Biedermann & Bomben - Was tun gegen Neonazis?

Moderation: Dieter Kassel · 26.11.2011
Wie konnten Rechtsterroristen mehr als ein Jahrzehnt untertauchen und scheinbar unbehelligt zehn Morde und zahllose andere Straftaten begehen? Wie viele Mittäter hatte das Nazi-Trio? Welche Rolle spielte der Verfassungsschutz? Auch zwei Wochen nach der Enttarnung der "Zwickauer Zelle" gibt es mehr Fragen als Antworten.
Der Politologe Hajo Funke, warnt schon seit Langem vor der Radikalisierung der Szene:

"Der Rechtsextremismus muss erst einmal begriffen werden als neonazistisch und gewalttätig, dass er sich geheim organisiert. Das ist etwas ganz anderes als die NPD von 1964, als die DVU oder die Republikaner."

Der emeritierte Politikwissenschaftler von der Freien Universität Berlin attestiert Politikern und Verfassungsschutz:

"Eine systematische und extreme Verharmlosung der Rechtsextremen. Dass er sehr gewalttätig ist in Europa, dessen war man sich gewahr. Aber noch vor zehn Jahren hat der damalige sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf gesagt, er kenne keinen Rechtsextremismus in seinem Bundesland. Das ist die glatte Leugnung der politischen Realität."

Es sei an der Zeit für einen

"Aufstand der Zuständigen. Wichtig ist die unmittelbare Alltagsintervention mit allen Mitteln, die rechtlich möglich sind, die repressive Bekämpfung der nächsten Morde. Diese elende Verharmlosung muss beendet werden. Und wichtig ist, dass die Kids Angebote finden und das ganz massiv."

Günther Hoffmann engagiert sich seit 1998 in Anklam in Mecklenburg-Vorpommern gegen Rechtsextremismus. Das Bundesland gilt unter Neonazis als "Modellregion" und "Leuchtturm". Die NPD sitzt im Landtag, in manchen Kommunen hat sie bei der letzten Wahl über 30 Prozent der Stimmen geholt. Die Neonazis – so Hoffmann - geben sich als "Kümmerer", engagieren sich in Vereinen, bei der Feuerwehr, halten Hartz-IV-Sprechstunden ab. Vor allem aber machen sie Jugendarbeit - gezielt dort, wo sich die Kommunen zurückgezogen haben.

"Wenn sie sich hier die Ausbildungssituation anschauen: Die jungen Leute haben keine Chance. Das ist so demotivierend, was mit denen abgezogen wird! Was haben wir hier für eine Klientel? Junge Leute, die eine Verwaltungsausbildung machen oder eine Handwerkerlehre. Und stellen Sie sich vor, wenn die zu einer Veranstaltung der Jusos gehen. Das machen die einmal und nie wieder. Weil die Parteien fast ausschließlich auf das universitäre Umfeld ausgerichtet sind. Die haben kein Angebot im ländlichen Bereich, geschweige denn, dass sie die Sprache der Jugendlichen sprechen. Und das ist der Vorteil der NPD. Die Leute kommen aus den Dörfern, die sprechen die Sprache, verstehen die Probleme."

Hoffmann kennt aber auch positive Beispiele:

"Wir haben die Stadt Greifswald. Dort ist die gesamte Bürgerschaft seit 2000 bestens organisiert, und an der Spitze steht ein CDU-Bürgermeister. Wenn dort in irgendeiner Form Aktionen von Neonazis aufkommen, steht die ganze städtische Elite dagegen auf. Sie haben sich entschieden, Gesicht zu zeigen, sie haben bürgerschaftliches Engagement, einen Präventionsrat, wo kontinuierlich Auseinandersetzungen mit dem Thema stattfindet."

Von einem NPD-Verbot hält er nichts:

"Dies würde zu einer deutlichen Radikalisierung führen. Zu dem aktuellen Zeitpunkt ist das auch überhaupt nicht möglich. Mal abgesehen, dass wir genug Beispiele haben, was aus solchen Verboten erwachsen kann."

Damit seien die Menschen nicht abgeschafft, nicht das rechte Denken. Das alles bleibe; und wandere nur ins Geheime ab.

"Was tun gegen Neonazis?"
Darüber diskutiert Dieter Kassel heute mit Hajo Funke und Günther Hoffmann. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 00800 - 2254 2254, per E-Mail unter gespraech@dradio.de oder auf unserer Facebook-Seite.

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