Bilder zwischen Religion, Gewalt und Sexualität

Von Aishe Malekshai · 30.09.2005
Die Gegensätze zwischen westlicher und islamischer Kultur stehen im Mittelpunkt einer Ausstellung der iranisch-amerikanischen Künstlerin Shirin Neshat. Im Hamburger Bahnhof in Berlin werden Filmarbeiten und Fotografien der 1957 in Iran geborenen und heute in New York lebenden Künstlerin gezeigt.
Der erste Blick fällt auf eine großformatige Schwarz-Weiß-Fotografie: Eine Hand berührt fast zärtlich die Lippen einer Frau. Auf dem Handrücken und entlang ihrer Finger sind geheimnisvolle Zeichen zu sehen, Kalligraphien und persische Schriftzüge. Sie geben einen Vers des bedeutenden persischen Dichters Rumi wieder: "Dein wirkliches Land ist da, wo Du hingehst, nicht da wo Du bist."

Eine Zeile, die die Identität der Künstlerin treffend charakterisiert, die von sich selbst sagt, sie sei eine Nomadin. Shirin Neshat lebt in New York, realisiert ihre Filme in Marokko und in der Türkei, ihre Heimat ist jedoch der Iran. Über ihr Verhältnis zur Literatur, sagt sie:

"Ich denke, dass die Poesie für die Iraner deshalb so zu ihrem Leben gehört, weil sie durch die Poesie in eine Fantasiewelt hinein treten. So entgehen sie der Realität, die in der Vergangenheit oft politisch schwierig war. Sie wurden beherrscht, lebten unter wechselnden Diktaturen und was ihre Seele rettete, war die Poesie, die Kraft ihrer Imagination. Das war so in der Vergangenheit und bestimmt auch jetzt die Gegenwart."

Mit den Schwarz-Weiß-Fotografien aus der Serie "Women of Allah" gelang Shirin Neshat der internationale Durchbruch. Auslöser war eine Reise in den Iran, 1990 - elf Jahre nach der Islamischen Revolution. Ihre Eindrücke vom Wandel des Landes hielt sie in großformatigen Aufnahmen fest. Immer wieder ist die Künstlerin selbst zu sehen oder Ausschnitte von ihr: Ihre Füße bemalt mit persischen Wörtern, zwischen den Füßen schiebt sich ein Gewehrlauf. "Women of Allah" – diese faszinierende Fotoserie passt in die islamisch-iranische Gegenwart. Die Aufnahmen sind vielschichtig und irritierend. Sie zeigen Weiblichkeit und Gewalt. Sie zeigen Poesie, die sich wie eine Schicht über die Gegenwart legt. Frauen sind bewaffnet und wirken dennoch wehrlos. Shirin Neshat reizt Gegensätze aus und wird oft genug missverstanden:

"Es gibt keinen Zweifel darin, dass der Westen den Orient, die islamische Welt nicht richtig wahrnimmt. Die Distanz ist zu groß. Selbst ich kann als jemand, der in den USA lebt, nicht einfach sagen, ach, die Frauen im Iran haben keine Probleme. () Das ist nicht wahr. Denn es gibt sehr viele Probleme und die Geduld der Frauen wird permanent auf eine harte Probe gestellt. Aber mir ist wichtig zu betonen, sie sind keine Opfer, sie sind keineswegs unterwürfig, sondern sehr, sehr stark."

Von Frauen lässt sich Shirin Neshat leiten. Eine weitere Fotografie zeigt die Künstlerin, bzw. nur einen Ausschnitt von ihr: Ein Auge, schwarzumrandet – in ihrem Augenweiß ein Gedicht der verstorbenen Lyrikerin Forough Farrokhzad: "Niemand denkt an die Blumen, niemand denkt an die Fische, niemand will glauben, dass der kleine Garten stirbt."

"Meine Arbeit ist von Anfang an von der Lyrik iranischer Schriftstellerinnen beeinflusst. Mit vielen hatte ich eine Art Liebesbeziehung. Viele dieser Frauen sind nicht nur großartige Schriftstellerinnen, sondern auch großartige Persönlichkeiten. Wie zum Beispiel, Forough Farrokhzad und andere."

Zu den anderen zählt die iranische Gegenwartsautorin Sharnoush Parsipour. Ihre Bücher sind im Iran wegen zu offener, sexueller Darstellungen verboten – doch im Ausland wird die Schriftstellerin verehrt. Auch von Shirin Neshat. Die Erzählung "Women without Men" inspirierte sie zu ihren jüngsten Filminstallationen: "Mahdokht" und "Zarin".

Shirin Neshat zeigt in losen Folgen die Metamorphose der Mahdokht: Sie sitzt im Garten ihres Bruders und strickt wie besessen für seine Kinder. Die ganze Wiese ist übersät von gelben Wollknäueln, sie spricht wirr. Ihre Haare fallen ihr ins Gesicht. Eine Frau, die verwildert, eins wird mit der Natur. Eine surreale Collage, die Shirin Neshat kreiert. Und wieder taucht das Motiv des Gartens auf.

"Ich bin sehr interessiert an der metaphorischen Bedeutung von Gärten. ()Sie sind in der persischen, islamischen Tradition ein Symbol für den Himmel, für das Paradies. Ein Ort, der einen aus dieser Welt entrückt und der spirituell ist. Politisch wird der Garten als ein Ort der Freiheit und der Unabhängigkeit verstanden. Und in meiner Vorstellung symbolisiert der Garten auch das Exil."

Sie selbst kennt nicht die Erfahrung des Exils. Shirin Neshat zog freiwillig in die USA. Ihre großbürgerliche Familie erlaubte der 17-Jährigen - 1975 – das Kunststudium in Kalifornien. Als die Revolution im Iran begann, blieb sie in Amerika.

"Exil bedeutet, man hat keine andere Wahl. Die Abwesenheit von Möglichkeiten. Ich hingegen, besitze sehr viele Möglichkeiten im Vergleich zu meinem Land. () Ich bin eine Nomadin. Ich kenne keine Grenzen. Ich kann überall hinreisen und es sind meine Gedanken, meine Ideen, die mir neue Wege weisen. Deswegen habe ich nicht das Gefühl zu einem Territorium zu gehören. Nicht mehr. Und das gibt einem eine große Freiheit."

Das Leben in New York gibt ihr – dank der großen iranischen Community nicht das Gefühl in der Fremde zu sein. Sie hat Kontakt zu iranischen Künstlern und Netzwerke entstehen dort leichter als in Teheran. Mittlerweile lebt auch die Schriftstellerin Sharnoush Parsipour in New York, Neshats kongeniale, künstlerische Mitstreiterin. Sie lässt Shirin Neshat alle Freiheiten der Interpretation. Ein Freiraum, den die 48-jährige Künstlerin zu würdigen weiß. Die Filminstallation Zarin, ist Teil 2 des großen Projektes "Women without Men".

Zarinkollah, eine Prostituierte, arbeitet im Bordell und erkennt eines Tages, dass sie die Gesichter der Freier nicht mehr wahrnehmen kann. Die Männer sind gesichtslos, maskenhaft und bedrohlich.

"Zarin ist eine Frau, die mit einem Bein auf dem Boden steht, mit dem anderen in der Luft ist. Ein Charakter, der auf seine Art sehr verkapselt ist. Eine Frau, die sehr unter den gesellschaftlichen Tabus leidet. Die sich schuldig fühlt, als Prostituierte stigmatisiert ist. Sie ist körperlich gestört, sie ist magersüchtig und sie ist besessen in ihrem Wunsch nach Erlösung. Nach Vergebung durch Gott, deshalb sucht sie die Moschee auf und versucht sich im Hamam von ihren Sünden zu reinigen."

Weder in "Mahdokht" noch in "Zarin" wertet Shirin Neshat diese extremen Frauenschicksale, die extrem in ihren Ängsten sind, extrem in ihrer Verletztheit und in ihrem Selbsthass. Jeder Betrachter soll sich ein eigenes Bild von dem Gesehenen machen, sagt die Künstlerin. Und auf die Gefahr, dass ihre Filminstallationen und das Werk von Sharnoush Parsipour ein feministisches Etikett erhalten, erwidert sie:

"Sharnoush denkt - ebenso wie ich - dass sie keine Feministin ist. (lacht) Und wir beide meinen, dass man nicht Feministin sein muss, wenn man sich mit Frauen beschäftigt. Ich selbst weiß nicht, warum ich so angezogen von ihnen bin. Ich weiß nur, dass ich näher an den Emotionen von Frauen bin. Besonders, wenn sie in Schwierigkeiten stecken. Ich seh mich selbst als eine Frau, die immer in Schwierigkeiten steckt. Deswegen identifiziere ich mich so eng mit Sharnoush Parsipur und Foroukh Farrokhzad, weil sie beide Grenzgängerinnen sind, verrückt und immer Probleme haben. Sie hadern mit der Gesellschaft, mit sich selbst – da ist etwas sehr Tragisches in ihnen und das verbindet mich auch mit ihnen."

Seit drei Jahren arbeitet Shirin Neshat an "Women without Men". Wann die geplante 90-minütige Filmversion realisiert werden kann – ist völlig offen. Noch fehlen die Gelder. Die zierliche Künstlerin wirkt dennoch äußerst zuversichtlich, was die Umsetzung ihrer weiteren Ideen und Projekte angeht.

Die Ausstellung ist vom 1. Oktober bis zum 4. Dezember 2005 im Hamburger Bahnhof in Berlin zu sehen.