Beruf und Familie

Kinder sind keine Privatsache

Eine Mutter im Business-Anzug mit ihrem Baby auf dem Arm, in der Hand eine Kaffeetasse.
Gegen die "Vereinbarkeitslüge" von Beruf und Familie polemisiert Barbara Sichtermann. © dpa / picture alliance / Lehtikuva Elina Simonen
Von Barbara Sichtermann · 31.03.2015
Immer wieder diese Debatten, dass Frauen mit Kindern nicht berufstätig sein können: Die Publizistin Barbara Sichtermann findet sie grundfalsch. Auch Männer haben ein "Vereinbarkeitsproblem", sagt sie. Und: Die Arbeitgeber müssen großzügiger werden, damit Zeit für die Familie bleibt.
Das ist schon ein ganz schöner Hammer, dieses Schlagwort von der "Vereinbarkeitslüge", das uns der Publizist Marc Brost vor die Füße geworfen hat. Familie und Beruf, so meint er in seinem neuen Buch, seien nicht zu vereinbaren, und wer sich dafür politisch einsetze, befördere nur einen Doppelstress, der Menschen letztendlich kaputt mache.
Parteien streiten seit Jahrzehnten darüber, ob und wie Vereinbarkeit angestrebt werden solle, fortschrittliche Ministerinnen, Feministinnen und Verbände haben erste Weichen gestellt - und nun soll das Ganze ein Irrweg sein? Schwer zu glauben - und es stimmt auch nicht.
Es ist ja nicht zu übersehen, dass Vereinbarkeit bereits gelebt wird. Unsere Verteidigungsministerin hat sieben Kinder; bevor sie in die Politik ging, war sie als Ärztin tätig. Die Verfasserin dieses Feuilletons hat drei Kinder und arbeitet auch am Wochenende als Autorin und Journalistin, und das gerne. Ihre Mutter hatte vier Kinder und keinen Tag Pause mit ihrer Arbeit als Malerin und Bildhauerin.
Wie kam es zu dem allgemeinen Gefühl, überfordert zu sein?
Verfehltes Leben? Zu viel Stress? Nein, es sind und waren gewünschte Lebensweisen, und wenn mal Zeitdruck entstand, dann ließ sich der aushalten. Was ist anders geworden, und wie kam es zu dem allgemeinen Gefühl, überfordert zu sein?
Eine wichtige Rolle spielt das Bedürfnis der Frauen nach einer soliden Ausbildung, erfüllender Berufstätigkeit und eigenem Einkommen. Niemand will ihnen das heute mehr nehmen. Aber was wird aus den Kindern? Und aus dem Bedürfnis des Ehemanns nach häuslicher Behaglichkeit?
Tja, es sah und sieht so aus, als müssten die Lebensaufgaben neu verteilt werden, als sei "Vereinbarkeit" nicht nur ein Frauenproblem. Aber die Freude der Männer an Hausarbeit und Kinderpflege erwies sich als begrenzt.
Es dauerte seine Zeit - doch dann begriff die Gesellschaft: es führt kein Weg um eine Professionalisierung der Betreuungsaufgaben herum. Es geht dabei nicht nur um mehr Kitaplätze. Es geht vordringlich um eine Qualifizierung der Erzieherinnen, um eine Aufwertung dieser Arbeit auch im Sinne von besseren Gehältern, die es endlich mal Männern nahe legt, hier tätig zu werden.
Eine neue Großzügigkeit der Arbeitgeber tut not
Der Lohn der Tanten aus dem Kindergarten ist auch deshalb so niedrig, weil man immer glaubte, die so genannte Fremdbetreuung sei eine bloße Notlösung und nicht wirklich erwünscht. Das Umdenken hat aber eingesetzt, und die Gesellschaft sollte sich jetzt nicht mehr beirren lassen. Sie selbst ist in Gestalt bestens ausgebildeter und motivierter Betreuungskräfte für die Kinder mit zuständig - denn die sind keine reine Privatsache.
Ein zweites Problemfeld betrifft das Zeitmanagement am Arbeitsplatz. Flexibilität ist gut, aber es geht um mehr. Bei den meisten Arbeitgebern herrscht noch die Idee vor, ein Arbeitnehmer oder eine Mitarbeiterin seien besonders wertvoll, wenn er oder sie das ganze Hirn, alle Nerven und Muskeln und natürlich noch das Herz der Firma überlasse und gar kein Privatleben habe. Dabei ist das Gegenteil richtig: Menschen ohne einen privaten Stützpunkt in ihrem Leben sind oft sehr schnell am Rande des Break-down oder des Burn-out.
Was nottut, ist eine neue Großzügigkeit der Arbeitgeber, die begreifen müssen, dass ihre Mitarbeiter erst dann viel für die Firma tun, wenn sie nicht mehr genötigt werden, alles zu geben. Der Umgang mit Zeit stünde dabei im Mittelpunkt. Zur Stunde, in der ein Kind ins Bett muss, sollte auch in den Betrieben ein Blinklicht angehen.
Utopie? Nein, denn so eine neue Einstellung zurzeit käme auch den Betrieben zugute. Sie würde zu einem Klimawandel in der Arbeitswelt führen. Und schon wären wir der Vereinbarkeit ein großes Stück näher gekommen.
Barbara Sichtermann, Jahrgang 1943, lebt als freie Autorin in Berlin. Ihre letzten Buchveröffentlichungen: "Fünfzig Klassiker: Erotische Literatur" (mit Joachim Scholl) und "Was Frauen Sex bedeutet".
Barbara Sichtermann, Publizistin
Barbara Sichtermann, Publizistin© privat
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