Bilderbuchtraum vom guten Araber

27.04.2011
Sophie Albers ist Journalistin und schreibt Reportagen für den "Stern" - normalerweise. Jetzt hat sie ihren ersten Roman veröffentlicht und sich darin einen explosiven Stoff vorgenommen: die Beziehung zwischer einer jungen Jüdin und einem zornigen Macho mit arabischen Wurzeln.
Früher haben Journalisten meist heimlich Romane geschrieben und sie scheu in Schubladen verschlossen. Heute sind belletristische Werke von Journalisten keine Seltenheit mehr. Nicht alle springen weit genug, um von der Reportage zum Roman zu gelangen.

Auch das literarische Debüt der Redakteurin des "Stern", Sophie Albers, wurzelt fraglos in der Reportage. Und doch freut man sich an diesem schmalen Band, der einen packt, provoziert und bewegt. Sophie Albers hat über Parallelkulturen geschrieben, über arabische Jugendliche im Berliner Bezirk Neukölln. Sie leben nebenan und doch ganz woanders.

Hanna, die bürgerliche Heldin dieses kleinen Romans, Journalistin wie ihre Autorin, soll über diese muslimischen Problemfälle schreiben -, denn nur als solche werden sie von der deutschen Umwelt wahrgenommen. Sie lernt Tamer kennen. Sohn eines Palästinensers, 25 Jahre alt, Moslem, Macho, zornig, vermutlich kriminell und meist mürrisch. Er hat eine deutsche Mutter und einem deutschen Pass. Doch er sieht aus wie ein Araber und wird als Araber gesehen. Und was zählt, ist die Wahrnehmung der anderen. Er hasst Schwule und Juden und selbständige Frauen. Als Hanna ihren Kaffee selber zahlen will, fährt er sie an "bin ich schwul oder was?"

Doch als sie ihm erzählt, dass sie Jüdin sei, ist ihm das herzlich egal. Er hasst Juden, aber nicht sie. Nein, die deutsche Geschichte interessiert ihn nicht. Warum sollte sie auch? Er ist doch kein Deutscher. Jedenfalls nicht in den Augen der Deutschen. Er ist ein Ausländer, der Berlin als seine Heimat empfindet.

Hanna versteht die Welt des Tamer nicht und bald auch nicht mehr die eigene. Die sie immer mehr aus Tamers Perspektive betrachtet. Da werden die Kollegen zu albernen Hüpfern, die Freunde zu zeitweiligen Gefährten, wird die innere Ruhelosigkeit suspekt. Tamer nimmt Freundschaft, Familie und manchmal sogar Respekt gegenüber Menschen ernst. Er ist hasserfüllt und höflich. Er ist verankert in seiner Welt der Werte und der Vorurteile.

Hanna ist entsetzt und fasziniert. Und sogar verlockt in eine kleine Unterwerfungslust. Es lauert in ihr, die sich frisch geschieden allein durch die Welt trollt, die heimliche Sehnsucht nach einem Beschützer. Je länger sie Tamer kennt, desto brennender will sie ihn retten, will ihn sich formen zum Gegenbild des Klischees. Ein lebenskluger Satz von ihm, und sie vergeht vor Freude und Hoffnung.

Das liest man erstaunt, ja bisweilen gereizt ob dieser fast pubertär naiven und aufgelösten Person mit ihrem Bilderbuchtraum vom guten Araber. Doch Albers ist klug genug, die Verwirrungen ihrer Heldin von einem väterlichen Freund ziemlich nüchtern kommentieren zu lassen.

Das ist keine große Literatur. Aber es ist ein Buch, das dringliche Fragen stellt. Ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, Antworten zu geben. Und so beginnt man selber über scheinbar unüberbrückbare kulturelle Abgründe zu grübeln, über eherne Gewissheiten und strapazierte Toleranz, über die Frage nach dem Vertrauen in die eigene Lebensweise, nach eigenen moralischen Geborgenheiten. Wenn man das Buch verlässt, ist man das Thema noch lange nicht los.

Besprochen von Gabriele von Arnim

Sophie Albers: Wunderland
Albrecht Knaus Verlag, München 2011
172 Seiten, 14,99 Euro