Betriebssport

Kniebeuge neben dem Bürostuhl

Bürosport 1969 in München
Sport im Büro. So neu ist die Idee dann doch nicht. In München wurde schon 1969 der Kreislauf durch Turnübungen wieder in Schwung gebracht. © imago/WEREK
Von Sigrun Damas · 10.12.2015
Sitzen macht krank – zumindest das Sitzen im Büro. Laut aktueller Studien verursacht es Diabetes, Krebs, Herzinfarkt und Rückenschäden sowieso. Einen Ausweg aus der Misere sollen "dynamische Arbeitsstationen" wie das Laufband und der Stepper bringen.
Hier surrt ein Fahrradergometer. Solche Geräusche kennt man aus dem Fitness-Studio. In Zukunft auch aus dem Büro?
"Die Tätigkeiten werden immer statischer. Wir haben Computerarbeit, und dadurch sind wir gebunden an den Computer. Wenn ich das auf Dauer mache, fünf bis sechs Stunden, tagein-tagaus – dafür ist der Mensch nicht gemacht. Der Mensch braucht Bewegung und daher muss man sich überlegen, wie man etwas mehr Bewegung ins Büro bekommen kann", sagt Rolf Ellegast. Er ist Physiker und stellvertretender Leiter des Instituts für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Vera Schellewald, die auch dort arbeitet, macht es vor. Sie sitzt in ihrem Businessanzug am Schreibtisch, arbeitet und treibt nebenher Sport. Ein bisschen zumindest. Locker kreisen ihre Füße auf den Pedalen eines kleinen Untertischergometers, einem eiförmigen Kasten, etwa 70 cm hoch, aus dem links und rechts zwei Pedalarme ragen. Sorge, ihre Bluse zu verschwitzen, hat Vera Schellewald nicht.
"Das ist eine Intensität, die so gering ausgelegt ist, dass man da nicht ins Schwitzen kommt. Das soll ne leichte Aktivierung des Herz-Kreislauf-Systems sein, und nicht in Sport ausarten."
Bewegung statt Sport. Das aber während der Arbeitszeit. Denn die Unfallversicherung hat erkannt, wie gefährlich das Dauersitzen werden kann.
"Das Sitzen ist das neue Rauchen. Es gibt Zusammenhänge, die sagen, dass das Risiko für Muskel-Skelett-Beschwerden, für Adipositas, für ne Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigen mit zunehmender Inaktivität. Der Arbeitgeber hat ein Interesse daran, dass die Mitarbeiter gesund und motiviert sind und dass sie wenig ausfallen. Und wenn wir die Statistiken anschauen: 23% aller Krankheitstage sind auf Muskel-Skelett-Beschwerden zurückzuführen pro Jahr. Und das sind enorme Kosten
Immerhin 18 Millionen Büroarbeitsplätze gibt es in Deutschland. Und damit 18 Millionen Gefahrenzonen. Die wollen Arbeitgeber entschärfen, mit allerlei Sportgeräten: Laufbändern vor dem Stehpult, Hockern mit angeschlossenen Pedalen, Steppern oder kleinen Wippen, auf denen der Büromensch im Stehen hin und her schaukeln kann. Der Trend kommt aus den USA, deutsche Unternehmen wie die Telekom testen solche mobilen Arbeitsstationen bereits. Auf der Messe für Arbeitsschutz in Düsseldorf konnte das Publikum sie ausprobieren. Die Reaktionen – gemischt:
Betriebsärztin: " Ich dachte, jetzt soll ich auch noch hier Fahrradfahren bei der Arbeit!"
Ingenieur: "Da komm ich nicht weit mit! Das klassische Herumdoktern an bereits entwickelten Problemen. Das ist der völlig falsche Ansatz. Ich muss da ansetzen, wo die Probleme entstehen. Und nicht mit so ´nem Heimtrainer für den Computer."
"Bin sowieso n bisschen sportlicher Typ. Und so kann ich beides verbinden: Man hat gearbeitet und was für seine Gesundheit gemacht – das passt!"
Sportmediziner plädiert für einfache Lösungen
Bewegung während der Arbeit – oder lieber nachher, das ist die Streitfrage. Sportmediziner Klaus Völker plädiert für einfache Lösungen und findet: Es geht auch ohne Fitnessgeräte.
"Ich halte das für ein bisschen konstruiert. Mir wäre die natürliche Bewegung dann lieber. Dass man zur Mittagspause dann einen Umweg einlegt. Z.B. weiß ich von einem Unternehmen, da treffen sich die Kollegen zur Mittagspause und machen einen Umweg zur Mensa – einen strammen Walk von zehn bis 20 Minuten, hin und auch zurück. Das ist eine etablierte Gemeinsamkeit."
Physiker Rolf Ellegast hält dagegen: Mailen und radeln, telefonieren und gehen – das wende nicht nur Schäden ab, sondern sorge auch noch für gute Einfälle:
"Wenn ich Bewegung habe, rege ich den Stoffwechsel an. Dadurch versorge ich das Gehirn mit mehr Sauerstoff. Und es gibt Untersuchungen, die sagen: Man ist dann auch produktiver."
Aber: Alles hat seine Grenzen.
"Wenn Sie eine geistige Tätigkeit haben, dann können Sie nicht nebenher noch Sport machen. Da gibt’s irgendwo ein Optimum. Das ist ein neues Forschungsfeld."

Welches das Institut für Arbeitsschutz gerade erobert. Mit einer kleinen Studie hat man im eigenen Haus die dynamischen Arbeitsstationen untersucht. Mitarbeiter verbrauchten an den Geräten doppelt so viele Kalorien, Herz und Kreislauf kamen messbar in Schwung. Einige hatten zwar subjektiv das Gefühl, schlechter zu arbeiten. Aber die Auswertung zeigte: Sie machten kaum mehr Fehler als ihre Kollegen am normalen Schreibtisch. Vielleicht ist es nur eine Frage der Gewöhnung. Bis die dynamischen Arbeitsstationen deutsche Büros erobern, wird aber noch eine Zeit vergehen, vermutet Rolf Ellegast vom Institut für Arbeitsschutz.

"Ein Hauptproblem ist: die Geräte entstammen vom Design eher Fitness Studios. Und die sind noch nicht so gut an die Arbeitswelt angepasst. Dass ich den Sitzarbeitsplatz nicht an meine Beinlängen anpassen kann. Das passt nicht."
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