Besuch beim "Schöneweide Art Festival"

Kunst, Investoren und Abrissbagger

Blick vom Turm des Peter-Behrens-Baus in der Ostendstraße auf die Industrieanlagen in Oberschöneweide im Bezirk Berlin-Köpenick
Blick vom Turm des Peter-Behrens-Baus in der Ostendstraße auf die Industrieanlagen in Oberschöneweide im Bezirk Berlin-Köpenick © imago / Kai Horstmann
Von Elisabeth Nehring · 16.07.2016
Der Ostberliner Stadtteil Schöneweide bietet verlassene Industriebauten der Superlative. Architekt und Designer Peter Behrens baute sie einst für die AEG. Heute haben Künstler die Räume erobert. Wie lange sie noch bleiben können, ist unklar.
Michael Koch: "Wir kommen jetzt in das Direktorenbüro. Da sieht man noch den Muff von der DDR-Zeit, die Wandverkleidungen, das ist alles noch original von dieser Zwischennutzungszeit, aber ursprünglich waren das Fabriketagen von der AEG, weil hier hat Emil Rathenau die AEG aufgebaut."
Michael Koch, Bildhauer und Mitorganisator von Kunst-am-Spreeknie, führt uns Besucher in einen ehemaligen Versammlungssaal, der heute als Atelier genutzt wird. An den mit hellem Holz vertäfelten Wänden hängen kleine Ölbilder des Malers Steffen Blunk: Ein Panzer in einer Wüsten-ähnlichen Landschaft, darauf ein Mensch, der eine Flagge hochreckt. Oder ein im Stacheldraht hängengebliebener Soldat, dessen Gewehr ihm gerade aus der Hand gleitet. Bilder, wie man sie aus Zeitungen oder Geschichtsbüchern kennt. Doch während Gegenstände und Umgebung realistisch dargestellt werden, wirken die Figuren wie helle Schatten und sind kaum als Individuen zu erkennen.
Steffen Blunk: "Ich male bekannte Bilder aus Kriegs- oder Krisengebieten und steche dann mit einem Stechbeitel die Figuren aus den Bildern, so dass da nur noch Silhouetten stehen bleiben, so dass damit Zeiten, Orte, Feind, nicht Feind – das alles so zu verunklaren. Dass man gar nicht mehr so genau weiß, wer ist hier der Gute, wer der Böse oder in welcher Zeit spielt das."

So große Ateliers gibt es nirgendwo sonst

Stefan Blunks Atelier befindet sich an einem ganz besonderen Ort – in einem der bedeutendsten Industriekomplexe der Jahrhundertwende. Hier in Oberschöneweide, nördlich des Spreeufers, siedelte sich im ausgehenden 19. Jahrhundert der AEG-Konzern auf einem etwa vier Quadratkilometer großen Areal an. Architekt und Designer Peter Behrens bebaute das gesamte Gebiet und machte Schöneweide zur Berliner Elektropolis. Noch zu DDR-Zeiten arbeiteten hier etwa 25.000 Menschen. Erst nach der Wende begann der Abstieg: Werke wurden geschlossen, Gebäude verfielen oder wurden abgerissen. Heute ist alles in der Hand privater Investoren, doch noch immer stehen viele Gebäude leer, wirken mit ihren verblichenen Fenstern und der heruntergekommenen Bausubstanz wie Zeugen einer vergangenen Zeit. In einigen Bauabschnitten konnten sich Künstler großzügige Ateliers einrichten.
Steffen Blunk: "Also, wenn Sie sich die Hallen hier angucken, die Ateliergröße, die wir hier haben, wenn ein amerikanischer oder englischer Künstler hierher kommt, der geht hier erst mal rückwärts wieder raus und sagt: Wow, was fürn Platz, was für ein Raum! Also, die Größen, das gibt’s in keinem anderen Land und in keiner anderen Stadt mehr, dass man solche Fabrikhallen leer rumstehen hat. Und ich glaube, das macht immer noch viel aus und dann dieser – was man heute so Spirit nennt, dieser Geist von einer gewissen Freiheit, einer gewissen Unabhängigkeit – das ist schon immer noch da."
Selbst während des Art Festivals Berlin Schöneweide wirkt das weitläufige Areal luftig und ausgesprochen ruhig – keine Spur von jener aufgeregten Hektik, die große Kunstevents sonst begleitet. Malerei, Fotografie, Objekt- und Medienkunst, Mode, Installationen und Performance-Art sind in verschiedenen Ausstellungen zu sehen – nicht nur in den Ateliers selber, sondern auch in Industriesalons und ehemaligen Werkhallen. An einem dieser über das Gelände verstreuten Ausstellungsorte treffen wir die Künstlerin und Organisatorin Ianessa Norres:
"Ich würde mit Ihnen zuerst zu den "Artvivors gehen."
Durch ein gekacheltes Treppenhaus betreten wir einen etwa 500 Quadratmeter großen, lichten Raum: überall Fenster, überall Kunst, die gerade am Entstehen ist.
"Artvivors sind eine Gruppe von Künstlern, die gerade eben ihr Atelier verloren haben oder gerade in der Situation sind, ihr Atelier zu verlieren. Deswegen ist das ein kleines Experiment, das sind fünf Künstler geworden. Diese fünf haben diesen Raum herrlich ausgefüllt."
Kohlezeichnungen, Acrylmalerei, Drucktechniken – jeder verfolgt hier seine eigenen Experimente. Für die Dauer des Festivals kann man hier den Künstlern bei der Arbeit zusehen, mit ihnen über ihre Kunst sprechen oder sogar für Workshops und Performances vorbeikommen. ((Der Belgier Johann Pille hängt z.B. gerade ein Bild auf, auf dem die Aquarellfarbe nicht wie üblich auf dem Papier zerfließt, sondern scharfe Ränder bildet.
Johann Pille: "Naja, das ist Aquarell und das ist auf so einem Steinpapier, das ich mal entdeckt habe und ich war neugierig, wie wirkt das. Denn normalerweise Aquarell – das dringt in dieses Papier ein. Das ist sehr schönes Papier aus Baumwolle gemacht sehr oft. Aber mit diesem Steinpapier, obwohl diese Farbe relativ oberflächlich drauf bleibt, leuchtet die sehr schön."
Wer sich für künstlerische Arbeitsprozesse interessiert, aber sterile Galerien scheut, ist in Oberschöneweide und ganz besonders bei den Artvivors genau richtig. Doch der wunderbar ruhigen, kreativen und konzentrierten Atmosphäre zum Trotz sind die Künstler, die hier ihr temporäres Gemeinschaftsatelier eröffnet haben, in einer schwierigen Situation.
"Ich habe hier mein Lager ausgebreitet, weil ich musste das leer räumen. 53 Gemälde. Dann haben wir das hochgeschleppt in den Eingang vom Raum und dann habe ich gedacht, was mache ich damit? Dann habe ich versucht, so Türmchen zu bauen, ein bisschen skulpturenmäßig. Aber schon ein Protest natürlich, weil das ist eine Art von Schikane gewesen und jetzt sitze ich hier mit dieser Arbeit und muss eine neue Lösung finden."

Bedroht durch Investoren mit Renditehunger

Verdrängung beschäftigt nicht nur die Artvivors, sondern ist ebenfalls das zentrale Thema der beiden großen Gemeinschaftsausstellungen bei Kunst-am-Spreeknie. Damit ist auch in diesem abgelegenen Industrie-Idyll angekommen, was die Innenstädte großer Metropolen längst hinter sich haben: dass Künstler, nachdem sie erst als Aufwerter von Bezirken gerne gesehen und mit offenen Armen empfangen werden, sich schließlich gegen Investoren und ihren Renditehunger wehren und ihm oft genug auch weichen müssen.
Mit wie viel Kreativität und Herzblut die Betroffenen darauf künstlerisch reagieren, ist am Beispiel der Schöneweider Videokünstlerin Marianne Lange zu erkennen. Sie zeigt ein Stop-Motion-Video, in dem ein Haus mit einem riesigen Wandbild Stück für Stück von einem gefräßigen Bagger zerstört wird. Das Haus in der benachbarten Schnellerstrasse wurde vor 15 Jahren von Künstlern angemietet und saniert, in diesem Jahr aber vom Eigentümer zugunsten eines neuen Supermarktes abgerissen. Während der Ausstellungseröffnung im Oberschöneweider Nachtclub Weyde verlas Marianne Lange die Botschaft zum Film.
"Was damals fast Ruine war, wurde mit viel Arbeit, Liebe und Kreativität wieder belebt und beseelt. Es war und ist sehr aufwühlend zu sehen, wie das Haus und die Fassade mit all seinen Erinnerungen und Innereien wieder entseelt und ausgeweidet wird. Wir sahen zu, wie der Bagger Stück für Stück jede der uns so bekannten Türen und Fenster, jede Bodenplatte, jede Stoffverkleidung oder sogar den Küchenboiler herausriss und nach über zehn Stunden das komplette Antlitz zerstört war.
Am Tag des Abrisses schoss ich circa 2500 Fotos, aus denen dieses Stop-Motion-Video entstand. Und zur Eröffnung heute wird einmalig aus dem Schutt wieder das Haus. Und zwar wird um 19 Uhr das Video einmalig rückwärts abgespielt und dazu möchte ich ein Konzert spielen mit meiner Cellistin."
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