Bi Feiyu: "Sehende Hände"

Die Liebe zwischen blinden Masseuren

Blinde und sehbehinderte Masseure in New Taipei City, Taiwan
Der blinde Wang Daifu und die blinde Masseurin Xiao Kong heuern im Massagesalon eines alten Freundes an. © picture alliance / dpa / David Chang
Von Katharina Borchardt · 19.05.2016
Der feinfühlige Roman "Sehende Hände" spielt in China kurz nach der Jahrtausendwende. Weil die Menschen gestresst sind, haben die blinden Masseure viel zu tun. Autor Bi Feiyu beschreibt die Lebenswelt der Blinden und ihre Talente zu feinem Hören, Riechen und Tasten.
China kurz nach der Jahrtausendwende: Die Geschäfte florieren, vor allem in einer Sonderwirtschaftszone wie Shenzhen, in der Bi Feiyus neuer Roman "Sehende Hände" seinen Ausgang nimmt. Die Schlote rauchen, das Geld mehrt sich, die Aktien steigen.
Doch die neue Ökonomie stresst und schlägt sich in Form vielfältiger Verspannungen nieder – deshalb haben Masseure in der Stadt viel zu tun.

Wenn die erotischen Energien nicht mehr zirkulieren

Auch der blinde Wang Daifu massiert sich ein hübsches Sümmchen zusammen, bevor er mit seiner Freundin, der ebenfalls blinden Masseurin Xiao Kong, in seine Heimatstadt Nanjing zurückkehrt. Dort heuern sie im Tuina-Massagesalon eines alten Freundes an, werden aber zu ihrem Verdruss in verschiedenen Wohnheimen untergebracht.
Die erotischen Energien zwischen den beiden können nicht mehr zirkulieren; so kommt es zu Frust und manch unschönem Streit. Auch die Beziehungen zu ihren Kollegen und die der Kollegen untereinander verlaufen nicht immer ganz unfallfrei.
Xiao Ma etwa liebt – ohne Aussicht auf Erfüllung – die eindeutig liierte Xiao Kong, während sich der Chef des Salons in die schöne Du Hong verliebt, welche allerdings panisch auf Männer reagiert.
Eine Empfangsdame sieht in Du Hong bereits die neue Chefin, weshalb sie sich mit ihr anfreundet, um ihren Arbeitsplatz dauerhaft zu sichern.

Dramatisches Finale

Dies sind nur einige der Geschichten, die Bi Feiyu in seinem neuen Roman erzählt, und die auf ein dramatisches Finale zusteuern. Von einzelnen Figuren oder auch Figurenpaaren berichtet Bi in handlichen Kapiteln von etwa 20 Seiten, deren Geschichten aber so ineinandergreifen, dass ein Roman daraus entsteht.
Dabei fühlt sich der Autor intensiv in die Lebenswelt der Blinden ein, schildert ihre Schwierigkeiten, aber auch ihre Talente zu sehr feinem Hören, Riechen und Tasten, worauf sie auch ihre Beziehungen untereinander gründen.
"Sehende Hände" ist ein feinfühliger und stellenweise witziger Roman, dessen psychologische Genauigkeit sich durch die eloquente und stilsichere Übersetzung von Marc Hermann hervorragend vermittelt.
Nur gelegentlich will Bi Feiyu dem Leser etwas zu viel erläutern und verliert sich in gutgemeinten Phrasen darüber, was Blinde im Allgemeinen denken, fühlen und wollen. Dabei kann man Blinde ebenso wenig in einen Topf werfen wie Sehende.
Wenn man jedoch bedenkt, dass Behinderte in China noch immer wenig integriert werden, wie es unlängst der blinde Anwalt Chen Guangcheng in seiner Autobiografie beschrieben hat – auch ihm blieb zunächst nichts Anderes übrig, als Masseur zu werden –, nimmt man den aufklärerischen Impetus dieses Romans mit größerer Gelassenheit hin.

Massieren nach der Tradition Chinesischer Medizin

Reizvoll ist darüber hinaus der Ort, an dem die Blinden arbeiten, und Bi Feiyu versäumt es nicht, sowohl die Abläufe im Massagezentrum als auch die Techniken der zur Traditionellen Chinesischen Medizin gehörenden Tuina-Massage zu beschreiben.
Schon seinen Kurzroman "Die Mondgöttin" siedelte er im Umfeld der traditionellen Peking-Oper an. Dabei steht aber nie in Frage, dass seine Geschichten ganz und gar in der Jetztzeit spielen und diese auch kritisch kommentieren.

Bi Feiyu: "Sehende Hände"
Aus dem Chinesischen von Marc Hermann
Blessing Verlag, München 2016, 414 Seiten, 22,99 Euro

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