"Bete und arbeite"

Moderation: Jürgen König · 20.04.2005
Der wirtschaftliche Leiter der Abtei Münster-Schwarzbach, Pater Dr. Anselm Grün, erwartet von dem neuen Papst eine klare Botschaft. Die Regel seines Namensgebers Benedikt im Mittelalter sei eine Quelle des Friedens und der Menschenführung und das richtige Maß an Gebet und Arbeit gewesen.
König: Pater Dr. Anselm Grün wurde mit 19 Jahren Benediktinermönch in der Abtei Münster-Schwarzach bei Würzburg. Dort lernte Pater Anselm die Kunst der Menschenführung aus der Regel Benedikts von Nursia kennen und entdeckte schon in den siebziger Jahren die Tradition der alten Mönchsväter wieder, deren Bedeutung er besonders in Verbindung mit der modernen Psychologie sieht. Seit 1977 ist er nach seinem Studium der Philosophie, Theologie und Betriebswirtschaft der wirtschaftliche Leiter der Abtei Münster-Schwarzach und damit für rund 300 Arbeiter in über 20 Betrieben verantwortlich. Pater Anselm, Kardinal Joseph Ratzinger hat sich als Papst den Namen Benedikts gegeben, Benedikt XVI. Was ist mit der Regel Benedikts verbunden?

Anselm: Die Regel Benedikts war im Mittelalter eine Quelle des Friedens und eine Quelle der Menschenführung. Also ich denke, Benedikt hat den Geist Europas im Mittelalter geprägt, und ich glaube schon, dass der neue Papst sich den Namen gegeben hat, weil er die Werte des Abendlandes bewahren möchte oder neu zur Sprache bringen möchte und so wie Benedikt etwas Weltübergreifendes, Friedenstifendes von ihm ausgehen möchte.

König: Ich glaube, ora et labora, was jeder Lateinschüler gelernt hat, ist eine benediktinische Regel, bete und arbeite.

Anselm: Ja, es ist einmal das richtige Maß an Gebet und Arbeit, aber dann auch, dass die Arbeit aus der Quelle des Gebetes strömt und nicht eben nur aus der Quelle von Ehrgeiz und Selbstverwirklichung. Ich denke, wenn die Arbeit aus der Quelle des Gebetes strömt, bekommt sie mehr Fruchtbarkeit, mehr Leichtigkeit und eben nicht dieses Angestrengte und Aggressive, das die Arbeit für uns heute hat.

König: Nun ist Papst Benedikt XVI. ein Theologe, der von der Lehre her kommt. Er ist Professor, kommt nicht aus der Gemeindearbeit. Will das zu dieser benediktinischen Lebensweise so recht passen?

Anselm: Gut, ein Werdegang von der Theologie her nicht unbedingt. Aber ich denke, Ratzinger hat ganz viel Sinn für Liturgie, und das entspricht sicher auch wieder dem benediktinischen Geist. Die Liturgie, die Schönheit der Welt, das sind Themen, die ihn immer wieder auch beschäftigt haben. Sein Bruder war ja Domkapellmeister, also ich denke, für die Muße und die Kunst hat er einen großen Sinn.

König: Er sprach ja schon in seinen ersten Papstworten vom Weinberg Gottes, bezeichnete sich als Arbeiter darin. Eine offizielle Erklärung für seine Namenswahl gibt es noch nicht. Warum, Pater Anselm, hat Kardinal Ratzinger ausdrücklich dieses Denken, diesen Weg gewählt?

Anselm: Ich denke, er hat sicher diesen Namen bewusst gewählt. Ich kann nur spekulieren, warum, aber ich glaube einmal, dass er auf die gleiche Dimension des Glaubens Wert legt. Benedikt hat ja die Menschen in die Erfahrung Gottes hineingeführt, dass sie wahrhaft Gott suchen sollen, dass Gott wieder im Mittelpunkt steht und nicht eben sekundäre Themen. Ich glaube, das ist sicher auch sein Anliegen. Dann das Thema Frieden, das Thema Europa, das Thema völkerverbindende Kirche, das sind, glaube ich, auch wichtige Themen. Letztendlich ist ja das Kennzeichen eines spirituellen Menschen das weite Herz, und ich würde mich freuen, wenn dieser Geist der Dimension des Glaubens von Benedikt auch das neue Papstamt prägt, und ich denke, Benedikt hat ganz viel Wert auf Gemeinschaft gelegt. Die Kirche kann nur im Miteinander in dieser Welt bestehen, und ich glaube, es ist das Zeugnis für ein neues Miteinander, das dann auch ein Miteinander der vielen Völker auf der Welt ermöglicht.

König: Wurden denn die Dimensionen des Glaubens bisher nicht ernst genug genommen?

Anselm: Doch, schon. Ich denke, der Papst hat einfach einen Akzent gesetzt, der ihm wichtig ist, und ich glaube, es ist in unserer Zeit wichtig, dass wir die Frage nach Gott offen halten, dass wir nicht nur Strukturthemen behandeln. In Deutschland streiten wir viel zu sehr um Strukturthemen, und die sind oft doch sekundär. Das Eigentliche ist ja, woran glaube ich, woher komme ich, was ist der Sinn meines Lebens? Ich denke, er ist ein exzellenter Theologe, der diese Aspekte, die Formulierung des Glaubens in unserer Welt sicher in guter Weise angeben wird.

König: Lassen Sie uns ein Wort über Benedikt XV. verlieren. Er gilt als Friedenspapst, das ist bei mir aus dem Unterricht noch hängen geblieben, zu Zeiten des Ersten Weltkriegs. Sagen Sie uns noch einen Satz mehr über Benedikt XV.

Anselm: Er war einer der größten Päpste, aber leider kam er nicht so raus, weil der Erste Weltkrieg sehr schwierig war. Die Mächte haben damals seine Friedensbemühungen verhindert. Er wurde ein bisschen ausgegrenzt von Frankreich, England und Italien. Er hat einige Entscheidungen seines Vorgängers Pius X., der ja sehr stark gegen den Modernismus gekämpft hat, wieder rückgängig gemacht. Er war ein sehr weiser Mann, ein sehr intelligenter Mensch, und er hat auch innerhalb der Kirche durchaus vieles wieder beruhigt, was unter seinem Vorgänger ein bisschen zu kontrovers und aufgebracht war. Ich denke, wir müssten ihn neu würdigen, er ist in der Geschichte der Päpste nicht genügend gewürdigt worden.

König: Könnte auch Papst Benedikt XVI. beruhigend wirken nach diesem großen Pontifikat Johannes Pauls II.?

Anselm: Ich denke, jeder neue Papst hat es schwer, und ich glaube immer an den Heiligen Geist, dass das jetzt auch der richtige Zeitpunkt war, dass Ratzinger der richtige Mann ist für den jetzigen Zeitpunkt, dass er, weil er gerade eine große theologische Kompetenz hat, beruhigend wirken kann, sowohl auf die konservativen wie auf die progressiven Kreise. Ich glaube, dass die Konservativen vielleicht etwas enttäuscht werden können, weil er nicht der typisch Konservative ist, sondern durchaus ein exzellenter Theologe, der sehr differenziert denken kann.

König: 65 Prozent aller Katholiken leben heute in Afrika, Lateinamerika und Asien. Die meisten von ihnen sind keine Weißen und sie sind arm. In Europa hat die Kirche mit einer stets wachsenden Zahl von Kirchenaustritten zu kämpfen. Die Menschen sorgen sich, jedenfalls sehr viele von ihnen, in der Unruhe globalisierter Zeiten, aber sie finden doch etwas weniger Trost und Schutz in der Kirche. Wird Papst Benedikt XVI. Antworten finden auf die großen Fragen, auf die riesigen Aufgaben, die sich ihm da stellen?

Anselm: Ich glaube, er wird sich darum bemühen, und ich traue es ihm auch zu, dass er doch Anstöße geben kann auf die Frage, was hilft den Menschen wirklich? Der Tod von Johannes Paul II. hat ja auch gezeigt, dass die Menschen durch Klarheit, durch Geradlinigkeit durchaus auch angesprochen werden. In dieser Globalisierung sucht man nach Sicherheit, allerdings ist Sicherheit nicht ein Getto, sondern ein Dialog mit der heutigen Welt und zugleich eine innere Klarheit, und ich traue ihm zu, dass er einen guten Ausgleich findet zwischen Klarheit und Offenheit, die Probleme dieser Welt zu sehen, was brauchen die Menschen heute, wonach sehnen sie sich? Ich denke, wir Europäer müssen lernen, in dieser globalisierten Welt unseren Platz neu zu definieren. Wir trauern alten Zeiten nach, aber wir müssen uns auch etwas bescheiden, wir sind nicht die Einzigen auf dieser Welt und müssen unseren Platz neu finden.

König: Ich glaube, Johannes Paul II. und die ganzen Umstände seines Sterbens und seiner Beisetzung haben auch gezeigt, wie groß das Bedürfnis fast einer Weltgemeinde ist, Anteil zu nehmen, auch Verehrung ausdrücken zu können, also dieses große Bedürfnis fast nach persönlichem Kontakt oder auch geistlichem Kontakt, das hat mich sehr beeindruckt im Rahmen dieser Papstfeierlichkeiten. Wird Papst Benedikt XVI., der als Intellektueller gilt, wie ich fand bisher nicht unnahbar gewirkt hat, aber was ich meine ist, wird er diesem Bedürfnis Rechnung tragen können? Er hält die Eröffnungsmesse heute auf Lateinisch. Das habe es, wie ich gelesen habe, seit rund 40 Jahren nicht mehr gegeben. Das ist ja auch ein Zeichen, vermute ich. Ist das der Weg zu den Herzen der Menschen?

Anselm: Er hat es natürlich schwer. Papst Johannes Paul II. war ein Mensch, der die Massen begeistern konnte und den Zugang gefunden hat. Er kann ihn nicht kopieren. Er muss seinen Weg finden, und ich denke, sein Weg ist das gute Formulieren und die klare Botschaft, da traue ich ihm viel zu. Wir dürfen keine Kopie des letzten Papstes erwarten, da würden wir ihn damit überfordern.

König: Sie beten für den Papst, vermute ich. Was erbitten Sie für ihn?

Anselm: Ich bete, dass er sensibel ist und dass auch der Heilige Geist für die Kirche und die ganze Menschheit wirken möchte, und dass er da offen ist für den Heiligen Geist. Ich bin überzeugt, dass der Heilige Geist immer wieder die Kirche führt und die Menschen, die er erwählt, auch so formt, dass sie zum Segen werden für die Kirche.

König: Ich danke Ihnen für das Gespräch.