Bernd Hontschik: "Erkranken schadet Ihrer Gesundheit"

Fakten zum Heulen über das Gesundheitssystem

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Buchcover zu Bernd Hontschiks "Erkranken schadet Ihrer Gesundheit"
Nur Leidenschaft und Menschenfreundlichkeit des Autors machen dieses Buch über das deutsche Gesundheitssystem überhaupt erträglich, meint unsere Kritikerin. © Westend Verlag
Von Susanne Billig · 24.07.2019
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Der Mediziner und Publizist Bernd Hontschik hat schon viel vom Gesundheitssystem gesehen. Konzentriert und gut verständlich zeigt er dessen Missstände auf. Für eine Humanmedizin, die diesen Namen verdient, ist ihm zufolge ein radikaler Kurswechsel nötig.
Fallpauschalen machen es möglich: Seit die Krankenhausfinanzierung von Tagessätzen auf Operationszahlen umgestellt wurde, explodiert der krankenhausärztliche Zugriff mit dem Skalpell. Da werden Wirbelsäulen versteift, Knie ersetzt und Kinder per Kaiserschnitt auf die Welt befördert, dass es die reine Finanzierungslust ist. "Mit guter Medizin hat das nichts zu tun", stellt Bernd Hontschik in seinem neuen Buch "Erkranken schadet Ihrer Gesundheit" klar.
Der Autor ist engagiert: Er gibt – neben vielfältigen anderen Aktivitäten – die Reihe "medizinHuman" im Suhrkamp Verlag heraus, hat sich als Kolumnist der "Frankfurter Rundschau" als scharfer Kritiker von Fehlentwicklungen im Gesundheitswesen einen Namen gemacht und ist Mitglied sowohl der Uexküll-Akademie wie der Internationalen Ärztinnen und Ärzte gegen den Atomkrieg (IPPNW). Dazu war er lange Oberarzt einer Klinik in Frankfurt und hat als Chirurg mit eigener Praxis medizinischen Alltag mitgestaltet und miterlebt.

Präzise und auf den Punkt

Bernd Hontschik verfügt also über umfassende Kenntnisse auf seinem Gebiet – umso bewundernswerter ist es, wie er sich als Autor auf die Kunst der präzisen, kleinen Form versteht: Obgleich seine Texte komplizierte Fragestellungen des Gesundheitssystems erörtern, sind sie durchweg als Miniaturen angelegt. Konzentriert, pfeilgerade, gut verständlich und selten länger, oft kürzer als drei Seiten bohren sie sich in die Missstände und Wunden des Systems, ohne je unterkomplex zu werden.
Da geht es um furchtbare Medikamentennebenwirkungen, die niemanden interessieren, und Ärzte, die mit ihren Patienten kein Wort sprechen. Es geht um EU-Überwachungsbehörden des medizinischen Systems, deren Etat den lächerlichen Bruchteil dessen beträgt, was große Pharmaunternehmen in ihre Aktivitäten pumpen können, und um die bittere Wahrheit, dass arme Männer in Deutschland elf, arme Frauen acht Jahre früher sterben als Geschlechtsgenossinnen und -genossen mit gefülltem Bankkonto.

Die Fakten sind zum Heulen

Leidenschaft und Menschenfreundlichkeit des Autors machen dieses Buch überhaupt nur erträglich, denn die geballten Fakten darin sind zum Heulen: 18 Euro kostet eine nachhaltig wirksame 20-minütige krankengymnastische Behandlung – eine Arthroskopie ohne therapeutischen und mit zweifelhaftem diagnostischen Nutzen 130-mal so viel. Trotzdem zahlen Kassen HighTech-Eingriffe massenweise, während Physiotherapeuten im System ein Schattendasein fristen, bis vor Kurzem ihre gesamte Ausbildung selbst finanzieren mussten und, O-Ton Hontschik, der ärztlichem Dünkel wohltuend fern steht, "hundsmiserabel" vergütet werden.
Wo bleibt das Positive? Die Politik der kleinen Schritte ist Bernd Hontschiks Sache nicht: Das ganze große Schiff "Gesundheitswesen" werde in die falsche, profitorientierte Richtung gesteuert, schreibt er am Ende seines Buches – kleine Kurskorrekturen brächten da nichts. Sein Credo: Wenn das solidarische Gesundheitswesen und eine Humanmedizin, die ihren Namen verdient hat, nicht untergehen sollen, hilft nur eine radikale Kurskorrektur.

Bernd Hontschik: "Erkranken schadet Ihrer Gesundheit"
Westend Verlag, Frankfurt 2019
160 Seiten, 16 Euro

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