Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Kleve
Eine Stadt verbannt das Kleinstgeld

Die Produktionskosten der Ein-Cent-Münze liegen höher als ihr Nennwert. Finnland, die Niederlande und Irland haben die Ausgabe des Kleinstgeldes deshalb bereits eingestellt. Auch die EU-Kommission prüft eine flächendeckende Abschaffung im Euro-Raum. Eine kleine Stadt an der holländischen Grenze könnte den Stein jetzt auch in Deutschland ins Rollen bringen: Kleve.

Von Fabian Trau | 30.03.2016
    Ein- und Zwei-Centmünzen in einer Hand.
    Klever Händler wollen auf Ein- und Zwei-Centmünzen verzichten. (dpa-Bildfunk / Rolf Vennenbernd)
    Es ist Hochbetrieb in der Bäckerei Derks an diesem Vormittag. Vier Verkäuferinnen wuseln hinter der Theke. Allerhand Torten, Teilchen und Brötchen gibt es hier - die Spezialität des Hauses ist die Marzipantorte. Während ein grauhaariger Mann müde seinen Kaffee schlürft und die "Rheinische Post" durchblättert, kommt ein junges Paar durch die Tür. Die beiden haben es eilig.
    "Wir müssen in fünf Minuten eine Wohnung besichtigen!"
    Verkäuferin: "Was darf es für sie sein?"
    "Ich hätte gerne ein Croissant, ein Schokocroissant bitte. Und was möchtest du? Ähhhm ich hätte gerne ein Milchbrötchen."
    Das Schokocroissant kostet in der Bäckerei Derks 1,15 Euro- ein Milchbrötchen 58 Cent. Macht zusammen 1,73 - eigentlich. Aber: Verkäuferin Petra Sekarski hakt nach:
    "Darf ich bei Ihnen runden?
    "Ja"
    "Dann macht es bei Ihnen 1,75"
    "Dankeschön"
    "Bitteschön."
    Schnell sind die beiden wieder draußen. Verkäuferin Petra Sekarski freut sich derweil über die neue Wechselgeldpraxis ihrer Bäckerei. Seit drei Wochen wird dort, wie in vielen anderen Läden in Kleve, nur noch in fünf oder Zehn- Cent-Münzen herausgegeben. Je nachdem, ob die letzte Ziffer der Endsumme näher an der Fünf oder 10 Cent-Münze ist, wird auf- oder abgerundet.
    Petra Sekarski: "Ja, wir fragen den Kunden halt: Darf ich runden? Dann sagen die meisten ja. In der Kasse gleicht sich das aus, und bei dem Kunden gleicht sich das auch aus. Man muss dem Kunden die Angst erst mal nehmen. Die haben echt Angst, die verlieren Geld. Das ist gar nicht so. Ich meine die Holländer machen das seit elf Jahren. Die kennen das gar nicht anders. Die lassen uns das Geld auch liegen."
    "Das Klimpergeld muss weg"
    "Ein Marzipankuchen bitte."
    Die Grenze zu den Niederlanden ist nur 20 Autominuten entfernt. Jeder dritte Kunde hier kommt aus dem Nachbarland, so, wie diese Kundin aus Utrecht, die mit kleinem Wechselgeld nichts anfangen kann:
    "Wir sind das schon gewöhnt in den Niederlanden. Wir zahlen so oder so 30 oder 35 oder 40. Auch wenn wir jetzt zwei oder drei Cent haben in einem Geschäft, dann nehmen wir das nicht. Wir können nichts damit anfangen."
    Ein kleines Schildchen an der Kasse informiert die Kunden über die neue Politik des Auf- und Abrundens - auch auf Niederländisch:
    "Wir machen es jetzt auch wie ihr", steht da. Adreanus Boot aus der Nähe von Eindhoven findet das gut:
    "Ich bin damit einverstanden, fünf Cent ist prima."
    Aber nicht nur die niederländischen Kunden sind begeistert davon, dass sie nicht mehr mit den kleinsten Centmünzen zahlen müssen:
    "Ich find dat gut"
    "Das Klimpergeld muss weg"
    Besonders freut sich der nächste Kunde über die gerundeten Geldbeträge. Und das, obwohl er beim Bäcker gar nichts davon hat.
    "Ich muss sagen, ich zahle immer mit Karte, aber ich bin ein großer Förderer des Rundens."
    Wilfried Röth hat gute Gründe, warum er das Auf- und Abrunden an der Ladenkasse unterstützt. Er ist Vorstandsmitglied der Sparkasse Kleve – und der bereitet das Kleinstgeld nur Ärger:
    "Ja, es ist ohne Zweifel arbeits-, aber auch kostenmäßig für uns eine große Belastung. Denn früher konnten wir das Geld zur Deutschen Bundesbank hier in Kleve bringen, die hatte ein eigene Filiale. Heute müssen wir das Geld bis ins Ruhrgebiet transportieren. Wir sind froh über jede Münze, die uns nicht erreicht!"
    Händlerverband befürwortet den Verzicht aufs Kleinstgeld
    Derweil rauschen im engen Keller der Sparkasse noch die letzten Ein- und Zweicentmünzen vom gestrigen Tag durch eine waschmaschinengroße Geldzählmaschine. Monatlich werden in der Klever Sparkasse über eine Million Münzen eingezahlt. Das sind knapp sechs Tonnen Metall. Jede dritte eingezahlte Münze ist dabei eine Ein- oder Zweicentmünze. Das verursacht Kosten, die die Klever Sparkasse seit zwei Monaten auch auf ihre Kunden abwälzt.
    Fünf Minuten läuft man von der Sparkasse bis zur Großen Straße – der Einkaufsstraße von Kleve. Modegeschäfte, ein Dekoladen eine Buchhandlung: Wer shoppen will, der geht hier hin. Ute Marks ist die Initiatorin des Pilotprojektes. Genau hier versucht sie die Händler mit ins Boot zu holen.
    "Also wir haben hier vorne zum Beispiel das Bekleidungsgeschäft Alexander Fischer. Aber auch hier Mensing, eigentlich eine kleinere Kette – die haben jetzt sogar eine Rundungsfunktion. Dann ein Stück weiter ein holländischer Käseladen."
    Ute Marks könnte noch mehr Läden aufzählen. Sie ist die Geschäftsführerin des Händlerverbandes Citynetzwerk. 100 Händler konnte sie bereits gewinnen. Sie freut sich über jeden, den sie überzeugen kann.
    "Also wir sind im letzten Herbst relativ unvoreingenommen daran gegangen, nachdem die Berichterstattung vermehrt darauf hingewiesen hat, dass die Banken vermehrt bei dem Umgang mit Kleingeld Gebühren erheben. Das wird dann relativ uneffektiv, wenn ich für einen Cent einen Cent Gebühr zahlen muss. Und dann haben wir im Rahmen einer Zusammenkunft der Händler gesagt: Sollen wir nicht runden? So wie die das in den Niederlanden auch schon machen. Wir sind ja eine grenznahe Stadt, das heißt wir kennen das und unsere holländischen Kunden kennen das. Dann kam eine positive Resonanz und dann dachten wir uns, okay dann setzen wir das um."
    Turnschlappen für 14,99 Euro und Tennisbälle für 8,99. In der großen Sport-Kette nebenan könnte man fast jeden Preis runden. Der Laden arbeitet mit einer psychologischen Preisgestaltung – auch in der Filiale in Kleve. Der Geschäftsführer Christoph Dammers war anfangs skeptisch, als Ute Marks auf ihn zukam. Dann ließ er sich doch überzeugen:
    "Wir haben unsere Kunden zu der Einstellung zu dem Thema gefragt und aufgrund der positiven Resonanz haben wir uns gedacht okay, wir haben keine Sorge mehr, wir machen mit."
    Und wie kam das Runden an der Kasse in den ersten Wochen an?
    "Also wir haben jetzt in den ersten drei Wochen circa 600 Barzahlungen hinter uns und hatten ganze zwei Kunden, die auf ihr centgenaues Rückgeld bestanden haben. Wir sind dadurch, dass das eine rein freiwillige Aktion ist, da völlig entspannt. Wir haben die Centmünzen unter der Theke. Wer sein genaues Rückgeld haben möchte, der bekommt das von uns. "
    "… und hoffen auch damit, Kleve in die Geschichtsbücher zu bringen"
    Noch ist es eine freiwillige Aktion und das wird es auch vorerst bleiben. Aber auch wenn es in Deutschland noch keine parlamentarische Initiative zur Abschaffung der Ein- und Zwei-Cent-Münzen gibt: Viele Gemeinden blicken gespannt auf das Projekt in Kleve. Die finanzpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Antje Tilmann hat sich auch schon für eine Abschaffung ausgesprochen. Der Geschäftsleiter der Sportkette Dammers zeigt sich optimistisch. Er möchte mit diesem deutschlandweiten Pilotprojekt einen Stein ins Rollen zu bringen.
    "Wir glauben schon, dass wir einen Gedankenanstoß bringen können, um dann, wenn die Zeit reif ist, auch sagen zu können: 'Okay wir haben das früh gemerkt und waren auch dabei und hoffen auch damit, Kleve in die Geschichtsbücher zu bringen.'"
    Die Stadt Kleve möchte mit ihrem Pilotprojekt in die Geschichte eingehen. Und vielleicht schafft sie das auch. Vorbild dabei ist die niederländische Kleinstadt Woerden. Dort haben die Einzelhändler vor zwölf Jahren als erste begonnen, die Endbeträge zu runden. Zwei Monate später hat die Niederlande die Ausgabe der Ein- und Zwei-Cent-Münzen eingestellt.