Bildhauerei als Raumkunst

Installation in der Isa-Genzken-Retrospektive "Sesam öffne dich!"
Installation in der Isa-Genzken-Retrospektive "Sesam öffne dich!" © Isa Genzken
Von Ulrike Gondorf · 15.08.2009
Isa Genzken gilt als eine der wichtigsten Bildhauerinnen der internationalen Kunstszene. Nun präsentiert das Kölner Museum Ludwig die erste Retrospektive mit etwa 70 Arbeiten aus drei Jahrzehnten unter dem Titel "Sesam, öffne dich".
Zuerst muss sich der Besucher seinen Weg bahnen durch ein "Straßenfest". Das ist der Titel der jüngsten Arbeit von Isa Genzken, im Treppenhaus des Museums Ludwig aufgebaut. Es ist eine schrill bunte Versammlung von kostümierten, besprühten und bemalten Schaufensterpuppen. Eine Frau trägt einen ausladend eleganten Hut, eine andere eine hohe schwarze Fellmütze wie die Wachen am Buckingham-Palast und dazu eine Federboa, ein Mann hat einen falschen Busen angeklebt und einen Patronengürtel um die Hüfte. Einer liegenden Figur ist eine Blumenvase wie eine Atemmaske aufs Gesicht gepresst. Ein Fest, das zum Alptraum wird? Eine grelle, laute, unheimliche Versammlung, auf gelbe Rollcontainer verladen, bereit zum Abtransport auf die Müllkippe.

"Sie sieht eben Dinge und bringt sie auf den Punkt, die anders sind, als sie wahrgenommen werden, auch die Medienwelt, dieser ganze Müll, der uns umgibt, den benutzt sie wiederum, wo sie in Dekogeschäfte geht und diese teueren Artefakte kauft, und die dann transformiert in etwas anderes."

Hausherr Kasper König ist diesmal auch Kurator einer Ausstellung. Isa Genzken selbst hat die Arbeiten in den Räumen des Museums inszeniert; dann ist sie, die öffentliche Auftritte, scheut, schnell verschwunden, bevor Presse und Besucher ins Haus kommen. In Dialog treten soll man mit den Arbeiten, die in einer einzigen, großzügig weiten Raumflucht präsentiert werden.

König: "Die sind schon für sich, aber die sind auch im Zwiegespräch miteinander."

Große Gegensätze treten auf den ersten Blick hervor. Die trashige Gesellschaft des Straßenfests von 2009 ist umstellt von Genzkens strengen, minimalistischen Objekten aus den 80er-Jahren: Auf den Fensterbänken stehen die "Weltempfänger", kleine Blöcke, aus denen Radioantennen herausragen - seitlich auf hohen Sockeln die "Lautsprecher" - elegante Stelen, in die kreisrunde, leere Öffnungen gefräst sind. Beides aus Beton, der die kommunikativen Erwartungen, die die Titel der Objekte wecken, schnell verstummen lässt.

König: "Es wird immer davon gesprochen, wie disparat das Werk sei. Es gibt ganz klar archetypische Modelle, die sich sehr stark mit der Geschichte der Skulptur auch beschäftigen."

So konfrontieren die Arbeiten von Isa Genzken den Besucher schon im Eingang auf ganz widersprüchliche Weise mit der Frage, was eigentlich Bildhauerei ist: das Objekt im Raum, das sich eng mit der Architektur verbindet, das Bildwerk auf dem Sockel, dem man gegenübertritt - die Installation, die nicht mehr fest umgrenzt ist und den Betrachter hineinsaugt in den Bezirk des Kunstwerks? Bildhauerei als Raumkunst – für Isa Genzken ist das ein Thema, das sie auf vielfältige und immer wieder überraschende Weise bearbeitet. So ist auch in Köln die Genzken-Ausstellung insgesamt viel mehr als die Summe der gezeigten Objekte. Der Parcours, den die Künstlerin entwickelt, ist das Spannendste:

König: "Was interessant ist, dass es ihr gelungen ist, und das ist das Verdienst der Künstlerin, Ensembles nicht alleine zu zeigen, sondern in Nachbarschaft der anderen, obwohl sie auch aus sich selber funktionieren. Es ist zugleich auch ein wichtiger Motor, das Museum nicht nur als Präsentationsort, sondern auch als Produktionsort zu nutzen."

Da gibt es den ruhigen Rhythmus des Themas mit Variationen, wenn Isa Genzken auf der einen Seite des Raums ihre Architekturmodelle präsentiert, die lange Reihe der "Strandhäuser zum Umziehen" etwa: kleine Miniaturbauten aus Holz, Draht, Plastik oder Spiegelfolie, liebevoll auf Sand gebaut – eine leichte, ironische Versuchsanordnung über den Voyeurismus, den die Umkleidekabinen zugleich provozieren und auf Distanz halten. "Sesam, öffne dich" – wer möchte nicht im Besitz des Zauberworts sein, das Zugang gewährt zu verborgenen Schätzen?

König: "Es soll eine Verlockung sein, sich das anzugucken","

meint Kurator Kasper König über den einem Märchen aus 1001 Nacht entlehnten Titel der Schau. Und diese Schau-Lust schürt Isa Genzken immer wieder durch die leitmotivartig in den Ablauf der Ausstellung hineingesetzten Fenster. Schon den Eingang verstellt sie durch die hohen transparenten, grünlich leuchtenden Fensterflügel der Installation "Venedig", die ganze dahinter sich öffnende Raumflucht erscheint wie ein Bild, dessen Inhalt und Zuschnitt je nach Standpunkt des Betrachters wechselt. Die Fenster, mit denen sich Isa Genzken in verschiedenen Serien beschäftigt hat, lassen den Besucher immer wieder ganz bewusst in Kontakt zum Raum treten. Den kleinen, schweren, massigen aus Beton muss er den fest umgrenzten Durchblick regelrecht abtrotzen, die leicht schwebenden aus farbigem Kunstharz tragen ihm ihren Ausschnitt mit einer schimmernden Aura entgegen. Wo ist innen, wo ist außen? Das dialektische Spiel von Trennung und Verbindung, das ihre Fensterobjekte dem Betrachter bewusst machen, spielt Isa Genzken in vielen Varianten weiter. Einige der barock ausufernden, plastikbunten Installationen der letzten Jahre scheinen diese Fragen zwar weniger präzis auf den Punkt zu bringen, aber die minimalistisch strengen Arbeiten üben mit ihrer formalen Vollkommenheit eine zwingende Faszinationskraft aus. Kasper König hat im Museum Ludwig eine großartige und längst fällige Retrospektive organisiert.

König: ""Das ist ja doch ne große Magie, die von diesen Dingen ausgeht."

"Und ich halte das für mit das Beste, was heute an Kunst produziert wird und möchte das mit unserer Kundschaft teilen."


"Sesam, öffne dich" - Retrospektive Isa Genzken
Köln, Museum Ludwig
15. August bis 15. November 2009
Dienstag bis Sonntag, 10 bis 18 Uhr