Besuch in Tehrangeles

Von Wolfgang Stuflesser · 26.08.2013
Eigentlich war "Tehrangeles" nur ein Spitzname für die Gegend im Westen von Los Angeles, wo sich viele Iraner niedergelassen hatten. Heute gibt es in der größten iranischen Ansiedlung außerhalb Irans Zeitungen und Radiosender in Farsi und den größten iranischen Buchladen der Welt.
Auch wenn es nicht so klingt: Wir befinden uns mitten in Los Angeles, auf dem Westwood Boulevard, nicht weit von der University of California. Genauer gesagt, im Teppichgeschäft von Alex Helmi. Teppich um Teppich rollen seine Mitarbeiter vor der Kundin aus.

Alex erzählt, dass seine Kundschaft größtenteils wie er aus dem Iran stamme. Deshalb sind Verkaufsgespräche auf Farsi keine Seltenheit:

"Wenn in diesem Teil von Los Angeles lebst, dann kommt es dir so vor, als lebst du auch in Iran. An manchen Tagen spreche ich kaum Englisch, weil jeder Farsi spricht."

Alex ist Anfang 60 und lebt seit Jahrzehnten in Kalifornien. 1974 kam er zum Studieren hierher. Und blieb dann, als in seiner Heimat die islamische Revolution ausbrach. Alex ist einer von geschätzt um die 800.000 gebürtigen Iranern in der Stadt. Sie bilden die größte iranische Bevölkerungsgruppe außerhalb des Iran.

Es gibt verschiedene Theorien, warum gerade Los Angeles eine so große Anziehungskraft auf sie hat. Alex hat seine eigene:

"Das Wetter ist gut, und es gibt echte Demokratie hier. Und: Los Angeles ist eine multi-nationale Stadt, irgendwie ist jeder ein Fremder hier. Deswegen gibt es relativ wenig Vorurteile. Sogar die Amerikaner hier kommen aus verschiedenen Bundesstaaten."

Viele Iraner sind Ärzte oder Anwälte
In der Filmindustrie, für die Los Angeles weltweit bekannt ist, arbeiten die wenigsten Iraner. Viele sind Ärzte, Anwälte oder Geschäftsleute.

Ein Exil-Iraner, der sich lieber von einem iranischen Arzt behandeln lassen wolle, habe große Auswahl, erklärt mir Farouk, der in Alex Geschäft arbeitet. Es gibt sogar einen Radiosender auf Farsi. Meine Frage, ob die Iraner nicht Gefahr laufen, sich in einer Blase zu bewegen, statt Teil der amerikanischen Gesellschaft zu werden, beantwortet Farouk mit einem energischen Kopfschütteln.

Er fühle sich als iranischer Amerikaner, sagt er, schließlich habe er seit 28 Jahren die amerikanische Staatsbürgerschaft:

"Aber nach der Revolution im Iran kamen auch viele ältere Leute her, denen das Englisch schwerfällt. Da ist es einfach praktisch, wenn jemand ihre Sprache spricht."

Tatsächlich tragen fast alle Geschäfte hier auch Schilder auf Farsi, und die Auswahl vom Kleiderladen bis zur Buchhandlung ist so groß, dass wohl niemand die Gegend verlassen muss, wenn er nicht will. Alex zeigt mir das Herz von Tehrangeles: Die Kreuzung von Westwood Boulevard und Wilkins Avenue. Persian Square, Persischer Platz, heißt die Stelle seit ein paar Jahren.

Alex hat sich selbst bei den Verantwortlichen der Stadt für die Umbenennung eingesetzt. Ich frage ihn, ob er selbst lieber Perser oder Iraner genannt werden will:

"Wenn Du Iran sagst, dann denken viele Amerikaner an Mullahs [lacht]. Bei Persien aber, da denken sie an das Persische Reich. Wir haben eine sehr, sehr alte Zivilisation, deswegen bevorzugen wir das Wort 'Persien'."

Alex kennt die Gegend hier wie seine Westentasche. Er nimmt mich mit in den ältesten Laden von Tehrangeles: "Attari" gibt es schon seit 1974, das war fünf Jahre vor der Revolution. Damals war es ein kleiner Supermarkt, wo die Exil-Perser Lebensmittel aus ihrer Heimat kaufen konnten – Fladenbrot, Koriander oder Rosenwasser. Inzwischen ist Attari Delikatessengeschäft, Restaurant und Treffpunkt in einem.

Ein Delikatessladen als Treffpunkt der Exilanten
Grauhaarige, braungebrannte, distinguierte ältere Herren sitzen um einen großen Tisch, trinken zusammen Tee und essen die Spezialität des Tages, Lamm-Eintopf. Mehrdad, der Juniorchef, hat das Attari von seiner Mutter übernommen. Er legt großen Wert auf die kulinarischen Traditionen seiner Heimat. Sandwiches mit Zunge oder Hirn gibt es hier. Berühmt ist das Attari für seine Suppe.

Mehrdad schwärmt von den Zutaten der vegetarischen Ashe Joe: Viel Gemüse, verschiedene Bohnen. Und obendrauf kommen karamellisierte Zwiebeln, Joghurt und frittierte Minze.

Mehrdad kam 1981 in die USA, mit 15 Jahren, und er hat natürlich auch die amerikanische Staatsbürgerschaft:

"Ich bin hier auf die Highschool gegangen und aufs College. Ich fühle mich fifty-fifty amerikanisch und iranisch. Aber ich würde nie sagen, dass ich nicht auch Iraner bin. Ich werde immer Iraner bleiben."

Die Iraner sind – das ist mein Eindruck - angekommen in Los Angeles. Aber im Vergleich zu Einwanderern aus Europa, etwa Iren oder Deutschen, deren Kultur nach Jahrhunderten fast vollständig in der amerikanischen aufgegangen ist, haben sich die Iraner noch Teile ihrer kulturellen Eigenheiten bewahrt. Dazu gehört auch das Miteinander der Religionen: Es gibt jüdische und muslimische Exil-Iraner, und beide Gruppen kommen erstaunlich gut miteinander aus.

Sonst beäugen sich Angehörige dieser beiden Religionen in den USA eher kritisch. Vielleicht liegt es daran, dass die hier lebenden Iraner - im Vergleich zu vielen anderen ethnischen Gruppen - hervorragend ausgebildet sind.

Alex erklärt mir, es sei im Grunde vor allem die intellektuelle, westlich orientierte Oberschicht gewesen, die nach der islamischen Revolution aus dem Iran fliehen musste:

"Die USA sind nicht unsere Heimat. Deshalb fühlen wir uns unsicher und strengen uns mehr an. Darum sind wir viel erfolgreicher als wir es vielleicht zu Hause wären."

Der Reichtum der US-Iraner ist legendär
Das könnte auch der Grund für einige Vorzeigebiografien sein: Jimmy Delshad etwa wurde 2007 der erste iranischstämmige Bürgermeister des noblen Beverly Hills. Und der Modeladen des Designers Bijan im edlen Rodeo Drive von Los Angeles galt lange Zeit als teuerstes Geschäft der Welt. Der Komiker Maz Jobrani macht sich in seinem Programm über den fast schon legendären Reichtum seiner Landsleute in den USA lustig. Man könne sich von ihnen kaum auf einen Cocktail einladen lassen, ohne dass sie einem gleich noch das Gebäude der Bar dazu kaufen, scherzt er in einer Sendung für die britische BBC.

Der wirtschaftliche Erfolg der Iraner in Los Angeles ist die Basis für das Unternehmen von Bijan Khalili. Seit 1981 gibt er die Gelben Seiten von Tehrangeles heraus. Inzwischen in einer Auflage von 20.000 Exemplaren. Er sagt, manchmal sei er selbst von der Entwicklung überrascht, die die iranische Gemeinschaft hier genommen hat:

"1981 hatten wir, glaube ich, nur einen iranischen Rechtsanwalt hier. Heute gibt es in Kalifornien mehr als 2.000 iranisch-amerikanische Anwälte. Es ist unglaublich."

Bijan Khalili steht in seiner Buchhandlung, "Ketab" heißt sie, in Farsi das Wort für "Buch". Der Chef trägt einen dunkelblauen Anzug, weißes Hemd, Krawatte. Und das in Kalifornien, wo sonst selbst die Vorstandsvorsitzenden großer Unternehmen in Jeans und Hemd oder gar T-Shirt auch zu offiziellen Terminen erscheinen.

Bijan Khalili ist anders, und das zeigt er auch. Schließlich ist seine Buchhandlung mit ihren Zigtausenden vorrätigen Titeln in Tehrangeles auch eine kulturelle Institution:

"Ketab ist der vollständigste persische Buchladen der Welt. Wir können nicht nur alle Bücher aus dem Iran importieren, sondern führen auch die, die von der iranischen Regierung aus Gründen der Zensur verboten sind."
Eigentlich ist Khalili gelernter Bauingenieur. 1951 wurde er im Iran geboren, aber nach der islamischen Revolution floh auch er in die USA:

"Ich konnte nicht bleiben, wegen der Diktatur der islamischen Republik. In einer Diktatur sind alle in Gefahr, und deshalb habe ich den Iran verlassen."

Die Liebe zum Lesen machte aus dem Ingenieur im Exil einen Buchhändler:

"I was always in love with books."

Doch mit Blick auf die Zukunft seines Geschäfts sieht er ein Problem. Weil in der jungen Generation längst nicht mehr alle Farsi sprechen, sei auch die Kundschaft seiner Buchhandlung meist 40 und älter. Das Bildungsniveau der US-Iraner ist enorm. Eine Studie des MIT hat vor einigen Jahren ergeben, dass bei den Amerikanern mit iranischen Wurzeln einer von vier einen Master- oder gar Promotionsabschluss hat. Die Rate ist so hoch wie in keiner anderen amerikanischen Ethnie.

Abbas Milani ist Professor für persische Studien an der kalifornischen Eliteuniversität Stanford. Milani ist nach Los Angeles gekommen, um in der Buchhandlung Ketab aus seinem neuen Buch vorzulesen und Fragen zu beantworten. Titel des Buchs: "Der Schah". Gemeint ist natürlich Reza Pahlawi, der letzte iranische König vor der islamischen Revolution. Die Veranstaltung ist gut besucht. Für Milani keine Überraschung:

"Der Schah ist in meinen Augen eine ganz zentrale Figur: Zunehmend finden die Leute, dass sein Sturz ein entscheidender Moment für den gesamten Nahen Osten war. Sie interessieren sich dafür, wer er war, wie er an die Macht kam und warum er sie so leicht verlor."

Abbas Milani lebt im Norden Kaliforniens, eine gute Flugstunde weit weg von Los Angeles. Er kommt trotzdem regelmäßig hierher, und das nicht nur, weil Bijan Khalili den Vertrieb seines Buchs übernommen hat. Auch das besondere Flair von Tehrangeles reizt ihn:

"Es ist wohl das, was am nächsten an der Heimat ist: Die Leute haben versucht, Tehrangeles das Aussehen, das Gefühl, den Geruch des Iran zu geben. Die Heimat ist, wo das Bekannte Sie umgibt. Wenn die Sprache gesprochen wird, mit der Sie aufgewachsen sind. Wenn Bücher verkauft werden, die Sie daran erinnern, wer Sie sind. All das leistet Therangeles. Es hat jeden Aspekt des Iran: Das Gute, das Schlechte, das manchmal Hässliche."

Iraner haben längst eigene Reality-Soap
"The Good, the bad and the ugly": Der Professor zitiert den Titel eines berühmten Western. Und damit sind wir wieder in der Film- und Medienstadt Los Angeles. Natür-lich haben die Iraner hier längst auch ihre eigene Reality-TV-Serie, die "Shahs of Sunset", gemeint ist die Nobeladresse Sunset Boulevard. Bald fängt die dritte Staffel an.

Vom Jahrtausende alten kulturellen Erbe des Iran ist in der Serie kaum noch was zu spüren. Es sind die typischen Probleme reicher Einwandererkinder, die hier verhandelt werden: Das Leben zwischen den Kulturen, aber auf ganz hohem materiellen Niveau. Ein bisschen so, als hätte Paris Hilton iranische Eltern.

Teppichhändler Alex Helmi ist zwar auch nicht arm, aber er sieht solche Extreme eher kritisch. Ihm geht es um den Erhalt eines Fundaments iranischer Kultur hier in Kalifornien. Zum Beispiel engagiert er sich dafür, dass die Schulen in Tehrangeles in Zukunft auch Farsi als Sprache anbieten:

"Wenn Du Deine Kultur lebendig halten willst, dann musst Du Deine Sprache lebendig halten. Wenn unsere Kinder kein Farsi mehr sprechen, dann werden sie ihre Kultur vergessen."

Tehrangeles ist ein besonderer Ort in seiner Mischung aus iranischer Tradition, amerikanischem Unternehmertum und kalifornischer Gelassenheit. Doch wie immer, wenn Menschen im Exil leben, stellt sich auch hier die Frage, wie lange sie ihre kulturelle Identität bewahren können - und wollen. Und natürlich, ob das Exil nicht über die Jahrzehnte vom Provisorium zur neuen Heimat geworden ist. Beim Abschied frage ich Alex, ob er sich vorstellen könne, je in den Iran zurückzukehren. Er reagiert entschieden: Nicht, solange die politische Lage dort so ist wie jetzt. Eher will er noch mehr Verwandte hierher, nach Los Angeles holen.

Er hoffe, dass sich die Situation bessere, sodass mehr Leute reisen können. Im Moment sehe es ja nicht danach aus. Aber die Hoffnung, sagt Alex, die gebe es immer:

" ... there's always hope.""
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