Bier mit Glasscherben, Heilerde mit Dioxin

Von Udo Pollmer · 03.04.2011
Natürlich sind Skandale in den letzten Jahren häufiger geworden – aber nur deshalb, weil sie mehr Aufmerksamkeit gefunden haben. Vor 20 Jahren wurschtelten die Untersuchungsämter noch vor sich hin und vieles von dem, was heute beanstandet wird, verspeisten die Bürger bei gutem Appetit.
Natürlich sind Skandale in den letzten Jahren häufiger geworden – aber nur deshalb, weil sie mehr Aufmerksamkeit gefunden haben. Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, als die Redaktionen die haarsträubendsten Missbräuche mit dem Hinweis abschmetterten, man dürfe doch den Verbraucher nicht verunsichern. Das Thema BSE beispielsweise, das die Fachwelt und die britischen Medien schon vor 20 Jahren umtrieb, wurde mit der Bemerkung quittiert: "Was wollen Sie denn mit ihren blöden Kühen aus England? Glauben Sie wirklich, das interessiert hier irgendein Schwein?"

Nun, die Zeiten haben sich geändert und immer wieder halten ein paar Rindviecher die Nation in Atem. Nicht zuletzt wegen der BSE-Krise hat die EU ein Schnellwarnsystem eingerichtet. Darin kann jeder Bürger die Skandale des Tages einsehen - nämlich die Meldungen der einzelnen Mitgliedsstaaten, falls sie in Lebensmitteln etwas gefunden haben, das nach geltendem Recht ein gesundheitliches Problem darstellt. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit hat die Meldungen vom Februar aufgelistet. Insgesamt etwa 500 – wenn man die Dopplungen weglässt, bleiben immer noch 200 Skandale und Skandälchen. Zehn pro Werktag.

Da schauen wir doch mal rein: Anzubieten hätte ich britisches Bier mit Glasscherben drin, deutsche Heilerde mit Dioxin, Noro-Viren in Himbeeren aus Serbien, Bazillen in deutschem Geflügeldöner und in irischem Rinderhacksteaks, Hepatitis-A in Datteln aus Algerien, Cadmium in Pferdefleisch aus Polen, die Pferde wurden allerdings erst in Italien geschlachtet, Heringswürmer in Tiefkühlfisch aus Marokko, Mittel gegen Würmer in vietnamesischen Pangasiusfilets, Chloramphenicol in indischem Tintenfisch, Quecksilber in chinesischen Karnickeln und spanischem Schwertfisch, Pestizide in tschechischem Blütenhonig, aber auch in Bio-Linsen, illegale Einfuhr von Schwalbennesterextrakt, radioaktiv bestrahltes Tofu, polnische Schnapsgläser, die zu viel Blei abgeben usw, usf.

Dazu kommen krumme Gesundheitszertifikate, verbotene Färbemittel, hin und wieder mal ein nicht deklarierter Konservierungsstoff, ein Sack Gen-Reis, Motten in einer Lieferung Feigen. Am häufigsten waren Beanstandungen wegen Schimmelgiften. Das sind neben den Nahrungsergänzungsmitteln, bei denen in regelmäßigen Abständen illegale Zutaten angetroffen werden wie Appetitzügler oder Viagra, die wohl brisantesten Funde. Doch davon hört man gewöhnlich nichts. Es handelt sich wohlgemerkt nicht um gefühlte Risiken, mit denen unsere Verbraucherorganisationen gerne hausieren gehen. Hier gibt es tatsächlich Handlungsbedarf. Aber irgendwie sind hochtoxische Schimmelgifte kein Thema.

Bei globalisierten Märkten bedarf es einer internationalen Zusammenarbeit. Vor 20 Jahren wurschtelten die Untersuchungsämter noch vor sich hin und vieles von dem, was heute beanstandet wird, verspeisten die Bürger bei gutem Appetit. Insofern hat sich der Schutz des Verbrauchers schon verbessert. Aber nach wie vor werden viele Risiken nicht erkannt – nicht weil das weitmaschige Netz nur Stichproben erlaubt, auch Stichproben tun ihre Wirkung. Sondern vor allem, weil wir viele Risiken gar nicht kennen. Das betrifft nicht nur eine große Zahl von Chemikalien, für die Analysenmethoden fehlen, sondern gleichermaßen brisante Naturstoffe, da gibt es einige, die schon im Ultraspurenbereich ziemlich giftig sind. Dies kann die Überwachung nicht leisten, weil das Tagesgeschäft kaum Zeit lässt, neue Methoden zu entwickeln und abzusichern.

Dennoch, der Fortschritt ist enorm – in meinem Studium habe ich vor über 30 Jahren noch gelernt: "Schadstoffe sind in Deutschland verboten – die brauchen Sie nicht lernen, gibt’s nicht mehr." So ändern sich die Zeiten. Mahlzeit!

Literatur:
Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit: Schnellwarnungen RASFF: Lebensmittelsicherheit / Stand: Februar 2011 gesamt