ich gelesen habe, dass ein Linguist namens Jürgen Meisel meint: "Ab dem Alter von sieben Jahren wird es schwieriger oder gar unmöglich, eine zweite Sprache so wie die Muttersprache zu lernen."
Dann ist es ja tatsächlich so: Wenn die Kinder in der Grundschule in der ersten Schulklasse nicht wirklich Deutsch lernen, dann ist der Zug für immer abgefahren. Dann wissen wir, dass sie automatisch diejenigen Kinder sein werden, die einen geringen oder vielleicht sogar gar keinen Schulabschluss erzielen werden.
McElvany: Also, grundsätzlich würde ich auch teilen: Je früher wir anfangen zu fördern, desto besser! Wir sehen, dass der Besuch des Kindergartens beispielsweise ein positiver Prädiktor ist für die späteren Bildungserfolge. Das heißt, die Grundschule ist sicher ein klarer Punkt, über den man diskutieren kann, aber wir haben auch sechs Jahre vorher. In diesen sechs Jahren kann und sollte auch eine ganze Menge mehr passieren an Sprachförderung, als das bisher im Elementarbereich der Fall ist.

"Migrationshintergrund" ist eine zu grobe Kategorie

Deutschlandfunk Kultur: Wobei ich gerne ein Gegenbeispiel bringen würde: Ich denke an, die Schriftsteller Lena Gorelik oder Saša Stanišić, Gorelik war elf, Stanišić sogar 14, als sie in Deutschland angekommen sind mit ihren Eltern, beide schreiben heute sehr erfolgreich Bücher auf Deutsch. Oder Alice Bota, preisgekrönte Journalistin der "Zeit", sie war neun, als sie mit ihren Eltern aus Polen kam. Das sind dann aber offenbar Ausnahmen, oder?
McElvany: Ja, das ist genau der Punkt, dass wir es mit einer großen Heterogenität zu tun haben. "Kinder mit Migrationshintergrund" ist eine ganz grobe Vereinfachung, die in vielen Fällen gar nicht zutrifft. Wir können in unseren Studien immer über ein Mittel Aussagen treffen, was bestimmte Gruppen angeht, aber um das Mittel herum gibt es natürlich sowohl die positiven als auch die negativen Ausnahmen, was die Sprachkompetenzen angeht.
Deutschlandfunk Kultur: Aber kann man denn nicht noch weitere Faktoren bestimmen, an denen der Erfolg oder Nichterfolg hängt, wenn Sie sagen, Migrationshintergrund sagt erstmal nicht so wahnsinnig viel aus?
McElvany: Doch, wir wissen tatsächlich einiges über Faktoren. Der Besuch eines Kindergartens ist förderlich. Das macht ja auch Sinn: Dort komme ich mit der deutschen Sprache in Berührung, dort habe ich Pädagoginnen und Pädagogen, die mir im Spracherwerb hoffentlich helfen, im besten Fall habe ich dort auch andere Kinder, die Deutsch sprechen. Das ist ja nicht in allen Kindertagesstätten so gegeben, dass tatsächlich Deutsch auch die Mehrheitssprache ist. Auch das ist ein Faktor.
Wie viel Berührung habe ich mit der Sprache in meinem Umfeld? Wie werde ich gefördert? Da kommen dann auch die Grundschulpädagoginnen und -pädagogen wieder zum Zuge. Auch dort gibt es natürlich Leute, die ganz wunderbar Sprachförderung in den Alltag integrieren, auch im Fachunterricht immer die Sprachbedarfe mitdenken. Und es gibt Schulen, wo das etwas weniger passiert. Wir haben die gesamte Bandbreite an Bedingungsfaktoren hier.

Jedes Bundesland handelt anders

Deutschlandfunk Kultur: Ich würde gerne einen kleinen Schritt zurückgehen zu der Ausgangsfrage, wie viele Kinder denn mangelnde oder schlechte oder ungenügende Deutschkenntnisse haben. Die Bundesländer machen ja sogenannte Sprachstandtests vor der Einschulung. Allerdings machen das natürlich nicht alle Bundesländer, und die Bundesländer machen natürlich auch nicht alle denselben Test, und sie ziehen aus den Ergebnissen auch nicht dieselben Konsequenzen. Also: föderales Deutschland in voller Blüte. Wie beurteilen Sie diese Situation?
McElvany: Ich würde mir wünschen, dass wir uns trotz oder auch mit dem Föderalismus im Bildungsbereich auf gemeinsame Standards einigen könnten, welche Sprachkompetenzen Kinder in einem bestimmten Alter haben sollten, und dass wir uns auch darauf einigen könnten, wie wir diese erfassen, also die entsprechenden diagnostischen Testverfahren entwickeln oder festlegen, einheitlich zu bestimmten Zeitpunkten einsetzen und daraus dann einheitliche Schlüsse ziehen, wo Förderung notwendig ist und wie Förderung umgesetzt werden kann.
Deutschlandfunk Kultur: Sehen Sie da eine Bewegung bei den Bundesländern?
McElvany: Ich glaube, der gemeinsame Wille, dass Förderung notwendig ist, ist da. Das sehen wir ja auch an den weiterführenden Statistiken. Wenn wir uns die Übergänge angucken, sehen wir, dass wir Kinder mit Migrationshintergrund an den Gymnasien deutlich unterrepräsentiert haben und an anderen Schulformen, die nicht zum Abitur führen, überrepräsentiert. Wir sehen, dass in der Gruppe derer, die die Schule abbrechen, diese Kinder doppelt so häufig betroffen sind wie Kinder ohne Migrationshintergrund.
Also, diese Zahlen kennen die Politikerinnen und Politiker natürlich auch. Deshalb gibt es ja viele Bemühungen. Wir hatten in den letzten Jahren die gemeinsame Bund-Länder-Initiative BiSS, Bildung durch Sprache und Schrift, also auch das ein Ausdruck von Bemühen. Aber auf eine gemeinsame Linie zu kommen, sehe ich bisher noch nicht.
Deutschlandfunk Kultur: Ich hatte gerade so den ketzerischen Gedanken: Vielleicht liegt es auch daran, dass die Betroffenen nicht so eine große Lobby haben.
Was meinen Sie denn als empirische Bildungsforscherin Frau McElvany: Sollten alle Kinder verbindlich so einen Sprachstandtest machen vor der Einschulung?
McElvany: Ja. Ich denke, ein verbindlicher Test für alle Kinder ist unsere beste Chance, rechtzeitig festzustellen, wo Sprachkompetenzen noch nicht da sind, wo sie sein sollen, und dann zu Fördermaßnahmen zu greifen – rechtzeitig, bevor die Schule anfängt.
Das heißt nicht, dass sie dann mit Tag Eins der ersten Klasse zu Ende sein sollten, aber ich denke, wir können im Elementarbereich schon eine ganze Menge mehr erreichen, als wir das zurzeit tun, um Kindern bessere Chancen beim Schulbeginn zu ermöglichen.

Wildwuchs bei der Sprachförderung

Deutschlandfunk Kultur: Das Bundesland Hamburg gilt ja als Vorbild. Was machen die denn richtig?
McElvany: Hamburg hat den Weg der vorschulischen Förderung ausgebaut mit den verbindlichen Tests, mit der Vorschule, die dann an der Grundschule angesiedelt ist, wenn man sich für diesen Weg entscheidet. Das heißt, da ist einiges auf den Weg gebracht worden was Struktur angeht, was klare Inhalte angeht, die vor Klasse 1 schon vermittelt werden sollen.
Deutschlandfunk Kultur: Hamburg gilt ja auch als Vorbild, weil erstens dieser Test verbindlich ist, zweitens dann die sprachliche Förderung auch. Also, die Kinder müssen sie annehmen, aber die Stadt garantiert auch oder das Land garantiert, dass die Kinder sie bekommen. Und es sind nicht nur diese Kinder in der Vorschule, denn sechzig Prozent aller Kinder gehen in die Vorschule.
Damit sind wir bei der Sprachförderung, die Sie ja schon ein paar Mal angesprochen haben. Da gibt es ja auch kompletten Wildwuchs, wie das gehandhabt wird. An dem einen Ort werden alle Kinder, die nicht genügend Deutsch sprechen, in eine eigene Klasse getan. Da fragt man sich spontan, also, ich als nicht empirische Bildungswissenschaftlerin, ob das jetzt so sinnvoll ist. Bei den anderen bekommen die Kinder Sprachförderung zusätzlich zum Unterricht dazu. – Was wissen wir darüber, was die beste Art von Sprachförderung ist?
McElvany: Ja, wir haben in der Tat alle Modelle zurzeit. Wir haben die Modelle, wo Kinder zunächst in eigenen Gruppen gefördert werden, dann irgendwann integriert werden. Wir haben die Modelle, wo sie direkt in Regelklassen kommen. Wir wissen wenig darüber, was jetzt wirklich wirkt. Ich würde auch vermuten, dass wir da wieder an dem Punkt sind, wo wir vorhin waren. Es gibt eben die Beispiele, wo das eine ganz hervorragend funktioniert und für andere Kinder nicht. Das ist sicher in beide Richtungen zu bedenken.

Kaum Wissen über Sprachförderung

Deutschlandfunk Kultur: Aber warum wissen wir denn so wenig? Es ist ja kein neues Phänomen, dass Menschen nicht deutscher Muttersprache nach Deutschland kommen.
McElvany: Ja, das ist tatsächlich erstaunlich, dass wir so wenig über wirksame Sprachförderung wissen. Wir haben uns lange die Studien aus den USA angeguckt, denn da gibt es sehr viel mehr Studien in dem Bereich. Allerdings stellt sich da auch immer die Frage: Wie viel ist wirklich übertragbar? Es handelt sich um andere Gruppen, andere Hintergründe, andere Sprachsituationen. Die Studien, die wir in Deutschland haben, bringen häufig relativ ernüchternde Ergebnisse, was die tatsächliche Wirksamkeit angeht.
Und ob dann eine Wirksamkeit der Förderung gegeben ist, die sich auch auf die Schulkompetenzen auswirkt, ist dann noch eine weitere Frage. Da gibt es sicher einiges, was man noch tun könnte.
Deutschlandfunk Kultur: Das ist mir jetzt aber rein von der Logik her nicht ganz klar. Wir fordern alle mehr Sprachförderung, aber wir wissen gar nicht, ob diese Sprachförderung wirkt.
McElvany: Es gibt viele Ansätze, was die Evaluation angeht, aber es gibt, denke ich, keinen seriösen Kollegen oder keine seriöse Kollegin, die sagen würde, "ja, wir haben das Konzept, wenn wir das überall einsetzen, dann wird das schon". Das ist sehr komplex.
Wenn wir an die Grundschulen denken, da ist Zeit vorhanden. In der ersten Klasse haben Kinder in Berlin zurzeit zwanzig Unterrichtsstunden à 45 Minuten. Da sind wir bei fünf Tagen die Woche bei etwas über drei Zeitstunden. Da ist eigentlich genug Zeit für Sprachförderung. Man müsste es aber systematisch angehen.
Deutschlandfunk Kultur: Zugleich gibt es einen dramatischen Lehrermangel. 15.000 Lehrer sollen fehlen in diesem Schuljahr. Es werden zwar immer mehr Quer- und Seiteneinsteiger eingestellt, also Menschen, die nicht dieses klassische Lehramtsstudium durchlaufen haben. Aber – oh Wunder – wo werden die vor allem eingesetzt? In den sogenannten Brennpunktschulen. Also dort, wo ohnehin schon alle Schwierigkeiten versammelt sind, werden die unerfahrensten Pädagogen eingesetzt. Man kann sich ganz gut vorstellen, was dabei herauskommen wird, oder?

Qualifizierte Pädagogen gewünscht

McElvany: Ja, ich würde mir tatsächlich wünschen, dass wir Sprachförderung so ernstnehmen, dass wir Kolleginnen und Kollegen dafür ausbilden, diese systematisch gerade an Grundschulen umzusetzen und nicht nur zu fordern, dass die Grundschulen auch das noch nebenbei mitmachen sollen.
Selbstverständlich ist Sprachförderung Aufgabe aller Fächer. Das ist so und das ist gut so, dass das inzwischen so gesehen wird. Aber dahinter darf man nicht verstecken, dass wir einen großen Anteil von Kinder haben, die darüber hinaus auch noch gezielte Sprachkompetenzförderung brauchen.
Deutschlandfunk Kultur: Die drei Schriftsteller bzw. Journalisten, die ich vorhin erwähnt habe, also Gorelik, Stanišić und Bota, haben vielleicht auch deshalb noch vergleichsweise spät so exzellent Deutsch gelernt, weil sie alle drei aus Akademikerhaushalten kommen.
McElvany: Ja. Die Familie hat hier natürlich auch Einflussmöglichkeiten. Wir als Gesellschaft müssen überlegen, wo können wir ansetzen? Wir können bei den Bildungsinstitutionen ansetzen. Deshalb sprechen wir über Kindergärten, sprechen wir über Grundschulen, über weiterführende Schulen. Aber nichtsdestotrotz ist es natürlich so, dass die Familie hier auch ganz viel fördern kann, was die Sprachkompetenzen angeht.
Deutschlandfunk Kultur: Also sind wir auch da wieder bei dem Ausgangspunkt, dass man den Satz, dass Kinder erst dann in eine deutsche Grundschule kommen dürfen, wenn sie gut Deutsch können, in so einer Absolutheit gar nicht anwenden kann.
McElvany: Wir haben ja auch Kinder, die völlig ohne irgendwelche Deutschkenntnisse in die deutsche Grundschule kommen und da wunderbar erstens Deutsch innerhalb kürzester Zeit lernen und im Fachlichen mitkommen. Da sind dann ja häufig auch die Eltern hinterher. Das sind häufig Kinder, die in ihrem Umfeld vielleicht nicht so viele andere Kinder haben, mit denen sie ihre Herkunftssprache sprechen können, so dass sie in der Schule darauf angewiesen sind, schnell Deutsch zu lernen, die Motivation haben, die Möglichkeiten haben, weil sie eben mit ihrer Herkunftssprache gar nicht weiterkommen.
Gedanken müssen wir uns über die anderen machen, die nicht mit so guten Voraussetzungen, was Vorbilder angeht, was Förderung zu Hause angeht, in die Schulen kommen und die da vielleicht auf viele andere Kinder treffen, die auch ihre Herkunftssprache sprechen, so dass die Notwendigkeit Deutsch zu lernen, sich tatsächlich rein auf den Fachunterricht bezieht, wo wir ja wissen: Klassenstärken sind groß, eine Lehrkraft vorne. Was die Kinder dann selber an deutschen Sprachäußerungen produzieren können, ist schon rein quantitativ eingeschränkt.

Vielfalt oder Belastung?

Deutschlandfunk Kultur: Diese Diskussion über Deutschkenntnisse von Grundschülern findet ja an in einem bestimmten politischen Umfeld statt. Ich glaube, dass hier zwei gesellschaftliche Grundfragen zusammentreffen – zum einen die Frage der Zuwanderung oder Einwanderung und zum anderen die Frage nach dem Schulsystem an sich.
Wenn Schule nach dem Grundsatz handelt, und das hat sie ja Jahrhunderte lang, alle Kinder kriegen dasselbe und haben dann auch dasselbe hinzukriegen, dann ist jedes Kind, das eine individuelle Anforderung stellt, welcher Art auch immer, eine Belastung, eine Störung des Systems.
McElvany: Die Idee, dass Kinder mit gleichen Voraussetzungen in die Grundschule kommen, ist, glaube ich, völlig veraltet. Da muss man ja nur mal eine beliebige erste Klasse betreten und man sieht, dass das überhaupt nicht der Fall ist. Das trifft auf die Sprachkompetenzen zu, das trifft aber auch auf ganz viele andere Dinge zu. Grundschullehrkräfte haben da neben ihrem fachlichen Unterricht auch noch Verhaltensmanagement zu leisten, denn auch die sozioemotionalen Kompetenzen sind unterschiedlich.
Es ist auf die Sprache bezogen richtig, dass wir da große Unterschiede haben. Es ist aber auch auf viele andere Aspekte bezogen völlig richtig.
Deutschlandfunk Kultur: Und die Frage ist ja, wie man es betrachtet; sieht man das nur als Problem? Da kommt ein Kind, das spricht fließend – ich nenne jetzt mal irgendeine Sprache - Türkisch, aber kein Deutsch. Aber es bringt ja so viel anderes mit, eben diese andere Sprache, Lieder, Sitten usw.
McElvany: Ja. Und ich glaube, wir haben auch ganz viele Grundschulpädagogen und -pädagoginnen, die genau dieses Potenzial, das in der Vielfalt steckt, nutzen zum Nutzen von allen, von den Kindern, die beispielsweise mit ihren Herkunftsliedern kommen, aber auch zum Nutzen für die anderen Kinder, die damit dann in Berührung kommen.
Deutschlandfunk Kultur: Das hieße dann ja, nicht die Kinder haben ein Problem, sondern die Schule muss sich anpassen an diese Vielfalt.
McElvany: Ja, die Kinder sind es sicher nicht. Die haben auch nicht zu verantworten, mit welchen deutschen Sprachkompetenzen sie da am Tag Eins in der ersten Klasse sind. Die Idee, den Kindern implizit vorzuwerfen, dass sie nicht genug Deutsch können, und zu sagen, "ihr kommt jetzt bitte nicht in die deutsche Grundschule", ist absurd. Die Grundschule hat den Auftrag zu fördern. Dazu gehören auch Sprachkompetenzen. Und dafür muss man sich Konzepte überlegen, und zwar Konzepte, die dann wieder auf die unterschiedlichen Bedürfnisse eingehen.
Das ist das, was es so kompliziert macht. Es reicht ja nicht, nur im Deutschunterricht sprachsensibel vorzugehen, Wörter nochmal zu erklären oder Ähnliches, sondern wir haben eben Kinder, die auch ganz explizit zusätzliche Sprachförderung benötigen.

Deutsches Bedürfnis nach Homogenisierung

Deutschlandfunk Kultur: Wir sehen das in vielen Bereichen, Sie haben gerade die Entwicklungsfragen angesprochen. Wir sehen das ja auch an der Inklusion. Trotz aller internationaler Abkommen, UN-Behindertenrechtskonvention usw., unser Schulsystem trennt im Allgemeinen weiterhin die Kinder. Gelebte Inklusion ist sehr, sehr selten.
Das heißt, diese Vielfalt, die wir heute angeblich alle so großartig finden -Deutschland ist ja auch schon lange kein einsprachiges Land mehr -, wird nicht wirklich als etwas gesehen, womit wir konstruktiv umgehen können. Ich habe den Eindruck, dass gerade Deutschland oder die Deutschen sich sehr schwer damit tun, erstmal anzuerkennen, dass es Verschiedenheit gibt und das nicht sofort in eine Hierarchie zu packen.
McElvany: Wir haben so ein implizites Bedürfnis nach Homogenisierung: das durchschnittliche Kind, was in der durchschnittlichen Klasse sitzt und durchschnittlichen Unterricht bekommt. Aber das trifft die Realität überhaupt nicht. Und wie ich gerade schon sagte, ich denke, in der Grundschule haben wir, wenn wir genau hingucken, auch genug Zeit, mit dieser Heterogenität umzugehen. Ganz genauso, wie wir ganz klar akzeptieren, dass eben ein Teil der Klasse zum Lebenskundeunterricht geht, ein Teil der Klasse zur evangelischen Religion, ein Teil der Klasse zur islamischen Religion, können wir das auch für Sprachekompetenzen denken. Warum nicht?
Ein Teil der Kinder hat eben noch eine zusätzliche Stunde, ganz gezielte Sprachförderung in einer kleineren Gruppe, und ein Teil der Kinder macht in der Zeit andere Sachen oder kriegt eine Förderung auf ihrem Sprachniveau. Es ist ja nicht so, dass Erstklässler, die zu Hause Deutsch sprechen und mit ausreichenden Sprachkompetenzen in die Schule kommen, keine Sprachförderung brauchen. Die brauchen allerdings eine andere. Und diese Vielfalt ist da und deshalb muss man mit ihr auch umgehen. Es wundert mich, dass wir das in der Systemgrundschule bisher doch noch so unsystematisch machen.
Deutschlandfunk Kultur: Vielleicht liegt es ja auch daran, dass diejenigen, die die Entscheidungen treffen, alle in so einem homogenen Schulsystem groß geworden sind und denken: "Ich habe es ja auch geschafft."
McElvany: Ja. Das hat sicher etwas zu tun. Man selber hat seine eigenen schulischen Erfahrungen. Man hat ja nicht noch zehn andere Schul- und Familienkarrieren hinter sich. Da ist aber vielleicht ein Besuch in der nächsten Brennpunktgrundschule mal ganz lehrreich. Das kann man jedem nur empfehlen, sich da mal reinzusetzen. Das ist vielleicht auch ganz gesund, wenn mal wieder eine neue Forderung kommt, was Grundschullehrkräfte noch alles leisten sollen zusätzlich zu dem, was sie bereits tun. Wenn man da so eine Stunde, vielleicht auch drei Stunden in einer Klasse saß und gesehen hat, welche Anforderungen dort alltäglich bewältigt werden müssen, dann ist man vielleicht auch etwas sensibler, ob man noch weitere Forderungen stellen kann.

Grundschulzeit besser nutzen

Deutschlandfunk Kultur: Sie haben das offenkundig gemacht, sich diese Grundschulklassen angesehen. Wir haben zwar Zeit in der Grundschule, aber offenbar nicht genügend Personal. Und das heißt, nicht genügend Geld.
McElvany: Ja. Das würde ich auf jeden Fall unterstreichen. Sprachförderung ist Aufgabe aller Fächer – sehr positiv, sehr richtig. Aber dahinter versteckt man sich natürlich auch leicht und sagt: "Es passiert ja in allen Fächern." Und wir bilden ja im Lehramtstudium vielleicht schon – in einigen Bundesländern ist das der Fall – schon mit dafür aus, auch die Fachlehrer. Aber das ist tatsächlich nur die halbe Wahrheit. Der wirkliche Bedarf geht sicher darüber hinaus, über das, was da im regulären Unterricht noch nebenbei mitgemacht werden muss.
Deutschlandfunk Kultur: Was wären denn Ihre dringendsten Forderungen, wenn Sie drei Wünsche frei hätten?
McElvany: Wenn ich drei Wünsche frei hätte, würde ich die Grundschulzeit besser nutzen, würde ich systematisch neben dem, was wir in den Stundentafeln bisher haben für Deutsch, Mathe, Kunst, Musik, Sport, überall eine Sprachförderung integrieren.
Das heißt, dass ich Konzepte dafür bräuchte, Standards, Tests, die Untersuchungen, ob wir diese Standards erreichen, Personal, was ich dafür zur Verfügung stelle. Da sind wir auch bei den finanziellen Ressourcen ..
Deutschlandfunk Kultur: … damit nicht eine Grundschullehrerin für alles alleine verantwortlich ist, sondern vielleicht zwei?
McElvany: Personal kostet Geld. Das heißt, wenn ich systematische Sprachförderung möchte über das hinaus, was bisher passiert - und wir sehen, dass das nicht ausreichend ist, das müssen wir nicht nochmal überprüfen, wir sehen an den Ergebnissen der Bildungsstudien, dass es nicht ausreicht -, dann muss ich dafür Geld aufwenden. Geld ersetzt nicht Konzepte. Die brauche ich auch. Aber die besten Konzepte nutzen nichts, wenn ich nicht das Personal habe, das sie umsetzt, und – wir waren ja bei der Heterogenität der Schülerinnen und Schüler – dann sprechen wir auch eher von Förderung in kleinen Gruppen und nicht von Sprachförderung in Gruppen von dreißig Erstklässlern. Das hilft uns sicher nicht weiter.
Deutschlandfunk Kultur: Sie haben es gerade gesagt, Geld ersetzt keine Konzepte. Denn das Gegenargument würde ja lauten, dass seit 2001 - damals gabs den berühmten ersten PISA-Schock, "oh Gott, wir sind ja gar nicht so großartig" -, Milliarden in das deutsche Schulsystem gesteckt worden sind, auch in die Sprachförderung, aber offenbar mit ziemlich geringem Erfolg.
McElvany: Ja. Zumindest wenn wir uns die IGLU-Studie Ende der Grundschulzeit angucken, stellen wir fest, dass die systematischen Unterschiede, die Kinder in der Lesekompetenz, und das ist ja eine Schlüsselkompetenz für den weiteren schulischen und dann später auch beruflichen Erfolg, weitgehend stabil geblieben sind zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund.
Man kann das positiv drehen. Die Schere ist nicht weiter auseinander gegangen. Aber eigentlich ist es ja unser Ziel, hier die Lücken zu schließen und nicht Stabilität zwischen den beiden Gruppen.

Gute Schule braucht gute Politik

Deutschlandfunk Kultur: Das heißt also, nur das Geld allein, nur das Personal allein wird es nicht bringen. Oder man kann genauso gut sagen, es war noch zu wenig Geld. Ich weiß es nicht. Man weiß ja so wenig.
McElvany: Ich glaube, wir wissen schon, dass bisher nicht genug passiert ist, was die systematische Sprachförderung angeht, insbesondere für die Kinder, die über sehr geringe Sprachkompetenzen verfügen. Da sind wir wieder bei der Eingangsfrage, wie diagnostizieren wir Sprachförderbedarf eigentlich und beim Wildwuchs. Manchmal machen wir das im Elementarbereich, manchmal machen wir das bei Schulbeginn, manchmal machen wir das auch zwischendurch nochmal. Und dann zieht jeder daraus seine Schlussfolgerungen. Aber bevor wirksame Effekte zu erwarten sind, braucht man da sicher mehr System drin.
Deutschlandfunk Kultur: Auch diese ganze Diskussion bewegt sich ja nicht im luftleeren Raum, Sie haben das vorhin angedeutet, bei dem Punkt, ob die Kinder in ihrem Alltag ansonsten mit deutscher Sprache in Berührung kommen oder nicht. Das betrifft die Sozialpolitik, die Wohnungspolitik, die Schulpolitik, wer darf auf welche Schule gehen.
McElvany: Wer wohnt wo? Für die Grundschule gilt die Regel "kurze Beine, kurze Wege"; ich gehe dorthin, wo ich wohne. Das hat natürlich Einflüsse darauf, welche Chancen die Kinder später haben.

Wertschätzung gefragt

Deutschlandfunk Kultur: Genau. Und deswegen gibt es viele Eltern, die sich noch schnell ummelden.
Was wissen wir denn - um vielleicht mit einer positiven Note zu schließen - von anderen Ländern, die es besser machen? So ein best-practice-Beispiel!
McElvany: Das ist immer schwierig, von anderen Ländern zu lernen, weil es nicht direkt vergleichbar ist. Trotzdem lohnt es sich, sich anzuschauen, was machen andere Länder. Wir sehen beispielsweise in den USA in den letzten Jahren große Bemühungen - auch über den ja auch dort gegebenen Föderalismus hinweg -, so dass sich mehrere Staaten zusammengetan und Standards festgelegt haben für die Sprachkompetenz, mit jährlichen Tests und mit festen Förderkonsequenzen daraus. Das ist für den Bereich sicher interessant. Oder wir können nach Skandinavien gucken, wo wir eine längere Tradition haben, die Trias in den Blick zu nehmen zwischen Sprachförderung in der Sprache der Schule, aber auch Sprachförderung in der Herkunftssprache und gleichzeitig die Fachkenntnisse – unabhängig zunächst einmal von den schon erreichten Sprachkompetenzen – so zu fördern, dass dort nicht auch noch fachliche Lücken entstehen, die die Kinder dann zurückwerfen.
Und es gibt neben den Kompetenzen ja auch noch einen zweiten Bereich, über den man sich Gedanken machen kann. Dazu sind wir im Gespräch noch nicht so viel gekommen. Die Frage, wie Kinder sich angenommen fühlen in der Schule, die Frage der Wertschätzung für ihre Herkunftssprache. Wir signalisieren nicht nur, "du kannst noch nicht genug Deutsch", sondern: "du kannst aber dafür eine andere Sprache gut, und das wertschätzen wir". Auch darüber müssen wir natürlich nachdenken, wie Kinder Schule wahrnehmen.
Deutschlandfunk Kultur: Denn das ist dann auch wieder mit ihrem Schulerfolg verbunden, ob sie gerne zur Schule gehen.
McElvany: Das ist für die Kinder mit ihrem Schulerfolg verbunden, aber wir wollen auch die Familien mit im Boot haben. Familien haben ja häufig ein großes Vertrauen darin, dass die Grundschule als deutsche Bildungsinstitution schon ganz viel richten wird. Da wird ihr Kind Deutsch lernen, da wird es den besten Bildungserfolg haben. Da ins Gespräch zu kommen, aufzuklären, Bedeutung von Sprache, Möglichkeiten von Eltern zu unterstützen - gemeinsam geht das sicher besser. Die Schule kann vieles machen, aber je mehr das Elternhaus unterstützt, desto größer wird der Erfolg sein.

Prof. Dr. Nele McElvany ist geschäftsführende Direktorin des Instituts fürs Schulentwicklungsforschung an der TU Dortmund, sie leitet die Arbeitsgruppe "Empirische Bildungsforschung mit dem Schwerpunkt Lehren und Lernen im schulischen Kontext" sowie den nationalen Teil der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung, IGLU 2021.

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