Bernd Behnke: Politik "hätte Regeln schaffen müssen"

Bernd Behnke im Gespräch mit Ute Welty · 03.08.2010
Der Jurist Bernd Behnke hat der Politik im Zusammenhang mit der Entlassung von Sexualstraftätern aus der Sicherungsverwahrung Versagen vorgeworfen. Für diese Fälle hätten längst Regeln geschaffen werden müssen.
Ute Welty: Polizeischutz für einen entlassenen Sexualstraftäter. Der Fall von Hans-Peter W. macht bundesweit Schlagzeilen. Der 53-Jährige gehört zu den zwölf Menschen, deren Sicherungsverwahrung nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aufgehoben werden musste. Seitdem hat Hans-Peter W. mehrfach die Wohnung wechseln müssen wegen aufgebrachter Nachbarn, und seitdem tobt die politische Diskussion. Von Spezialgefängnissen ist da die Rede, von elektronischen Fußfesseln und vor allem davon, wie man die Sicherungsverwahrung in Zukunft regelt.

Eine sehr dezidierte Meinung aus der Praxis hat dazu Professor Bernd Behnke. Er ist Fachanwalt für Strafrecht, unter anderem spezialisiert auf Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, und er war im vorliegenden Fall der zuständige Pflichtverteidiger. Guten Morgen, Herr Behnke!

Bernd Behnke: Guten Morgen, Frau Welty!

Welty: Als Pflichtverteidiger kann man sich seine Mandanten ja nicht aussuchen – wie viel Überwindung hat es Sie gekostet, diesem Mann zu seinem Recht zu verhelfen, denn nach diesem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte war die Lage ja juristisch eindeutig, oder?

Behnke: Ja, also Überwindung hat es mich nicht gekostet. Der Mann hat mich angeschrieben und hat um Hilfe gebeten, und ich habe natürlich auch aus meinem Berufsethos heraus sofort meine Hilfe zugesagt, denn wir sind dem Recht verpflichtet und nicht den Emotionen der Bevölkerung.

Welty: Können Sie nachvollziehen, emotional nachvollziehen, dass die Nachbarn dieses Mannes sich Sorgen machen?

Behnke: Ja, ich kann es emotional nachvollziehen, und ich bin aber enttäuscht darüber, wie die Öffentlichkeit, das heißt insbesondere ein Teil der Presse damit umgeht. Dort wird nämlich eine Angst geschürt, die völlig irrelevant ist und eigentlich auch nicht den Tatsachen entspricht. Und wenn eine solche Angst letztendlich bei der Bevölkerung gefördert wird, dann kann man sich auch nicht darüber wundern, wenn die Bevölkerung dann selbst in irgendwelchen Aktionen versucht, sich zu helfen – obwohl diese Aktionen nach meiner Auffassung rechtswidrig sind.

Welty: Können Sie auf der anderen Seite nachvollziehen, in welcher Situation sich Ihr Mandant befindet, der mehr als sein halbes Leben im Gefängnis einsaß?

Behnke: Ja, nach 30 Jahren kam der nun aus dem Gefängnis beziehungsweise aus der Sicherungsverwahrung, und ich telefoniere täglich mit ihm, und ich kann nachvollziehen, wie er sich fühlt. Er fühlt sich natürlich in dieser Situation der Verfolgung schlecht. In einem Rechtsstaat, auf den er auch vertraut hat in irgendeiner Weise, geschieht ihm nun plötzlich alles Mögliche: Er spürt Widerstand durch die Bevölkerung, er liest was in der Zeitung, und eines Tages steht sogar ein Bildreporter – ohne dass ich jetzt die Zeitung genannt habe, sondern ein Reporter, der Bilder macht – plötzlich in seiner Stube, ohne dass er dazu eingeladen worden ist, und versucht ihn abzulichten. Also ein solches Vorgehen kann ich nicht als richtig akzeptieren.

Welty: Wir haben hier also einen Straftäter mit Interessen und wir haben die Nachbarschaft mit Interessen, welche Möglichkeiten sehen Sie, beide Interessen miteinander zu vereinbaren, wie effektiv sind in diesem Zusammenhang die diskutierten Maßnahmen wie Spezialgefängnis oder elektronische Fußfessel?

Behnke: Bei Interessenkonflikten ist es wichtig, dass der Staat Regelungen schafft, dafür haben wir das Recht. Und diese Regelungen fehlen. Seit drei Jahren etwa weiß man, dass ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu erwarten ist. Seit Dezember 2009 wissen wir, dass eine solche Regelung ausgesprochen wurde,1 durch die entsprechende Kommission des Europäischen Gerichtshofs. Seit Mai 2010 ist dieses Urteil rechtskräftig, und es steht in allen, also nach aller Regel jetzt fest, spätestens seit dem Zeitpunkt, dass man diese Menschen entlassen muss. Und es gibt keine gesetzliche Regel, die besagt, wie man mit ihnen umgeht.

Und da hat die Politik meines Erachtens versagt, sie hätte Regeln schaffen müssen. Und jetzt im Nachhinein zu diskutieren, das ist natürlich auch nicht schlecht und durchaus richtig, aber die Diskussion hätte früher kommen müssen. Und bevor die Menschen entlassen werden oder worden sind, hätte man diese Regeln haben müssen. Und man hatte sie nicht.

Welty: Welche Regeln hätten Sie dann befürwortet?

Behnke: Ja, ich habe nur meine eigene Überlegung dazu, und die möchte ich gern darstellen: Ich meine, dass solche Leute in eine geschlossene Einrichtung gehören, nach ihrer Entlassung, die aber nicht eine JVA ist und die auch keine Sicherungsverwahrung ist, sondern ich denke an geschlossene Heime für Jugendliche, dass man so etwas letztendlich auch in dieser Situation schafft oder für diese Situation schafft.

Die Menschen kommen dann raus, kommen dann in das wirkliche Leben zurück, dürfen aber tagsüber nur in Begleitung ausgehen. Ansonsten sind sie im geschlossenen Bereich. Und dort wäre dann die Möglichkeit gegeben, sie durch verschiedene soziale Interventionen letztendlich vorzubereiten auf eine nächste Stufe innerhalb des Hauses, zum Beispiel eine halboffene Stufe. Und wenn sie sich da bewährt haben, dann gibt es durchaus auch die Möglichkeit, dass sie dann in die nächsthöhere Stufe aufsteigen, nämlich in die Stufe eins, nämlich in den offenen Bereich. Und wenn sie da sich einige Zeit bewährt haben, dann kann man sie auch in die Freiheit vollends entlassen. Aber das Ganze geschieht immer unter Aufsicht und auch natürlich, und nicht nur unter Aufsicht, sondern auch durch die Vermittlung von Hilfen.

Welty: Haben Sie über dieses Stufenmodell schon mal mit der Justizministerin gesprochen? Die hat die Dinge ja nun in der Hand, und ich glaube, die sucht ziemlich verzweifelt nach einer praktikablen Lösung.

Behnke: Nein, ich habe bisher, wenn Sie das so sagen, noch keinen Anruf aus Berlin bekommen, und ich glaube auch nicht, dass ich als Verteidiger einen Anruf aus Berlin bekomme, sondern man wird da weiter diskutieren, weiter diskutieren und man wird am Ende zu irgendeiner Regelung kommen, die wahrscheinlich allen Menschen nicht hilft – weder der Bevölkerung noch der Politik und noch natürlich denjenigen, die entlassen werden sollen. Das liegt insbesondere auch daran, meine ich, dass die Juristen in der Politik eben halt von der praktischen Arbeit relativ wenig Ahnung haben.

Welty: Professor Bernd Behnke war das im Interview der "Ortszeit". Er fordert geschützte geschlossene Einrichtungen und Therapien für Schwerststraftäter nach langer Haftzeit. Ich danke fürs Gespräch, Herr Behnke!

Behnke: Danke, Frau Welty, Wiederhören!

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