Bernd Cailloux: "Der amerikanische Sohn"

Zur Randfigur verdammt

Cover von Bernd Caillouxs "Der amerikanische Sohn” vor Deutschlandfunk Kultur Hintergrund.
Bernd Cailloux ist ein begnadeter Beschreiber, der es versteht, durch elegant in Szene gesetzte Stadterkundungsgänge zu verführen. © Suhrkamp / Deutschlandradio
Von Michael Opitz · 29.06.2020
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Um die 30 Jahre alt ist der unbekannte Sohn bereits, als der Vater diesen endlich finden und kennenlernen will. Doch von dieser Geschichte schweift der Schriftsteller Bernd Cailloux immer wieder ab - und widmet sich stattdessen der Stadt New York.
Mit "Der amerikanische Sohn" setzt der in Berlin lebende Autor Bernd Cailloux eine 2005 mit "Das Geschäftsjahr 1968/69" begonnene Geschichte fort, so dass in der Altachtundsechziger-Saga um einen etwa siebzigjährigen Protagonisten bekannte literarische Figuren wieder auftauchen.

Fasziniert vom illustren Treiben in New York

Zu ihnen zählt Andreas Büdning, der Geschäftspartner von einst, ein "verlorengegangener Freund", der lange nichts von sich hatte hören lassen und sich dann für den namenlos bleibenden Ich-Erzähler überraschend meldet.
Dieses Wiedersehen wird zum Anlass genommen, Vergangenes erneut zu vergegenwärtigen. Während eines Gesprächs wird der Erzähler mit der Frage konfrontiert, ob er Kinder habe, und er zeigt sich angesichts dieser Frage zum wiederholten Male um eine Antwort verlegen.
Zwar ist nicht zu leugnen, dass es einen Sohn hat. Aber unsicher ist er, ob man davon sprechen kann, den Sohn zu "haben", wenn man ihn nur von einem Foto her kennt.

Zeit, den Sohn zu suchen

Dass es nun wahrlich an der Zeit sei, den Sohn, der inzwischen um die dreißig ist und in den USA lebt, aufzusuchen, dieser Rat wird dem Protagonisten von Büdnings Freundin erteilt. Gut trifft sich da, dass der Erzähler, der von Beruf Schriftsteller ist, mit einem Stipendium nach New York eingeladen worden ist. So weit die Vorgeschichte: Der Protagonist macht sich auf den Weg.
Zunehmend gewinnt man beim Lesen des Romans allerdings den Eindruck, als wäre die Sohnessuche gar nicht das Entscheidende. Denn der Autor schickt seinen in New York angekommenen Helden zunächst und wiederholt durch die Straßen der Metropole, wobei er sich so fasziniert von dem illustren Treiben der Stadt zeigt, dass er den eigentlichen Grund seines Hierseins aus den Augen verliert.
Aber auch der Autor scheint so tief beeindruckt von dem erneuten Wiedersehen mit der Stadt zu sein, dass ihm gar nicht auffällt, wie sein Protagonist von seinem Rechercheauftrag abkommt. Die Nachforschungen in Sachen Sohn geraten zur Nebensache. Stattdessen wird ausgiebig flaniert, wobei die gegenwärtig erlebte Stadt mit der verglichen wird, die er glaubte, von früher zu kennen.

Die eigenen Altersfallen

Erzählerisch erweist sich dieses Ausweichmanöver jedoch als das eigentliche Kernstück des Romans. Cailloux ist ein begnadeter Beschreiber, der es versteht, durch elegant in Szene gesetzte Stadterkundungsgänge zu verführen, dem es beeindruckend gelingt, die eigene Faszination, die nie unkritisch ausfällt, sprachlich so umzusetzen, dass man auch als Leser von dieser New York-Berauschung erfasst wird.
Cailloux ist dann in seinem erzählerischen Element, wenn er beschreiben kann, wenn er Eindrücke festhält und seine Geschichten um die eigene Person kreisen, wenn er etwa mit bemerkenswerter Eleganz von den Altersfallen des eigenen Seins zu erzählen weiß.
Der Sohn aber wird durch diese sich in Nebenwegen verlierenden Erzähleskapaden zu dem, der er stets war: eine Randfigur. Erst gegen Ende des Romans räumt ihm der Autor innerhalb des Handlungsgeschehens einen zentralen Platz ein. Man wird den Eindruck nicht los, als hätte sich der Erzähler auf eine Geschichte eingelassen, für die er von Beginn an nur sekundäres Interesse zu entwickeln vermochte.

Bernd Cailloux: "Der amerikanische Sohn", Roman
Suhrkamp Verlag, Berlin 2020
224 Seiten, 22 Euro

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