Bildschirme raus aus Kinderzimmern!

Moderation: Shelly Kupferberg · 10.03.2005
Bildschirmmedien machen nicht nur blöd, sondern auch krank. Das ist die These des Hirnforschers Manfred Spitzer, die er in seinem Buch wissenschaftlich belegt. Nicht nur Fernseher, sondern auch Computer gehören deshalb in kein Kinderzimmer und in keine Schule, so der Leiter der Uni-Klinik für Psychiatrie in Ulm.
Kupferberg: Heute beginnt in Hannover die CeBIT und dort werden wieder allerhand Neuheiten auf dem Computermarkt präsentiert, die zum Teil in Kürze in unserem Alltag eine Rolle spielen werden. Zu Risiken und Nebenwirkungen befragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker – dieser Slogan sollte auch, wenn es nach dem Neurowissenschaftler und Psychiater der Universität Ulm, Professor Manfred Spitzer, ginge, bald in Bezug auf diverse Bildschirme zutreffen. Bildschirmmedien machen nicht nur blöd, sondern auch krank, so seine These, die er in dem Buch "Vorsicht Bildschirm" wissenschaftlich belegt und daraus die provokante Forderung ableitet: Weg mit dem Fernseher aus dem Kinderzimmer, raus mit den Computern aus Schulen, Rückkehr zum Lernen mit Herz und Verstand. Einen schönen guten Tag.

Spitzer: Guten Tag.

Kupferberg: Was haben Sie gegen entsprechende Bildschirmmedien, also Computer, Fernsehen, Gameboys, Handies und Co?

Spitzer: Ich habe überhaupt nichts gegen Bildschirmmedien, mache meine eigene Fernsehsendung und hocke jeden Tag vorm Computer und am Bildschirm. Was ich mit meinem Buch machen möchte ist, wie Sie schon richtig sagen, auf Risiken und Nebenwirkungen hinweisen, denn Dinge, die wirken, haben auch Nebenwirkungen.

Kupferberg: Worin genau bestehen diese?

Spitzer: Ich denke, das, was bislang kaum beachtet wurde, sind erstmal körperliche Nebenwirkungen. Wer vor einem Bildschirm sitzt, bewegt sich weniger, ißt mit größerer Wahrscheinlichkeit das Falsche und verbrennt weniger Kalorien dadurch, dass er gerade so kleine Bewegungen, wie wir selbst beim Buchlesen ausführen, nicht mehr macht, so dass Fernsehen langfristig zu Übergewicht führt, auch zu geringerer körperlicher Fitness, sogar zu erhöhtem Cholesterinspiegel und wenn Sie das hochrechnen auf die Gesamtgesundheit der Gesamtbevölkerung, ergibt sich ein Dickereffekt, dazu gibt es gute wissenschaftliche Daten, dass also ein Teil des vorhandenen Übergewichts auf das Medium Fernsehen zurückzuführen ist. Es ist nicht so, dass diejenigen, die dick sind, lieber fernsehen und es deswegen einen Zusammenhang gibt, sondern man konnte nachweisen, dass es umgekehrt ist: wer fernsieht, wird dick.

Kupferberg: Sie arbeiten unter anderem als Hirnforscher. Wie reagiert denn das menschliche Hirn und Organismus auf zu viel Berieselung?

Spitzer: Das ist der zweite und sehr wichtige Aspekt, der wenig bedacht wird, wenn gerade ganz kleine Kinder sozusagen einen wesentlichen Teil ihrer Zeit mit Bildschirmmedien verbringen, ist das prinzipiell schädlich und ich möchte es kurz erläutern. Das Gehirn ist ja nicht statisch, sondern ändert sich mit jeder Erfahrung, die wir Menschen machen, und bei kleinen Kindern ganz besonders deutlich. Wenn nun die Erfahrung über den Bildschirm geliefert wird, passen die einzelnen Kanäle nicht so gut zusammen, es kommen salopp gesagt eine Bildsoße vom Bildschirm und eine Klangsoße aus dem Lautsprecher, die haben oft wenig miteinander zu tun und dazu kommt, dass sie es nicht berühren können, dass es nicht riecht und schmeckt, auch nur zweidimensional ist, also dass diese vorgegaukelte Realität eine viel schwächere ist. Wenn nun ein kleines Kind – und wir haben gute Daten aus den USA, die zeigen, dass Zweijährige heute zwei Stunden täglich vorm Bildschirm verbringen – und wenn man davon ausgeht, dass sie täglich 12 Stunden schlafen, ist das ein wesentlicher Teil ihrer wachen Zeit und damit ihrer wachen Erfahrung, dann wird durch diese Zeit letztlich dafür gesorgt, dass die Erfahrung in den Gehirnen dieser Kinder eine geringere Chance hat, strukturierend, strukturbildend zu wirken. Wenn aber nun weniger Struktur in den Kinderköpfen bildschirmbedingt entsteht, haben natürlich gerade die Kinder, die sowieso aus genetischen Gründen an Aufmerksamkeitsstörungen leiden in der Grundschule noch eine zusätzliche Belastung, so dass sich der Prozentsatz an Aufmerksamkeitsstörungen leidenden Kindern in der Grundschule fernsehbedingt erhöht und dadurch wiederum auch nachgewiesen durch eine Studie an 2623 Kindern, dass Fernsehen im Lebensjahr eins und drei mehr Aufmerksamkeitsstörungen in der ersten Klasse der Schule macht.

Kupferberg: Würden Sie also konsequenterweise das Fernsehen, jegliche Bildschirme verbieten wollen für Kinder?

Spitzer: Für Kinder im Kindergartenalter würde ich sagen ja. Es gibt überhaupt keinen Grund, dass ein Kind im Kindergartenalter fernsieht, wirklich keinen. Man sollte sich auch davor hüten zu sagen, wir brauchen Sendungen, damit sie sich daran gewöhnen – das ist genau das Verkehrte, wir wollen sie ja nicht daran gewöhnen. So eine Einstiegsdroge wie Teletubbies, das ist kriminell, sein Kind davorzusetzen oder mindestens unverantwortlich; es ist kriminell im Wissen um die Auswirkungen, diese Sendung überhaupt zu produzieren oder auszustrahlen und es ist ganz schlimm, dass sie in 123 Ländern gesendet wird und die Erfinderin sogar dafür geadelt wurde, dass sie sie erfunden hat.

Kupferberg: Aber wie steht es jetzt um die soziale Komponente, würden Sie damit Kinder nicht auch zu weltfremden Wesen und Außenseitern machen?

Spitzer: Nein, es wurde untersucht, das genaue Gegenteil hat sich gezeigt. Man hat herausgefunden, dass die, die fernsehen, eher Außenseiter sind, als die, die nicht fernsehen.

Kupferberg: Weil ihnen die soziale Kompetenz fehlt?

Spitzer: Ja. Soziale Kompetenz erwerben sie dadurch, dass sie mit anderen wirklichen Kindern wirklich zusammen sind und nicht dadurch, dass sie vor der Mattscheibe anderen zusehen.

Kupferberg: Computer sind auch sehr wichtige Bildschirmmedien und sie aus den Schulen rauszunehmen würde doch auch heißen, dass man Kinder benachteiligt, die zu Hause keinen Computer haben.

Spitzer: Das glaube ich nicht.

Kupferberg: Muss man Kinder nicht fit für die Zukunft machen?

Spitzer: Das schon, aber stellen Sie sich mal vor, wir haben mittlerweile flächendeckend das Auto, aber keinen Fahrunterricht in der Schule. Es gibt Länder, da gibt es das, da macht man den Führerschein mit 16 oder 18 in der Schule, aber eine Firma, die bekanntermaßen schlechte Software vertreibt, die dauernd so schlecht ist, dass man alle zwei Jahre mindestens etwas Neues kaufen muss, damit es auch nur halbwegs geht, hat es geschafft, die Fehler ihres Produkts zum Schulfach zu erheben. Es darf nicht sein, dass hier wesentliche Zeit verbraten wird – und das ist vor allem wesentliche Lehrerzeit – die dann vom Unterricht abgeht und das darf nicht sein.

Kupferberg: Andererseits gibt es einen großen Gewinn durch das Internet, wo Kinder und Jugendliche auch unglaublich viel Wissen erfahren können.

Spitzer: Da bin ich eher skeptisch. Ich nutze das Internet als Wissenschaftler natürlich, weiß aber genau, was ich das Internet zu fragen habe und kann mir, wenn ich 90 Prozent weiß, die restlichen zehn Prozent auch noch schnell her holen, das ist sehr angenehm. Wenn ich nichts weiß – und Schüler zeichnen sich ja vor allem darin aus, dass sie erstmal von dem, was sie lernen sollen, nichts wissen – nützt mir das Internet sehr wenig, weil ich da vor allem allen möglichen völlig ungefilterten Schrott bekomme. Ein gutes Buch, was sozusagen den Lernwilligen bei der Hand nimmt und ihm dann geführt die Dinge in der richtigen Reihenfolge und interessant darbietet, ist als Lernmittel dem Internet haushoch überlegen. Es muss natürlich gut sein, es ist aber überlegen.

Kupferberg: Wie handhaben Sie es bei ihren eigenen Kindern?

Spitzer: Wir haben fünf Kinder, die zeitlich sehr eng aufeinander waren, deshalb gab es jeden abend Streit nach dem Motto "wer gestern was sehen durfte, das ist doch harmloser, also darf ich doch auch" und so weiter. Als ich dann mal gemerkt habe, dass sich beim Abendtisch das Problem ums Fernsehen dreht, habe ich gesagt, der Fernseher kommt weg. Da gab es einen kleinen Zwergenaufstand. Natürlich ist es so, dass meine Kinder auch mal zu Freunden gehen und etwas schauen. Da müssen sie aber freundlich klingeln bei den Freunden. Und was lernen sie dadurch? Freundlich zu klingeln! Insofern glaube ich, tun wir etwas sehr Gutes. Und meine Fünf sind garantiert keine Außenseiter.

Kupferberg: Sie wollen also eigentlich mehr Verantwortung bei den Kindern heraufbeschwören. Welche realistischen Alternativen schlagen Sie sonst vor?

Spitzer: Ihre Frage ist genau richtig. Was wir brauchen, ist nicht ein Fernsehverbot oder etwas anderes, wo es dann heißt, der Spitzer, die Spaßbremse, will uns den Spaß verbieten – gar nicht. Ich arbeite ja selbst damit. Ich möchte erstens, dass wir wissen, was wir da tun und vor allem, was wir ganz kleinen Kindern antun, zweitens, dass dieser Irrglaube, der Computer könnte jetzt endlich mal den Nürnberger Trichter ersetzen und dann werden wir alle superschlau, nur weil wir einen Computer haben – es ist faktisch ja nicht der Fall – dass das wegfällt und dann möchte ich, dass wir uns überlegen, was wir unseren Kindern für Alternativen bieten können, denn wenn heute ein Schüler (und wir sind in Europa das einzige Land, wo die Schüler um ein Uhr nach Hause kommen) nach Hause kommt und die Mutter arbeiten ist, was macht dann der Kleine? Der kann sich ja bloß vor den Bildschirm setzen, weil sonst nichts geboten wird. Da müssen wir angreifen und einfach Dinge anbieten, die interessanter sind als fernsehen. Wenn wir das schaffen, haben wir schon Wesentliches erreicht.

Kupferberg: Verfolgen Sie die CeBIT?

Spitzer: Ein bisschen natürlich, klar. Ich denke, dass wir in dieser Zeit leben und davon profitieren, aber natürlich müssen wir auch wissen, wo Risiken und Nebenwirkungen liegen und gerade für die junge Generation liegen eindeutig welche in der Benutzung von Bildschirmmedien.

Manfred Spitzer: Vorsicht Bildschirm, Januar 2005, Klett-Verlag, 16.95 Euro
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