Bildhauerei

Donatello-Skulpturen in Russland aufgetaucht

Eine historische Aufnahme des Werks "Die Geißelung Christi" des italienischen Renaissance-Bildhauers Donatello. (Ausschnitt)
Eine historische Aufnahme des Werks "Die Geißelung Christi" des italienischen Renaissance-Bildhauers Donatello. (Ausschnitt) © Bode Museum Berlin
Von Christiane Habermalz · 16.10.2015
Lange galten die beiden Hauptwerke des italienischen Renaissance-Bildhauers Donatello für immer verloren: verbrannt 1945 in einem Berliner Bunker, wohin sie vom Bode-Museum ausgelagert worden waren. Nun sind die Werke in Russland wieder aufgetaucht.
Es war eine Sensation. Gebannt schauten die Teilnehmer des wissenschaftlichen Donatello-Symposiums im September in Berlin auf die Fotos, die Vasily Rastorguev, Kurator für Skulptur des Puschkin-Museums in Moskau, an die Wand warf. Darauf zu sehen: fünf Werke von Donatello, des bedeutendsten Bildhauers der italienischen Frührenaissance. Sie gehörten einst zum Bestand des Kaiser-Friedrich-Museums, des heutigen Bode-Museums, und galten lange als Kriegsverluste. Darunter das um 1430 entstandene Relief "Die Geißelung Christi" und die Bronzestatue "Johannes der Täufer" – zwei Werke, die bis zum Zweiten Weltkrieg als Hauptwerke Donatellos galten.
Drei Monate zuvor hatte der Leiter der Skulpturensammlung im Bode-Museum, Julien Chapuis, in Moskau erstmals einen Blick auf die Objekte werfen können. Bis zuletzt war der kleinen Berliner Museumsdelegation unklar, ob sie die Meisterwerke wirklich zu Gesicht bekommen würden.
Chapuis: "Also es war wirklich ein sehr emotionaler Moment, als wir im Depot des Puschkin-Museums diese zwei Werke von Donatello sehen durften. Außer einem ganz kleinen Kreis Mitarbeiter des Puschkin-Museums hat niemand diese Werke in 70 Jahren gesehen. Eigentlich mehr: Seit 1939 waren sie verpackt und dann auch nicht sichtbar."
Schwer beschädigt aber restaurierbar
Sie sind stark beschädigt, weisen Brandspuren auf. Die Geißelung ist in mehrere Stücke zerbrochen, einige Teile fehlen. Der Täufer hat Arme und Füße verloren – ist jedoch, davon abgesehen, in einem guten Zustand. Ergänzt um die Informationen aus Abgussformen, die sich noch im Bode-Museum befinden, ist beides restaurierbar, sagt Chapuis. Die Freude darüber ist ihm anzumerken. Seit 1997 wusste man in Berlin, dass diese Werke wahrscheinlich noch existierten. Zwei russische Kunsthistoriker hatten Dokumente nach Deutschland geschmuggelt, die dies belegten. Aber:
Chapuis: "Das Puschkin-Museum hatte das bisher nie bestätigt. Und darüber hinaus hatten wir keine visuelle Kenntnis des jetzigen Erhaltungszustands. Also die Sensation für mich ist die Offenheit, die wirklich offene Haltung des Museums. Es ist wirklich ein erklärtes Ziel der Direktorin Marina Loschak, diese Werke wieder zugänglich zu machen."
Ganz am Anfang der Geschichte standen zwei ungeklärte Brände mit verheerenden Folgen. Eigentlich war der Krieg schon vorbei, doch im Mai 1945 brach im Flakbunker Friedrichshain ein Feuer aus, ein paar Tage später brannte es noch einmal. In diesen Bunker hatten die Berliner Museen einen Großteil ihrer wertvollsten Kunstwerke ausgelagert, um sie vor den Bomben zu schützen, darunter die Donatellos und drei Großgemälde von Caravaggio. Über 400 Meisterwerke wurden zerstört.
Ironie der Geschichte: Die Rahmen, die im Keller des Bode-Museums geblieben waren, blieben unversehrt, ebenso der Sockel, auf dem Johannes der Täufer gestanden hatte. Was das Feuer übrig ließ, wurde von der der "Trophäenkommission" der Roten Armee wie viele andere deutsche Museumsobjekte auch nach Moskau abtransportiert. 1958 gab die UdSSR zur Wiedereröffnung der Museumsinsel einen großen Teil der Objekte an Ostberlin zurück. Doch vieles blieb verschwunden. Ob verbrannt oder noch in Moskau, konnte niemand sagen – und zu Zeiten der Sowjetunion auch niemand fragen.
Neville Rowley: "Für mich waren solche Werke nur Fantasma oder Schatten, die sehr, sehr wichtig für unsere Geschichte waren."
Der Kunsthistoriker Neville Rowley forscht seit 2013 am Donatello-Bestand im Bode-Museum. Von Anfang an hat er sich auch für die verlorenen Werke interessiert: Eine Lücke in der Forschung, denn über die Zeit seien diese nicht nur aus dem Gedächtnis des Publikums, sondern auch aus dem Bewusstsein der Kunstgeschichte verschwunden, sagt Rowley.
Rowley: "Früher waren diese zwei Werke 'Der Täufer' und die 'Geißelung' immer in den Büchern von Donatello und danach: nichts. Weil die Kunsthistoriker nur über die Werke sprechen, die da sind. Nur in Fußnoten sprechen sie über die Werke, die verschwunden sind."
Dass die wertvollen Stücke wieder auftauchen konnten, hat mit einer Geschichte der langsamen Annäherung zu tun. Politisch ist die Debatte um die sogenannte Beutekunst festgefahren. 1998 hatte die Duma ein Gesetz verabschiedet, das die Rückgabe von Kulturobjekten aus deutschen Museen ausschloss. Moskau sieht sie als Kompensation für die eigenen Verluste durch den deutschen Überfall. 600.000 Kunstschätze, so wird geschätzt, fehlen seit dem Krieg in russischen Kirchen und Museen, viele von ihnen private Mitnahmen von deutschen Soldaten. Wo sie heute sind, weiß niemand. Doch auf Fachebene sind die Kontakte heute besser denn je - solang die heikle Frage der Rückgabe außen vor gelassen wird.
Die Werke sollen nun gemeinsam erforscht werden
"Seit 2005 sind wir dann tatsächlich dazu übergegangen, wissenschaftliche Projekte anzustoßen und zu initiieren. Und seit 2008 gibt es eben ein großes Projekt zu den Verlusten der deutschen Museen und ein großes Projekt zu den Verlusten der russischen Museen",

erzählt Britta Kaiser-Schuster, Dezernentin der Kulturstiftung der Länder. 2005 wurde von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, der Kulturstiftung der Länder und 87 deutschen Museen, die von Kriegsverlusten betroffen sind, der "Deutsch-Russische Museumsdialog" initiiert.
Die Zusammenarbeit wurde selbst durch die neue politische Eiszeit nach der russischen Annexion der Krim nicht beeinträchtigt. Offiziell besteht die deutsche Seite weiterhin auf ihrem Eigentumsrecht – dass Beutekunst als russische Leihgaben auch in Deutschland gezeigt werden könnten, ist damit undenkbar. Er persönlich könne auch damit leben, in ein Flugzeug zu steigen, und sich seine früheren Objekte in Moskau anzusehen, sagt Bode-Museumsleiter Chapuis.
Wichtiger sei es, dass sie überhaupt wieder zugänglich seien. Die Donatellos sollen nun gemeinsam restauriert und erforscht und – hoffentlich – in Moskau ausgestellt werden. Und Chapuis ist sicher, dass noch weitere Sensationen folgen werden:
"Das Puschkin-Museum wird in einem wissenschaftlichen Bericht auf Russisch die Werke in den kommenden Wochen veröffentlichen. Und dann wird der Bestand peu à peu bearbeitet. Und ich gehe davon aus, dass noch viel mehr Entdeckungen zu machen sind."
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