Dienstag, 19. März 2024

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Hinterbliebene der Germanwings-Katastrophe
"Es ist ein Zeichen, dass das Leben weitergeht"

Mit der Elena-Bleß-Stiftung erinnern Eltern an ihre bei der Germanwings-Katastrophe verstorbene Tochter. Sie wollen dem "Schrecklichen Positives entgegensetzen" und anderen Jugendlichen ermöglichen, was Elena wollte, aber nicht mehr kann: Sprachen lernen, Menschen begegnen und sich verständigen.

Von Moritz Küpper | 22.03.2019
Ein Foto zeigt in Haltern am See eine Danksagungskarte mit einem Bild von Elena Bleß.
Elena Bleß kam bei dem Flugzeugabsturz des Germanwings Fluges 4U 9525 ums Leben, ihre Eltern gründeten daraufhin eine Stiftung (dpa / Rolf Vennenbernd)
Martin Bleß sitzt, zusammen mit seiner Frau Annette, auf einem Sofa in ihrem Wohnzimmer. Er blättert durch ein paar Unterlagen. "Also, der Hintergrund war in der Zeit, dass wir unbedingt etwas tun wollten, nach diesem schrecklichen Ereignis, aber nichts tun konnten. Wir konnten Elena noch nicht mal beerdigen, weil sie noch gar nicht in Deutschland war."
Bleß, Geschäftsführer einer gemeinnützigen GmbH, hält inne. Hier, im Haus der Bleß in Haltern am See, erinnern Fotos an ihre Tochter – und auf dem Papier vor ihm stehen die Eckdaten der Elena-Bleß-Stiftung: "Das war etwas, was wir schnell machen konnten. Wo wir auch gesagt haben: Das wollen wir auch auf Dauer so machen. Es ist ja auch wichtig, dass das nicht etwas ist, wo man denkt, das hilft uns in den nächsten zwei Wochen. Also, die Möglichkeit, ständig an Elena damit zu erinnern, die Möglichkeit, anderen zu ermöglichen, was Elena nicht mehr machen konnte und auch die Zahlung sinnvoll einzusetzen, wo wir das alles miteinander verbinden konnten."
70 Schüler waren bisher durch die Stiftung im Ausland
"Förderung von Auslandspraktika für SchülerInnen und Schüleraustausch", so heißt es sachlich-schlicht auf der Website der Stiftung. Nicht einmal einen Monat nach dem Absturz gegründet, ist die Idee dahinter eindrucksvoll: "Dem Schrecklichen Positives entgegenzusetzen durch diese Stiftungsgründung und natürlich anderen zu ermöglichen, was Elena nicht mehr kann, nämlich an Austausch teilzunehmen, Sprachen zu lernen", sagt Annette Bleß, die als Gymnasiallehrerin für Französisch und Latein arbeitet.
"Sie hatte ja gerade begonnen, Spanisch zu lernen und hatte die Absicht, ein Auslandspraktikum in Spanien zu machen. Berufspraktikum. Das war sozusagen schon in trockenen Tüchern, dass sie dann dahinfahren würde, um dieses Praktikum zu machen, was dann leider nicht mehr möglich war."
Mittlerweile, knapp vier Jahre nach der Gründung, waren über 70 Schülerinnen und Schüler mit oder durch die Hilfe der Stiftung im Ausland: "Also, im letzten Jahr jetzt alleine 30, die Tendenz ist steigend, aber wir fördern auch Schüleraustausch-Vorhaben, weil es für viele Schüler so ist, wenn sei einmal den Kontakt hatten mit dem Ausland, also zum Beispiel dorthin gefahren sind, Freunde kennengelernt haben, dass dann auch die Schwelle ein Praktikum im Ausland zu machen, nicht mehr so hoch ist."
Frankreich, Spanien, Großbritannien, Italien, in der Schweiz, Polen, aber auch in der Ukraine. Die Praktikumsberichte auf der Website zeugen von eindrucksvollen Erlebnissen:
"Bevor ich nach Alicante flog, machte ich mir Gedanken, wie ich mit dem Spanisch zurecht kommen werde, da meine Spanisch-Kenntnisse nur mäßig sind. Wie sich herausstellte, gab es kleine Missverständnisse, aber insgesamt war es möglich, sich zu verständigen auch über Smalltalk hinaus. Das Einzige, was ich bereue, ist nicht noch länger dort gewesen zu sein."
"Nach einer schönen Zeit bei der Firma, die mir einen spannenden Einblick in die Branche, aber auch einen spannenden Einblick in die Arbeitswelt gegeben hat und mir außerdem sehr beim Verbessern meiner Französischkenntnisse half, ging es für mich wieder nach Hause zurück. Nur dank der Familie meines Austauschpartners, die mich für die Zeit des Praktikums aufgenommen hat, war es mir überhaupt möglich, das Praktikum in Marseille zu machen. Ein großer Dank gilt auch der Elena-Bleß Stiftung."
Finanzierung durch Zahlung der Lufthansa und Spenden
Letztendlich sind es zwei Hürden, so das Ehepaar Bleß, die häufig einem Auslandsaufenthalt entgegenstehen. Annette Bleß: "Die Schulen haben manchmal Schwierigkeiten, Schüler dazu zu motivieren, so ein Praktikum zu machen aufgrund der finanziellen Hürde. Und da wollen wir dann eben einspringen."
Martin Bleß: "Und die Praktikumsberichte auf der Internetseite sollen natürlich auch zeigen: Das kann etwas ganz Tolles sein, das kann Spaß machen."
Es gehe ihnen darum, möglichst vielen jungen Menschen die Chancen aufzuzeigen – und dann zu ermöglichen. Auch, weil es für Auslandspraktika bislang nur wenig Unterstützung gibt: Kommerzielle Anbieter sind teuer, Regionale fördern meist nur in ihrem Bereich. Die Bleß fördern europaweit – und mit viel Engagement: Der Stiftungssitz ist ihre Privat-Adresse, die Buchhaltung, der Rechenschaftsbericht, die Kommunikation rund um Stiftung, die Betreuung und Übersetzung der Website fordern viel Arbeit, genauso wie die Auswahl der Stipendiaten.
Annette Bleß steht in Haltern am See am Ufer
Annette Bleß will mit der Stiftung Schülern und Schülerinnen helfen, ins Ausland zu kommen (dpa / Rolf Vennenbernd)
Aber: Es tue gut, Gutes zu tun, so Martin Bleß: "Ich würde noch nicht mal unbedingt sagen, dass das – jetzt so bei uns, wenn wir für die Stiftung etwas tun – im Vordergrund steht, dass wir sagen: Wir tun jetzt hier etwas für Elena, sondern wir tun natürlich auch was für die Schülerinnen und Schüler, die jetzt hier damit ein Auslandberuf-Praktika machen können."
Pauschal 200 Euro Reisekostenzuschuss gibt es, hinzu kommt noch einmal eine Förderung für die Wohnung vor Ort. Finanziert durch die Zahlung der Lufthansa sowie von Spenden. Doch: Um die reine finanzielle Förderung geht es oft gar nicht. Die Praktikumsberichte sind nicht nur Erlebnis-Berichte, sondern auch Anleitung und Ideen-Steinbruch, weiß Anette Bleß: "Manchmal bekommen wir es ja auch mit, dass Leute uns schreiben, Fragen stellen zu Praktika, aber dann nachher keinen Antrag schicken, weil sie es dann einfach selber finanzieren." Und die Eltern Bleß in ihrer Sache bestätigt.
Elena lebt weiter durch die Arbeit der Stiftung
"Für Trauer gibt es kein Muster, da gibt es kein Richtig oder Falsch", sagt Sylvia Löhrmann, damals Nordrhein-Westfalens Schulministerin von den Grünen. Sie hat im Jahr 2015 viel mit den Eltern der Schulklasse aus Haltern zu tun:
"Und trotzdem hat mich natürlich – und viele andere auch – sehr berührt, dass die Eltern hier, das Ehepaar Bleß, die Kraft gefunden hat, das, was ihnen ihre Tochter bedeutet hat: Lebensfreude, Europa kennen zu lernen, Sprachen zu lernen, das zu nehmen und zu sagen: Das möchten wir, dass das weiterlebt und das möchten wir anderen jungen Menschen eröffnen."
Die Verbindung ist immer noch da: Im Sommer wird Löhrmann die Rede zum 75. Jubiläum des Joseph-Königs-Gymnasium in Haltern am See halten. Doch für Löhrmann hat diese Stiftungsgründung noch eine weitere, übergeordnete Botschaft: "Es ist ein Zeichen, dass das Leben weitergeht. Das Leben der Tochter in dieser Welt nicht, aber der Gedanke: Die Tochter lebt weiter durch die Arbeit der Stiftung. Das hat wahrscheinlich für die Eltern, die natürlich immer noch trauern, auch etwas Tröstendes vielleicht. Insofern ist es ein Zeichen von Trauer, aber eine Trauer, die anderen Menschen auch etwas gibt."
Und zwar, genau im Sinne von Elena Bleß: Sprachen lernen, Menschen begegnen und sich verständigen.