Berlusconis Grinsen, Vespasians Lächeln

16.03.2009
Was verbindet Busenstar Pamela Anderson mit einer edlen römischen Marmorstatue? Offenbar einiges, meint der klassische Archäologe Stefan Ritter. Unter dem Titel "Alle Bilder führen nach Rom. Eine kurze Geschichte des Sehens" legt er ein Sachbuch vor, dass unseren genauen Blick auf die Welt der Bilder schulen möchte.
Der klassische Archäologe Stefan Ritter stellt in "Alle Bilder führen nach Rom" das scheinbar Unvereinbare gegenüber: ein Foto von Busenstar Pamela Anderson und eine römische Frauenstatue; ein Bild Silvio Berlusconis und den Porträtkopf von Kaiser Vespasian; Mercedes-Werbung und das Relief eines Kindersarkophags.

Ritter beschreibt, was zu sehen ist. Besser gesagt: was man sehen würde, wenn man genau hinblickte und Bescheid wüsste. Etwa, dass jenes Sarkophag-Relief nicht eine, sondern vier Szenen darstellt: das Leben des Toten in Kürze. Im Mittelpunkt steht das Menschenbild beziehungsweise das Bild, das Menschen von sich geben wollen.

Das antike Rom ist heute in Comics und in Hollywood populär, seine Bildwerke sind jedoch oft nur unverstandenes Dekor, etwas für akademische Spezialisten. Hier setzt Ritter an. Er entschlüsselt Bild-Inhalte im Alltagskontext und frei von Jargon.

Man staunt, wie viel man nicht bemerkt hat. "Alle Bilder führen nach Rom" gehört in die Kategorie "sympathisches Buch". Hier will einer, dass möglichst viele seine Beobachtungslust teilen. Das didaktische Engagement und die Zugänglichkeit der Darstellung wiegen manches stereotype Argument auf. Eine kleine unideologische Kulturkritik der visuellen Moderne wird auch mitgeliefert.

Titel und Untertitel des Buches kann man sofort wieder vergessen. Sie sind Beispiele für die Unsitte, Buchware mit möglichst flotten Labeln zu bekleben, egal, welcher Stoff tatsächlich geboten wird. Stefan Ritter behauptet keineswegs, dass der abendländische Bildervorrat auf römische Vorbilder zurückgeht. Und er schreibt auch keine "kurze Geschichte des Sehens", sondern führt, durchaus im Sinne einer Seh-Schulung, präzise Bildbeschreibungen und -analysen vor.

Dabei begegnen sich moderne und antike Bildwerke gleichsam auf Augenhöhe. Es geht nicht um hehre, exklusive Kunst (auch wenn uns antike Bildwerke heute als solche erscheinen), sondern um öffentliche Kommunikation mittels Bildsprache, um Selbstdarstellung und -stilisierung heute und vor 2000 Jahren.

Aufschlussreich ist die Gegenüberstellung des in Ketten gelegten, jedoch erstklassig gekleideten Saddam Hussein mit der Statue eines Dakers. Stefan Ritter zeigt, wie im Saddam-Foto Rudimente der antiken Konstruktion des Barbaren (ein solcher war einst der Daker) fortwirken und im kollektiven Gedächtnis mobilisierbar sind.

Witzig wirkt der Kontrast zwischen der Statuengruppe eines Paares aus dem Museo Capitolino mit einem Foto von Zsa Zsa Gabor und Prinz Frederic von Anhalt. Die schönen, geradezu göttlichen Körper des antiken Paares waren aus der Mythologie entliehen und unter die individuellen Köpfe montiert - ein Hinweis, der in Rom verständlich war und das Alter(n) nicht leugnete, sondern ausstellte: Ewige Schönheit ist allein den Göttern vorbehalten.

Solchen Spielraum gibt es heute nicht mehr. Zsa Zsa Gabor ist für Ritter ihr gut erhaltener, kosmetisch optimierter Körper; dieser weist nicht mehr über sich hinaus; er ist nicht Ausgangs-, sondern Endpunkt von Fantasie und Bedeutung. Wer dem Autor folgt, liest in den Bildern auch die geistige Plastizität der Menschen mit.

Nicht nur das Gesicht der Spaßgesellschaft lacht, auch der Bilderkrieg der Ideologien im 20. Jahrhundert bediente sich auf kommunistischer und kapitalistischer Seite lachender Gesichter - obwohl natürliches Lachen ein seltener Muskelzustand ist. Die Römer, so Ritter, wären nie auf die Idee gekommen, im Umgang mit Gesichtern "den Naturgesetzen derart zuwiderzuhandeln".

Und auch, wenn heutige Alltagsbilder ansonsten oft Ähnlichkeit mit antiken Bildwerken haben, sind die verfolgten Interessen andere: "In den römischen Bildern findet sich der Betrachter da wieder, wo er ist, in unseren hingegen, wo er noch nicht ist."

"Alle Bilder führen nach Rom" ist keine wissenschaftliche Pioniertat - soll es auch nicht sein. Durch den Kontrast antik-modern wird der gewohnte Bilderkosmos zu neuer Sichtbarkeit verfremdet, in alten Bildwerken erscheint im Unvertrauten Vertrautes. Die Lektüre ist vor der Italien-Reise und dem Besuch antiker Sammlungen zu empfehlen. Aber auch, wer zuhause bleibt, profitiert. Berlusconis Grinsen wird dank Vespasians überlegenem Lächeln tatsächlich interessant.

Rezensiert von Arno Orzessek

Stefan Ritter: Alle Bilder führen nach Rom. Eine kurze Geschichte des Sehens
Klett-Cotta, Stuttgart 2009,
240 Seiten, 24,90 Euro