Bildung

Nicht mehr die gleichen Chancen für alle

Kindergartenkinder, die mit iPads arbeiten, aufgenommen am 03.03.2014 in Stockholm.
Schwedische Kindergartenkinder, die mit iPads arbeiten. © Jonathan Nackstrand / AFP
Von Christine Westerhaus · 28.10.2014
Heute veröffentlicht UNICEF den Bericht zur Lage von Kindern in Industrieländern. Geht es den Kindern schlechter wegen der Finanzkrise? Sind sie beteiligt am Wohlstand? Ein Schulbesuch gibt Einblick in die schwedische Familien- und Bildungspolitik.
Die Oskar Fredriks Skola in Göteborg. Ein roter Backsteinbau aus dem 19. Jahrhundert, knapp 490 Grundschüler lernen hier. Auf den Schulbänken verteilt liegen Bücher, Hefte und Stifte – alles gratis. Nicht nur hier, sondern auch in anderen schwedischen Schulen. Das gleiche gilt für das Mittagessen, das jeden Tag in der schuleigenen Kantine gekocht wird.
Hier geht es zu wie im Taubenschlag, eine Klasse nach der anderen stellt sich in die Schlange vor der Essensausgabe. Christina Möller, Anfang 50, die lockigen Haare leuchtend rot gefärbt, kommt mit ihrer Klasse schon aus der Mittagspause zurück. 30 Kinder zwischen sieben und acht Jahren muss sie in diesem Schuljahr als einzige Klassenlehrerin betreuen. Das war früher anders, erzählt die energische Frau, die von Schülern und Eltern einfach nur "Ninna" genannt wird.
"Noch vor vier Jahren gab es in der ersten Klasse nur etwa 10 bis 13 Kinder. Dann waren es 16, inzwischen sind es 20 Kinder. In der zweiten Klasse ist es noch schlimmer – dort haben wir inzwischen 30 Kinder und das sind viel zu viele. Außerdem standen uns Lehrern früher Geld für Lehrmittel zur Verfügung. Das wurde inzwischen gestrichen. Wir müssen für alles Anträge stellen und bekommen nur noch das Notwendigste bewilligt."
Dennoch: Außer den kostenlosen Materialien und dem Mittagessen für die Kinder leistet sich der schwedische Staat etwas ganz Besonderes: den kostenlosen Muttersprachunterricht für alle ausländischen Schüler. Luka geht an diesem Nachmittag zum Deutschunterricht, William hat Englisch, Lan Chinesisch und ein paar andere Kinder Arabisch. Alle kommen aus Ninnas Klasse.
Ausflüge mit 30 Zweitklässlern unmöglich
Der Anteil ausländischer Schüler ist hoch. Schulgeld bezahlt man in Schweden für die staatlichen Schulen nicht und auch die Kosten für den Hort, in dem fast alle Kinder nach dem Unterricht betreut werden, sind überschaubar. Selbst Besserverdiener zahlen nur etwa 90 Euro im Monat, der Höchstsatz für den Kindergarten liegt bei umgerechnet 130 Euro. Dazu gibt es Kindergeld: Etwa 115 Euro pro Kind. Doch Christina Möller beobachtet, dass nicht mehr alle Schüler die gleichen Chancen haben.
"Ich würde sagen: Wir waren eine Wohlfahrtsgesellschaft in Schweden. Naja, das sind wir ja immer noch, aber alle Kinder sollten ein Anrecht auf gute Lehrmittel und qualifizierten Unterricht haben. Es gibt auch hier im zentralen Göteborg einige Schüler, die man besonders fördern müsste. Aber wir können den Kindern nicht die Hilfe geben, die sie bräuchten."
Eigentlich würde Ninna mit ihren Schülern gern viel mehr unternehmen. Früher ist sie mit ihnen regelmäßig ins Theater gegangen oder ins Museum. Doch mit 30 Zweitklässlern ist das nicht möglich.
Im Hort sitzt Matteo auf dem Sofa, in der Hand ein ipad. Umringt von einer Handvoll Jungs sucht er auf youtube nach seinen Lieblingsvideos. Erst vor ein paar Wochen wurden sechs neue Geräte angeschafft. Immerhin: Dafür hat das Geld gereicht.
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