Beziehungsfilm und Psychodrama

Vorgestellt von Hans-Ulrich Pönack · 02.05.2007
Dem Regisseur Ralf Westhoff ist in seinem Beziehungsfilm "Shoppen" eine Art köstlicher Spagat zwischen Woody Allen und "Harry & Sally" gelungen. "Mädchen, das die Seiten umblättert" ist ein französisches Psycho-Drama, in dem eine junge Frau wegen einer früheren Demütigung einen Rachefeldzug gegen eine ältere Pianistin begeht. In "Spider-Man 3" ist Tobey Maguire erneut ein überzeugender Titelheld.
"Shoppen"
Deutschland 2006, Regie: Ralf Westhoff, Darsteller: Sebastian Weber, Anna Böger, Felix Hellmann, Katharina Schubert, ohne Alterbeschränkung

"Shoppen " vom Münchner Debütanten Ralf Westhoff. Westhoff, Jahrgang '69, Studium der Wirtschaftswissenschaften, freier Radioreporter, Nachrichtenredakteur; Autor, preisgekrönter Kurzfilmer (u. a. Friedrich-Wilhelm-Murnau-Preis, Kurzfilm-Förderpreis beim Max-Ophüls-Festival und Preis für den "besten Kurzspielfilm" beim Internationalen Filmfestival von Melbourne für "Der Plan des Herrn Thomaschek"/2002).

In 20 Tagen entstand im Juni 2006 - während der Fußball-WM - sein Debüt-Spielfilm, der seine Uraufführung bei den 40. Hofer Filmtagen im letzten Oktober hatte, wo er zum Publikumsfavoriten avancierte. Thema: ach Gott, die Liebe. Die wahre. Große. Ewige. Die einzigartige. Beziehungsweise die Suche danach. Nach dem Partner. Nach dem Traumprinzen/der Traumprinzessin. Nach schließlich dem Pendant.

Wer will schon einsam sein/bleiben? Aber: Wo/wie/wen oder was suchen/finden/festhalten? Mitten in der Single-Großstadt, München. Zudem: Die Konkurrenz ist enorm. Hört sich thematisch ziemlich uncool, fade wie natürlich und vor allem deutsch-filmisch bekannt/blöde/verbraucht/verbrannt an (wie "Suche impotenten Mann fürs Leben", so in dieser klamaukig-verklemmt-peinlichen Art...). Und dann das: "Speed-Dating" heißt das moderne Such-Stück, lautet die neue "Zauberformel". Wie bitte?: Speed-Dating. Niemand hat mehr Zeit, viele sind nach stressiger Tages-Arbeit geschafft, um sich noch auf die "herkömmliche", traditionelle Suche zu begeben (Disco/Kneipe), die Gefühle/Wünsche/Träume, zwischen Bangen/Hoffnung/Resignation. Passiert da überhaupt noch was?

Also eben: Speed-Dating: Ist natürlich aus den Staaten herübergeschwappt, "die neue amerikanische Sitte": 18 paarungswillige Solisten, 9 Männer/9 Frauen, zwischen 25 und 40, treffen sich zum Fließband-Schnuppern/-Flirten; kommen in einem großen, kargen Raum zusammen, sitzen gegenüber, um sich in kurzen, auf fünf Minuten festgelegten Einzelgesprächen "kennenzulernen". Sich originell wie optimal "zu verkaufen", um beim Gegenüber Neugier zu erwecken. Wenn die Stoppuhr klingelt, wird weitergerückt, wird der Gesprächspartner gewechselt. Speed-Dating. Der Schnelldurchlauf in Sachen Gefühle/Sicht/Identität. Du meine Güte.

Was könnte das in die filmische Hose gehen: Visuell gibt´s nicht, dafür unendliches Gequatsche/Gelaber. Doch Ralf Westhoff schafft daraus eine Art köstlichen Spagat zwischen Woody Allen und "Harry & Sally": Sein Film zeigt sich unglaublich amüsant, frech, pointiert; führt clever Verletzlichkeit, Unnahbarkeit, Selbstbewusstsein vor; besitzt die temporeiche, spannende, atmosphärische, fortwährend neugierige wie augenzwinkernde Balance zwischen Anteilnahme, Dicht-Dran-Sein an den Personen und eigenem Wiedererkennungseffekt.

Ohne dabei zu denunzieren oder mit Klischees zu triefen, trifft er einen emotionalen wie gesellschaftlichen Zeit-Nerv: Eine erwachsene Generation mit vielen Defiziten, möchte gerne kind(isch) bleiben, weiter "spielen" und doch nicht alleine sein/bleiben. Mit dabei/als Außenansicht: Der selbstzufriedene Schönling (der sich "als Designerstück" bezeichnet und sein Gegenüber "als Schnäppchen"); der Workoholic (der gleich eine Liste mit Fragen mitgebracht hat, die er abhakt); das frustrierte Scheidungsopfer; die traurige Krankenschwester; die Schönheit (mit genau diesem "Problem"); die zickige Emanze; der Öko-Fanatiker; die penetrante Quatsch-Liese (aus Brandenburg).

Westhoff gibt/schenkt jeder Figur authentische Persönlichkeit, Charisma, Typen-Charme; ganz unangestrengt, ziemlich kribbelnd, herzhaft-nah. Legt ihnen "Sprache" in den Mund, die intelligent-antörnt, komisch ist, "Wirkung" zeigt. Dass dies funktioniert, hat aber natürlich/zuallererst mit diesem großartigen Ensemble zu tun: Westhoff hat es geschafft, völlig unverbrauchte, neugierig-machende, richtig gute, spannende Klasse-Akteure zusammenzubringen: Klassisch ausgebildete (Bühnen-)Schauspieler, die ihr Handwerk blendend beherrschen und ihre jeweilige Type vortrefflich wie überzeugend vorzuführen verstehen. Selten waren in einem deutschen Film-Darsteller so aufregend-anregend wie hier. Denn die verstehen es tatsächlich, allesamt, glaubwürdige Charaktere zu entwickeln, denen man gerne wie respektvoll zuhört/zusieht. Ein erstaunlicher, weil eben sehr unterhaltsamer neuer deutscher Beziehungsfilm.


"Das Mädchen, das die Seiten umblättert"
Frankreich 2006, Regie: Denis Dercourt, Darsteller: Catherine Frot, Déborah Francois, Pascal Greggory, Clotilde Mollet

Es ist der 5. Spielfilm von Denis Dercourt, studierter Philosoph und Politologe, einst Soloviolonist und heute Professor am Straßburger Konservatorium und seit 1998 auch Filmemacher, hierzulande unbekannt, der auf den psychologischen Spannungs- bzw. Rache-Spuren von Hitchcock bzw. Chabrol wandelt: In einer französischen Kleinstadt gilt die sensible 10-jährige Metzger-Tochter Mélanie als talentierte Klavierspielerin. Bei der Aufnahmeprüfung für das Konservatorium versaut ihr die unsensible Jury-Präsidentin die Chance.

Enttäuscht wie verbittert beschließt das Mädchen, ihren Traum von einer Pianistenlaufbahn zu begraben. Zehn Jahre später kommt die junge hübsche Frau als Praktikantin in eine Anwaltskanzlei: Ihr Chef ist, welch ein Zufall, der Gatte der einstigen Jury-Präsidentin, Ariane, die, welch noch ein Zufall, ein Kindermädchen sucht. Mélanie zieht in das noble Familienanwesen ein und übernimmt zudem die Aufgabe, der nach einem mysteriösen Unfall nervlich angeschlagenen Star-Pianistin Ariane "zur Hand zu gehen".

Füllt - mit lächelnder Unschuldsmaske und natürlich mit äußerster Diskretion - die Aufgabe aus, ihr beim Klavierspielen die Seiten umzublättern. Wird dabei zur (auch erotischen) Seelen-Verwandten. Leiser wie raffinierter, bald aber auch vorhersehbarer Psycho-Thriller, nach dem Motto: Eine böse Fee verrichtet ihren feinen, zerstörerischen Vernichtungsfeldzug; mit einer dann aber zum bösen Schluss ziemlich kraftlosen Auflösung, die mehr von Zufällen als von cleverer Logik und ausgefeiltem Sinn bestimmt ist. Dennoch: Dank der brillanten Darstellerinnen Déborah Francois ("´L`enfant"/2005/"Goldene Palme" von Cannes) und Catherine Frot ("Zwei ungleiche Schwestern"/2004) eine lange Zeit subtile, virtuose, reizvolle Rache-Etüde. Kleine, cineastische Spannungsperle.


"Spider-Man 3"
USA 2007, Regie: Sam Raimi, Darsteller: Tobey Maguire, Kirsten Dunst, Thomas Haden Church, James Franco, Topher Grace, Dylan Baker, Elizabeth Banks

Es ist ein Film von Sam Raimi, der auch schon für die ersten beiden Teile verantwortlich war (= Film 1 prima; Film 2 depressiv; spielten weltweit mehr als 1,8 Milliarden Dollar ein). Basierend auf den Marvel-Comics von Stan Lee und Steve Ditko (erstmals: August 1962) entstand ein gigantisches Popcorn-Movie für Erwachsene, die Märchen mögen. Mit inhaltlicher Charakter-Führung, mit Dr. Jekyll & Mr. Hyde-Geschmack (= Peter Parker, der New Yorker Supermann, muss nun auch gegen seinen eigenen, inneren Dämon kämpfen) und natürlich mit wieder riesigen "Jahrmarkt"-Tricks. Der Schau-Wert ist enorm, mit diesem schurkischen "King Kong"-Sandmann (= 1. Comic-Auftritt in der 4. Ausgabe von 1963) wurde zugleich die Show-Meßlatte erneut "wahnsinnig gesteigert". Augen/Ohren/Bauch werden prima bedient; ist höchst unterhaltsam und alles andere als ein "simpler" Fortsetzungsfilm.

Mit erneut Tobey Maguire als überzeugendem Titelhelden (ich mag ihn auch und vor allem als gepeinigten Pferdejockey in "Seabiscuit"/2003; in "Gottes Werk und Teufels Beitrag"/mit Michael Caine; in "Die Wonder Boys"/mit Michael Douglas); und - siehe da, jetzt hat man sich sogar an sein "Liebchen" Kirsten Dunst (neulich: "Marie Antoinette" von Sofia Coppola) gewöhnt. Ein hochkarätiges Spiel-Spaß-Spannungs-Movie mit unterhaltsamem Okay-Appeal.