Berliner Siegessäule

Umzug eines Engels

"Goldelse" wird der goldene Engel auf der Berliner Siegessäule auch genannt.
"Gold-Else" wird der goldene Engel auf der Berliner Siegessäule im Volksmund genannt. © imago stock&people
Von Anja Nehls · 19.02.2019
Seit 1873 streckt Victoria ihre Flügel in den Berliner Himmel. Albert Speer sorgte 1939 dafür, dass sie in den Tiergarten kam. Heiner Geißler nannte die "Gold-Else" auf der Siegessäule "das dümmste Denkmal der Republik" − doch Touristen lieben sie.
Die kleine kreisförmige Besucherplattform auf der Siegessäule ist rappelvoll an diesem Vormittag. Eine Dame aus Brasilien versucht, die über der Plattform schwebende Siegesgöttin Victoria von unten auf ein Foto zu bekommen. Ein Herr aus Mexiko muss nach den 285 Stufen Aufstieg erst mal verschnaufen. Alle anderen genießen den Blick auf Berlin aus gut 50 Metern Höhe.

Der Himmel über Berlin

Die wichtigsten Berliner Sehenswürdigkeiten von der Aussichtsplattform der Siegessäule. Warum die nun Siegessäule heißt, haben die meisten im Eingangsbereich zwar gelesen, aber bis hier oben schon wieder vergessen. Dass der goldene Engel auf der Säule von den Berlinern angeblich Gold-Else genannt wird, verstehen die ausländischen Gäste ohnehin nicht. Aber dass die Säule hier nicht immer stand, ist bei einigen hängen geblieben. Das hat mit der Nazizeit zu tun – und das ist für Berlinbesucher immer interessant. Ein Herr deutet vage auf die gläserne Kuppel des Reichstags, die in anderthalb Kilometer Entfernung hinter den kahlen Bäumen des Tiergartens gut zu sehen ist.
"Wurde ursprünglich dahinten irgendwo eingeweiht, auf dem Platz der Republik oder so. Wenn ich den Plan da unten richtig verstanden habe, dann stand das hier auf der grünen Fläche da vor dem Reichstag, nicht?"

Hitlers Chef-Architekt Speer störte die Säule

In der Tat. Ursprünglich errichtet wurde die Siegessäule samt goldener Victoria-Statue von 1864 bis 1873 als Nationaldenkmal für die sogenannten Einigungskriege, die die Gründung des Deutschen Kaiserreichs als Nationalstaat vorbereiteten. Unmittelbarer Anlass für die Aufstellung der Säule war der Sieg Preußens im deutsch-dänischen Krieg 1864. Es folgten zwei Jahre später der deutsche Krieg gegen Österreich sowie der deutsch-französische Krieg 1870/71. Die Säule wurde auf dem damaligen Königsplatz, direkt vor dem Reichstag aufgestellt. Dort stand sie solange, bis sie Adolf Hitlers Chefarchitekten Albert Speer bei der Planung seiner Reichshauptstadt "Germania" störte, erzählt der Historiker Eberhard Elfert:
"Die Planung von Albert Speer für die Reichshauptstadt sah eben an der Stelle eine sogenannte Halle des Volkes vor, neunmal so groß von der Fläche wie der Reichstag und so hoch wie der Eiffelturm und da stand einfach diese Säule und viele andere Dinge im Weg und man hat die Säule dann versetzt auf den großen Stern."

Und dabei gleich noch den Sockel verbreitert, die Säule höher gesetzt und den Kreisverkehr am Großen Stern von 80 Meter auf 200 Meter vergrößert. Das ist jetzt genau 80 Jahre her und es ist der Säule nicht unbedingt gut bekommen, meint Eberhard Elfert:
"Deswegen hat sich also der Ort und auch die Säule komplett verändert, also das ist eine ganz andere Dimensionierung. Sie hat eigentlich von ihrer Wirkung, die sie im Kontext des Reichstags hatte unheimlich viel verloren."
Dieses Foto zeigt die Siegessäule als sie noch in Berlin vor dem Reichstag stand.
Dieses Foto zeigt die Siegessäule als sie noch in Berlin vor dem Reichstag stand.© dpa /picture-alliance

Geißler fand die Säule kitschig und hässlich

Drastischer hat es der ehemalige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler vor einigen Jahren formuliert. Die knapp 70 Meter hohe Säule mit dem mehrfach abgestuften Sockel, der Säulenrotunde aus Granit mit den bronzenen Reliefs und den in die Sandsteinsäule eingelassenen vergoldeten Beutekanonen bezeichneter er in einem Fernsehbeitrag als wilhelminischen Kitsch und dümmstes Denkmal der Republik:
"In der der Triumph gefeiert wird der preußischen Armee gegen die eigenen Landsleute, aber auch gegen die Franzosen und in das die Kanonen eingelassen sind, mit denen die Leute aufeinander geschossen haben. Außerdem ist es architektonisch eine Katastrophe, weil dieser Engel da oben, der ist ja überdimensioniert. Außerdem ist dieser Engel auch hässlich. Es ist also alles ein künstlerisches Desaster finde ich. – Abreißen? – Wie wollen Sie das abbauen? Das müssen Sie sprengen. Anders geht das nicht. Das muss weg."

Das hatten die Franzosen nach dem Zweiten Weltkrieg auch schon mal vor, aber Briten und Amerikaner waren dagegen. Die Siegessäule steht also noch heute am Großen Stern im Tiergarten – und sei auch gar nicht so hässlich, beteuern die Touristen:
"Ja ich finde es sehr schön."
"Nee, sprengen würde ich es nicht. Ich würde es vielleicht nicht nochmal bauen, aber passt."
"Hässlich ist sie nicht. Nee. Ob ich sie jetzt mag? Ist halt ein Denkmal."
Echte Begeisterung klingt anders, ist aber auch egal, denn die Säule steht unter Denkmalschutz. Auffällig ist sie in jedem Fall, das ist unstrittig. Und weil sie nun mal da war und den Zweiten Weltkrieg überstanden hat, ist sie durch die späteren Ereignisse auch noch in anderen Zusammenhängen zu einem politischen Symbol geworden.
Fernsehturm und Siegessäule – zwei Wahrzeichen Berlins im Licht der untergehenden Sonne.
Fernsehturm und Siegessäule – zwei Wahrzeichen Berlins im Licht der untergehenden Sonne.© imago stock&people

Kulisse für politische Großveranstaltungen

Sie diente zum Beispiel als Kulisse für die großen Militärparaden der Alliierten, die bis in die 80er-Jahre auf der im Westteil Berlins gelegenen Strecke zwischen der Siegessäule und Brandenburger Tor stattfanden. Auch Willy Brandt sprach hier als Regierender Bürgermeister von Westberlin, mit dem im Ostteil liegenden Brandenburger Tor im Rücken und dem Blick zur Siegessäule. Ebenso der amerikanische Präsident Ronald Reagan, der 1987 den Abriss der Mauer forderte. Barack Obama, 2008 noch Präsidentschaftskandidat der USA, durfte nicht vor das Brandenburger Tor. Also hielt er seine Berliner Rede direkt an der Siegessäule. 200.000 Menschen waren gekommen.

Rave unter dem Engel

Es ging an dieser Stelle aber auch mit weniger Pathos, dafür mit umso mehr Lautstärke. Bis zu einer Millionen Menschen tanzten ab Mitte der 90-er während der Loveparade rund um die Siegessäule. Und das habe ihr gutgetan, sagt der Historiker Eberhard Elfert:
"Ich glaube, das hat diesem Ort und auch der Straße mit Bezug aufs Brandenburger Tor den politischen Pathos genommen. Er wurde alltagspraktisch."
2001 tanzten tausende Teilnehmer der Loveparade unter der Berliner Siegessäule. 
2001 tanzten tausende Teilnehmer der Loveparade unter der Berliner Siegessäule. © imago stock&people
Der Große Stern und die Straße des 17. Juni etablierten sich als Partymeile und Konzert-Location, die Siegessäule selber als Hintergrund für Selfies, erinnern sich zwei Besucher auf der Aussichtsplattform.
Live-Aid-Konzert, Einheitsfest, Unteilbar Demo – und die Siegessäule als pompös hässlicher wilhelminischer Kitsch, wie Heiner Geissler es formulierte, immer mittendrin. Kein Zufall, dass inzwischen sogar eine sehr spezielle Zeitschrift nach ihr benannt ist, schmunzelt Eberhard Elfert:
"Besser können Sie Großmannssucht gar nicht darstellen, als dass Sie ein Schwulenmagazin 'Siegessäule' nennen. Da wird diese Säule, wofür sie steht, diese Großmannssucht sogar noch positiv interpretiert und gleichzeitig ironisiert. Und wenn man weiß, dass es eben auch Treffpunkt dieser Community ist, dann finde ich das auch einen Zugang, der alltagspraktisch ist und den wir auch täglich sehen, also die Zeitung hat ja eine große Anhängerschaft in dieser Community und wird auch wirklich gerne gelesen."

Ein Kilo Blattgold für die "Gold-Else"

Und niemand will die Siegessäule mehr abreißen oder gar sprengen. 2010 und 2011 wurde sie restauriert und mit knapp fünf Millionen Euro und über einem Kilogramm Blattgold für das abblätternde Kleid der Gold-Else aufgehübscht. Und deshalb wird es vorerst wohl so bleiben, wie es Josef Roth bereits 1921 im 12-Uhr-Blatt der Neuen Berliner Zeitung im Rundgang um die Siegessäule beschrieben hat:
"Straßenfotografen mit langbeinig stochernden Apparaten benutzten sie als kostenlosen Hintergrund für die grundlos lachenden Gesichter der Fotografierten. Sie war ein Nippesgegenstand der deutschen Geschichte, den Fremden ein Ansichtskartenobjekt, den Schulkindern Lehrspaziergangsziel. Der erwachsene Einheimische bestieg sie nie."
Aber die Besucher, heute noch, einfach weil sie da ist. Mitten auf dem touristischen Schnellweg zwischen den wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Berliner Mitte, man kommt praktisch gar nicht dran vorbei:
"Ich war jetzt beim Schloss Bellevue und dann habe ich die Siegessäule gesehen und gedacht: Gehst du auch mal hin! Es ist in der Nähe von Reichstag und Brandenburger Tot, alles in der Nähe. Wir gehen jetzt da hin und machen Fotos und Selfies."
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