Best Of 2011: Neujahrskonzert 6/11

03.01.2012
Die Jahreszeit war damals eigentlich die falsche, aber das Programm eines Wiener Neujahrskonzerts ließ man sich auch im Juni gefallen – wenn es denn aus dem Goldenen Saal des Wiener Musikvereins kam und wenn mit Nikolaus Harnoncourt einer der größten Strauß-Interpreten den Ton angab.
In den Konzerten von Nikolaus Harnoncourt ist alles besonders, und schon die Programmzusammenstellung kommt oft einem Kunststück gleich. In diesem Fall beginnt das Konzert bereits mit der Zugabe: Am Anfang steht der "Radetzky-Marsch", jener zum Mitklatschen animierende "Rausschmeißer" eines jeden Neujahrskonzerts der Wiener Philharmoniker. Und Harnoncourt wäre nicht Harnoncourt, würde er nicht auch hier mit einer musikhistorischen Besonderheit aufwarten: einer wenig gespielten Urfassung des populären Marschs, die wesentlich mehr nach Militärmusik als nach philharmonischem Glanz klingt. Mit anderen Worten: Eine Musik, zu der es sich am leichtesten für den Kaiser sterben ließ, wie Joseph Roth einst mit altösterreichischem Sarkasmus anmerkte.

Fast schon historisch ist auch das Vorbild dieses Konzerts: Mit dem selben Stück in der selben Fassung begann Harnoncourt vor zehn Jahren sein erstes Neujahrskonzert am Pult der Wiener Philharmoniker – ein Konzert, das (die abgegriffene Formulierung trifft es hier wirklich) einer sensationellen Neubewertung der Wiener Tanzmusik gleichkam. Lange nicht schien die Musik der Strauß-Dynastie und ihres Umfeldes so radikal ernstgenommen worden zu sein wie hier von Harnoncourt; lange nicht – wenn überhaupt je – hatte man die Walzer und Märsche in einer solch subtilen Weise philharmonisch ausgekostet erlebt; lange nicht hatte da einer so überzeugend für die Gleichrangigkeit des vermeintlichen Strauß-Rivalen Joseph Lanner plädiert.

Heute erleben wir gewissermaßen eine Neuauflage dieses Konzerts – und mehr: Harnoncourt wird den Lanner-Schwerpunkt noch ausweiten und im zweiten Teil nur Werke dieses Komponisten dirigieren, den er aus der benachbarten Perspektive von Franz Schubert heraus interpretiert. Etliche Stücke werden dabei zum ersten Mal seit Lanners Tod 1843 wieder erklingen, gespielt wird aus akribisch recherchierten Manuskripten und Erstausgaben aus dem Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Überdies präsentiert Harnoncourt das Programm mit seinem eigenen Ensemble, dem Concentus musicus Wien, das auf Instrumenten aus der Entstehungszeit dieser Musik spielt. Hinzu kommen moderne Nachbauten nicht mehr gebräuchlicher Instrumente wie etwa der Ophikleide. Einige dieser Instrumente sind speziell für diesen Abend angefertigt worden und stellen ihre Spieler vor extreme technische Herausforderungen. Und schließlich ist dieses Konzert eine der leider immer selteneren Gelegenheiten, den nunmehr 81 Jahre alten Dirigenten aktiv zu erleben. Unendlich ärmer – so scheint es – wäre die musikalische Praxis unserer Tage und das allgemeine Verständnis von klassischer Musik in unserer Zeit ohne die permanenten Impulse von Nikolaus Harnoncourt.


Musikverein Wien
Aufzeichnung vom 4.6.11

Johann Strauß Vater
Radetzky-Marsch op. 228
Walzer à la Paganini op. 11
Schäfer-Quadrille op. 217
Carnival in Paris, Galopp op. 100
Kettenbrücke-Walzer op. 4

Wolfgang Amadeus Mozart
Drei Kontretänze
Sechs deutsche Tänze KV 571

ca. 21:00 Uhr Konzertpause mit Nachrichten

Joseph Lanner
Pas de neuf nach Saverio Mercadante WoO
Sehnsuchts-Mazur op. 89
Hans Jörgel-Polka op. 194
Malapou-Galoppe op. 148 a
Hexentanzwalzer op 203
Marsch aus dem Ballett "Corso Donati"
Cerrito-Polka op. 189
Jägers Lust-Jagd-Galoppe op. 82
Die Schönbrunner, Walzer op. 200


Concentus musicus Wien
Leitung: Nikolaus Harnoncourt