Bibelersatz für Fantasy-Fans

Rezensiert von Kirsten Dietrich · 07.12.2005
Wenn dieser Tage die Verfilmung der "Chroniken von Narnia" in die Kinos kommt, dann freuen sich Fantasy-Fans wie christliche Fundamentalisten gleichermaßen. Die ganze Geschichte von Narnia ist gespickt mit Analogien zur christlichen Heilsgeschichte. Markus Mühling untersucht in "Gott und die Welt in Narnia" die Parallelen zwischen dem Fantasy-Stoff und der Bibel.
Das zauberhafte Land Narnia kennen englische Kinder wahrscheinlich besser als deutsche, aber das soll sich ändern. Narnia ist die Kreation des britischen Professors und Autors C.S. Lewis. Anfang der 50er Jahre veröffentlichte er in sieben Bänden die "Chroniken von Narnia". Der erste und sicher auch bekannteste Band, "Der König von Narnia", ist jetzt verfilmt, neu ins Deutsche übersetzt und gleich auch noch theologisch ausgelegt worden.

Vier Geschwister werden - es ist die Zeit der deutschen Luftangriffe auf London im Zweiten Weltkrieg - evakuiert aufs Land, zu einem exzentrischen Professor in ein reichlich exzentrisches Haus, voller geheimnisvoller Winkel und ungenutzter Zimmer.

In einem Zimmer entdeckt die Jüngste, Lucy, einen Schrank. Durch den kommt sie unversehens ins Land Narnia. Den Bericht von einem Land, in dem immer Winter ist, und Nachmittagstee mit einem Faun glauben die Geschwister natürlich nicht. Aber trotzdem stolpern schließlich alle vier in diese magische Welt und erleben dort Abenteuer. Denn es ist etwas faul im Lande Narnia: Es herrscht schon seit 100 Jahren "immer Winter, niemals Weihnachten", wie alle guten Wesen klagen. Das ist so, weil das ganze Land unter dem Fluch der "Weißen Hexe" liegt.

Die Kinder werden hineingezogen in den Kampf um Narnia, sie sind sogar elementarer Teil davon. Denn es gibt eine Prophezeiung: Wenn zwei Adamssöhne und zwei Evastöchter auf dem Thron sitzen, dann endet die Herrschaft Weiße Hexe.

Unglücklicherweise kämpfen die Kinder auf verschiedenen Seiten: drei Geschwister auf der Seite der "Guten", repräsentiert vom mächtigen weisen Löwen Aslan; der zweitjüngste Edmund aber gerät in Fänge der Weißen Hexe. Befreit werden daraus kann er nur von Aslan. Aber durch einen Kampf, der etwas völlig anderes ist als ein gewaltsamer Kampf zwischen Heeren. Aslan opfert sich für Edmund - und befreit in seiner Auferstehung nicht nur das Kind, sondern das ganze Land Narnia.

Die ganze Geschichte von Narnia ist gespickt mit Analogien zur christlichen Heilsgeschichte. Aslan repräsentiert Christus - er ist gleichzeitig gut und schrecklich, er erzeugt Ehrfucht und Freude, er ist eine göttliche Figur. Und er geht den Weg Christi zum Kreuz - auch wenn das in Aslans Fall ein steinerner Opfertisch und das Messer der Weißen Hexe ist.

Die Weiße Hexe auf der anderen Seite ist nicht einfach nur böse - sie ist Aslans Gegenspielerin im Heilsgeschehen. Denn um den Verräter Edmund auszulösen, der rechtmäßig ihr zustehen würde, lässt Aslan sich von ihr auf dem Steinaltar töten. Nur um dann im Moment des größten Triumphes der Hexe zurückzukommen, als Auferstandener, um das Blatt völlig zu wenden.

Vor allem diese Szene, Aslan, der sich opfert und aufersteht, ist parallel zur biblischen Passions- und Ostergeschichte geschrieben. Allerdings fällt nirgendwo das Wort Christus. Lewis verwendet auch keine aufgeladenen Begriffe wie Sünde oder Erlösung, auch wenn er die Phänomene beschreibt. Der einzige genuin theologische Begriff ist der des Opfers.

Das Buch "Gott und die Welt in Narnia" von Markus Mühling stößt deswegen genau in eine Lücke. Mühling hat sich zur Aufgabe gemacht, noch einmal das Buch "Der König von Narnia" durchzugehen und alle Hinweise aufzulisten, nach denen man sich die tiefere, christliche Sinnebene dieses Fantasy-Märchens erschließen kann.

Mühling ist evangelischer Theologe, er beschäftigt sich mit systematischer Theologie und Philosophie, das merkt man dem Buch durchaus an. Er schafft es aber doch recht mühelos, das Konzept von Schöpfung oder die verschiedenen Begriffe von Sünde, die in Lewis‘ Text am Werk sind, darzustellen, und zwar komprimiert und bündig.

Denn dem "König von Narnia" merkt man doch an, dass er vor 50 Jahren von einem Gelehrten geschrieben wurde, der sich in professoralen Literatenkreisen bewegte und vor seinen akademischen Kollegen seinen neu gefundenen christlichen Glauben verteidigen wollte. Deswegen funktioniert Lewis’ Buch unerbittlich wie die christliche Heilslehre, aber eben verschlüsselt auf hohem Niveau.

Wenn in Narnia der Weihnachtsmann auftaucht, dann kann man diese Figur auch ohne Unterstützung einordnen. Aber wenn zum Beispiel die Kinder schon von ganz tiefen Gefühlen bewegt werden, als sie den Namen Aslan nur hören, obwohl sie da noch gar nicht wissen, dass es ein Löwe ist, von dem Rettung erwartet wird - da die Parallele zum Beispiel zu den Wundergeschichten des Neuen Testaments zu ziehen, das ist schon hilfreich.

Besonders schön funktioniert das zum Beispiel, wenn Mühling das Konzept der Trinität aufdeckt, auch in den Grenzen, die Lewis gesetzt hat. Ein sprechender Biber erzählt den Kindern, Aslan sei der Sohn des großen Königs jenseits des Meeres. Das ist - sagt Mühling - natürlich Gott-Vater. Und das ist wichtig, denn dann versteht man auch, warum Aslan nicht einfach der Weißen Hexe den Kopf zurechtsetzt, sondern bereit ist, innerhalb der Gesetze der Schöpfung zu funktionieren, selbst wenn das den eigenen Tod bedeutet. Die Figur des heiligen Geistes fehlt allerdings bei Lewis, auch darauf weist Mühling hin.

Oder die Weiße Hexe: Da wird ganz nebenbei erwähnt, sie sei die Tochter von Lilith und deswegen nicht wirklich menschlich. Da ist es schon nützlich, zu hören, dass Lilith nach Überlieferung des Talmuds die erste Frau Adams war, aber zu aufsässig und irgendwie von dämonischer Qualität. (Dafür ist sie übrigens von der feministischen Theologie sehr geschätzt worden.)

Auch der Vergleich zwischen der Hexe als Henkerin im Auftrag der Schöpfungsordnung in Narnia und dem Teufel in der alttestamentlichen Hiob-Erzählung, der im Auftrag Gottes den Glauben Hiobs prüfen darf, hilft dabei, die Facetten der Geschichte zu verstehen, die über reines Fantasy-Spektakel hinausgehen.

Manchmal, auch das sei erwähnt, führen Parallelen allerdings auch ins Nichts. So kommt irgendwann, als Vorbote von Frühling und messianischer Zeit, eben der Weihnachtsmann und schenkt den Kindern sehr passende und nützliche Geschenke. Mühling nutzt das, um kurz die Lehre von den Charismen, der Verschiedenheit der göttlichen Gaben, zu skizzieren, die der Apostel Paulus im 1. Korintherbrief entwickelt. Mühling sieht auch hier die Wunderkraft Aslans am Werk, der die Kinder durch seine Schöpfungsmittlerschaft so gut kennt, dass er ihnen genau das schenkt, was sie brauchen.

Man kann aber auch einfach sagen: im Fantasyroman bekommen die Handelnden immer das geschenkt, was sie brauchen. Wenn der Held eine ewige Flamme erhält, dann kann man sicher sein: sein Weg führt in eine Höhle. Wenn, wie in Narnia, Lucy einen mächtigen Heiltrank bekommt, dann ist - nach den literarischen Gesetzen des Genres - klar, dass sie im dramatischen Finale jemanden nur durch Einsatz dieses Trankes retten kann. Da muss man nicht Schöpfungsmittlerschaft und Charismen bemühen.

Manchmal vergisst Mühling, dass es eben ein Roman ist, den er untersucht, genauer: Fantasy-Roman, und damit Genre-Literatur, die eigene mächtige Gesetzmäßigkeiten hat, neben der wirkmächtigen Vorlage des christlichen Glaubens des Autors. Dennoch ist "Gott und die Welt in Narnia" ein sehr hilfreiches Buch. Denn es ermöglicht ein genaueres Verständnis und macht "Der König von Narnia" zu mehr als eben noch einem Fantasybuch. Dazu ist das Buch auch erfreulich sorgfältig gemacht, mit Register, Anmerkungen, Glossar - und es ist nicht länger als sein Quellentext.


C.S. Lewis: Der König von Narnia
Neuübersetzung, Ueberreuther Verlag September 2005,
162 S., 12,95 Euro

Markus Mühling: Gott und die Welt in Narnia. Eine theologische Orientierung
Vandenhoeck & Ruprecht 2005,
147 S., 12,90 Euro