Berliner Frauennetzwerk Bet Debora

Kritik an Haltung etablierter Parteien zu Antisemitismus

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Lala Süßkind, ehemalige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Berlin, diskutierte mit auf dem Podium. © imago stock&people
Von Rebecca Hillauer · 15.09.2017
Wie sehen Jüdinnen die Gesellschaft kurz vor der Bundestagswahl? Auf einer Podiumsdiskussion des Berliner Frauennetzwerkes Bet Debora gab es eine gemeinsame Position: Keine der politischen Parteien entwickle Ideen gegen den gewachsenen Antisemitismus.
"Wir haben uns ja hier getroffen, weil die Bundestagswahl bevorsteht. Weil wir natürlich keine Wahlveranstaltung machen wollten in dem Sinne, aber schon wissen wollten, welche Perspektiven..."
Am Dienstagabend bei einer Veranstaltung von Bet Debora, dem Netzwerk für Frauenperspektiven im Judentum. Esther Hirsch moderiert.
"Deshalb wollten wir einen gesellschaftlichen Blick schweifen lassen, der eine jüdische Perspektive bietet."
Auf dem Podium sitzen nicht nur Politikerinnen, sondern auch Aktivistinnen. Rasch schält sich als ein wesentlicher Aspekt eine gemeinsame Beobachtung heraus: Der latente Antisemitismus in der Gesellschaft sei mit den vielen muslimischen Flüchtlingen angewachsen – und keine der politischen Parteien ziehe daraus ernsthafte Konsequenzen. Petra Somberg vom Arbeitskreis Jüdischer Sozialdemokraten:
"Der Antisemitismus aus dem muslimischen Bereich ist besonders auch in Nordrhein-Westfalen sehr stark. Wir arbeiten eng auch mit dem Arbeitskreis muslimischer Sozialdemokraten zusammen und versuchen, gemeinsame Projekte zu machen und zu zeigen, dass wir am selben Strang ziehen."

"Israel-Hass hier in Deutschland mit der Muttermilch zugeführt"

Lala Süsskind, frühere Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Berlin, und Halina Bendkowski, Agentin für Feminismus und Geschlechterdemokratie, pflichten ihr bei:
"Ich bin dafür, dass geflüchtete Menschen zu uns kommen, wir sie aufnehmen und dann versuchen, sie zu integrieren. Aber ich habe doch leise Befürchtungen, dass ein gewisser Prozentsatz von denen eben alte Gepflogenheiten nicht abgeben wird können, weil es zuhause noch mit der Muttermilch tatsächlich auch hier in Deutschland zugeführt wird - nämlich der Israel-Hass."
Halina Bendkowski: "Was da auf uns zukommt: Wenn eine Gesellschaft sich dafür nicht vorbereitet (...) Und ich meine mit 'vorbereiten' was anderes als nur mit Sonntagsreden zu sagen, was schon klar ist. Sondern dafür Mittel und vor allem Wissen, Knowhow und Kontrolle einsetzt, dann wird es uns ganz schlecht ergehen."
Lala Süsskind, inzwischen Vorsitzende des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus, schlägt in die gleiche Kerbe. Sie bemängelt, dass es inzwischen zwar einen zweiten Antisemitismus-Bericht der Bundesregierung gebe, aber immer noch keinen Antisemitismus-Beauftragten im Kanzleramt:
"Der Bericht ist wunderbar. Hat Hunderttausende von Euro gekostet. Und was passiert mit diesem blöden Bericht, wenn nicht jemand in der Bundesregierung sitzt oder noch besser, in den Ländern, jemand sitzt, der darüber Kenntnis hat und der sich das aneignet und das auch beobachtet? Ansonsten ist das l'art pour l'art - rausgeschmissenes Geld!"

Merkel und Schulz erwähnen Antisemitismus im TV-Duell nicht

Debora Amtmann, Frauenbeauftragte an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin, schließt daran an. Auch an Hochschulen, meint sie, würde es einen dringenden Bedarf an Antisemitismus-Beauftragten geben.
"Bei mir an der Hochschule bin ich sichtbar als Jüdin. Und seitdem ich dort arbeite, habe ich sehr viele Jüd*Innen, die zu mir kommen, weil sie nicht wissen, zu wem sonst. Weil Seminarinhalte antisemitisch sind, weil es keinen Rückhalt in der Studierendenschaft gibt. Weil es für zum Beispiel bestimmte Debatten um Gender relativ viel Rückhalt gibt, und wenn es um Rassismus geht. Rund um Antisemitismus gibt es das nicht."
Kritik übten die Referentinnen auch an dem Rede-Duell zwischen Kanzlerin Merkel und ihrem Herausforderer Schulz: Israel und das Problem des Antisemitismus seien dabei mit keinem Wort erwähnt worden. Martin Schulz hätte jedoch auffällig die notwendige Integration derjenigen betont, die, wie viele Palästinenser, aufgrund ihrer Erziehung gegen Israel hetzten. Halina Bendkowski erinnert auf dem Podium an einen Vorfall im vergangenen Jahr, als Martin Schulz noch im Europäischen Parlament saß, und der palästinensische Ministerpräsident Mahmud Abbas dort seinem letzten Auftritt hatte.
Halina Bendkowski: "Zum Schluss hat er seine Suada noch damit gewürzt, dass die Juden in Israel wieder die Brunnen vergiften. Und Herr Schulz hat dann in einem Tweet geschrieben, dass es eine inspirierende Rede war. Wenn das nicht Antisemitismus ist, dann weiß ich es wirklich nicht. Und insofern hat er natürlich jetzt versucht, weil er denkt, aha, da erinnern sich noch einige dran, da eine kurze Marge zu machen. Das ist natürlich zu billig. Und ich hätte schon erwartet (...) Der deutsch-israelische Parlamentarier-Kreis der besteht ja nicht nur aus Volker Beck, der diesbezüglich wirklich eine gute Arbeit gemacht hat, finde ich. Aber ich höre von den andern nichts, dass die den Schulz auch kritisiert hätten."

Publikum kritisiert Verlauf der Veranstaltung

Auch die anderen Referentinnen gaben sich streitbar, mitunter auch amüsant. Dennoch lief die Diskussion weitestgehend am eigentlichen Thema – den jüdischen Frauenperspektiven zur Bundestagswahl – vorbei. Feministisch und kontrovers wurde es lediglich bei Nebenschauplätzen und beim Reizthema Kopftuch. Als die Moderatorin das Ende der Veranstaltung einläutet, besteht beim Publikum noch etlicher Wissens- und Redebedarf:
"Wir treffen uns an der Bar. Wir bleiben noch zusammen."
"Aber sie hatte sich die ganze Zeit gemeldet, sie sollte das noch sagen. - Mikro! Mikro!"
Frau aus dem Publikum: "Ich habe nicht gewusst, dass ich hierher komme - und es wird hier extra keine Wahlempfehlung ausgesprochen. Da bin ich enttäuscht. Ich hätte zum Beispiel gerne gewusst, warum ich jetzt so und so viel Jahre nach Herrn Möllemann vielleicht doch die FDP wählen könnte aufgrund der Art, wie die FDP mit Israel umgeht. Das weiß ich nämlich nicht. Aber ich hätte das vielleicht gern erfragen wollen."
Beim anschließenden Diskutieren untereinander äußern weitere Besucherinnen ähnliche Ansichten:
Frau 1: "Es hätten viel mehr Fragen gestellt werden müssen. Da hätte man mehr Zeit einräumen sollen, weil die Fragen wollten wir alle hören und nicht in kleinen Gruppen abgehandelt."
Frau 2: "Ich fand das schade, dass sie nicht direkt über die Politik von Parteien gesprochen haben in Bezug auf diesen Antisemitismus und den neuen Antisemitismus auch. Das hat mir gefehlt."
Frau 3: "Ich habe es mit Interesse verfolgt. Ob es uns alle so aufklärt oder uns einen Schritt klarer macht, wo wir unser Kreuzchen machen, ich weiß es nicht."
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